Lebens­hilfe vom großen Bruder aus Neukölln

Fadi Saad in der Hauptschule Sophienstraße. Foto: Der Löwe

Fadi Saad, Buchautor, Dozent und im Haupt­beruf Polizei­be­amter, besuchte die Haupt­schule Sophien­straße in Braun­schweig.

Mehr Glaub­wür­dig­keit und Authen­ti­zität geht kaum, wenn Fadi Saad, Buchautor, Dozent und im Haupt­beruf Polizei­be­amter, vor Schüle­rinnen und Schülern referiert, Workshops leitet und aus seinem Buch „Der große Bruder von Neukölln“ liest. Jetzt war er an zwei Tagen zu Gast an der Haupt­schule Sophien­straße in Braun­schweig. Mit seiner klaren Ansprache und Ratschlägen ist er ganz nah dran an der Lebens­wirk­lich­keit der Jugend­li­chen, die an der Schwelle stehen, ihr eigenes Leben zu gestalten. Fadi Saad zeigt ihnen, wie es gelingen kann, ein wertvolles Mitglied für die Gesell­schaft zu werden. Selbst­be­wusst­sein, Selbst­wert­ge­fühl, Teilhabe und nicht zuletzt Umgangs­formen stehen dann als Themen auf dem Stunden­plan.

Schul­klima verbes­sert

„Fadi kann Dinge sagen, die wir Lehrkräfte nicht sagen können. Er war schon ein paar Mal an unserer Schule, seine Vorträge haben das Schul­klima und die Motiva­tion einzelner Schüle­rinnen und Schüler definitiv nachhaltig verbes­sert“, erläutert Xenia Despina Gianneskis, Konrek­torin der Haupt­schule Sophien­straße. Der aktuelle Workshop mit dem Thema „Entwirf Deine Traum­schule“ und die sich tags darauf anschlie­ßende Lesung wurden von der Richard Borek Stiftung gefördert. Schul­so­zi­al­ar­beit zählt seit vielen Jahren zu den wesent­li­chen Stiftungs­zwe­cken. Die Haupt­schule Sophien­straße, berichtet Xenia Despina Gianneskis, habe einen 98-prozen­tigen Anteil von Schüle­rinnen und Schülern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Auch deswegen sei Fadi Saad an ihrer Schule genau richtig.

Den Titel seines ersten Buchs „Der große Bruder von Neukölln – Ich war einer von ihnen – vom Gang-Mitglied zum Street­worker“ hat Fadi Saad nicht von ungefähr gewählt. Er bedeutet, dass er selbst vieles erlebt hat im Berliner Brenn­punkt-Quartier, Rassismus, Diskri­mi­nie­rung, Gewalt. Er geriet auf die „schiefe Bahn“ und dennoch ging er letztlich seinen so erfolg­rei­chen, beacht­li­chen Weg. Fadi Saad, von Geburt Paläs­ti­nenser, wuchs mit sieben Geschwis­tern in der elter­li­chen Zweizim­mer­woh­nung im Weddinger Soldiner Kiez auf. „Es lief nicht immer so, wie meine Eltern es sich gewünscht hätten“, sagt er. Er schwänzte die Schule und war häufig in Prüge­leien verwi­ckelt.

Zweite Chance genutzt

Erst nach einem Aufent­halt im Jugend­ar­rest änderte er sein Leben und nutzte seine zweite Chance. Er holte seinen Schul­ab­schluss nach, wurde Bürokauf­mann, später Street­worker des Arabi­schen Kultur­in­stitut AKI und schließ­lich Polizei­be­amter. Der heute 45 Jahre alte Saad wurde unter anderem für seine Präven­ti­ons­ar­beit mit dem Deutschem Preis für Krimi­nal­prä­ven­tion ausge­zeichnet. Das alles macht ihn zum Vorbild, übrigens nicht nur für Jugend­liche mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund.

Schüle­rinnen und Schüler hören aufmerksam zu, wenn Fadi Saad von seinem Leben berichtet. Foto: Der Löwe

Durch seine Biografie weiß er genau, wie sich die Schüle­rinnen und Schüler, die vorm ihm sitzen, fühlen. Seine Erfah­rungen und die Lehren, die er daraus zog, gibt er den Schüle­rinnen und Schülern gewis­ser­maßen als Leitfaden mit. „Die Workshops sind dabei Mittel zum Zweck. Mit ihnen lassen sich Themen wie Parti­zi­pa­tion oder Debat­ten­kultur spiele­risch hervor­heben“, berichtet Fadi Saad von seinem Konzept. Die Jugend­li­chen lernen in Gruppen­ar­beit, wie sie sich einbringen können in Entschei­dungs­pro­zesse, statt zu lamen­tieren. Sie lernen, Kompro­misse einzu­gehen und Konflikte zu lösen, statt laut zu werden. Sie lernen, eigene Ideen zu entwi­ckeln, statt anderen hinter­her­zu­laufen; Initia­tive für ihre eigenen Vorstel­lungen zu ergreifen, statt zu resignieren.

„Traum­schule“ mit klaren Regeln

In diesem Fall ging es um ihre „Traum­schule“. Das passte ganz gut, weil die Haupt­schule Sophien­straße Ganztags­schule wird und an Bedeutung für die Schüle­rinnen und Schüler noch mehr gewinnen wird. Die Lehrkräfte Irene Dillmann, Eva Jung, Lena Höft, Jennifer Nahser, Stefanie Wagner, Reimar Fröhnel, André Horn und Volker Schönball sowie Jamil Saad, Sohn von Fadi Saad, unter­stützten die insgesamt 15 Gruppen der Acht- und Neunt­klässler, aber am Ende musste jemand aus den jewei­ligen Gruppen selbst­ständig präsen­tieren. „Alle wollen mitreden, aber keiner will entscheiden“, kommen­tiert Fadi Saad die Heraus­for­de­rung bei der Gruppen­ar­beit. Heraus­kamen dennoch nicht nur Wünsche wie ein Wellness­be­reich oder ein Rückzugs­raum für Mädchen, sondern auch Regeln für Meinungs- und Religi­ons­frei­heit oder auch angemes­sene Kleidung und auch Konse­quenzen bei Regel­ver­stößen.

Die abschlie­ßende Lesung wird dann zur echten Lebens­hilfe vom großen Bruder aus Neukölln. Es geht um Respekt gegenüber Älteren, es geht um den Umgang mit dem anderen Geschlecht, um das Verhalten beim Praktikum oder während der Ausbil­dung und auch um Politik, um den Missbrauch von Symbolen. Fadi Saad trifft zweifels­frei den richtigen Ton, sympa­thisch, aber bestimmt. Er bekommt über 90 Minuten die volle Aufmerk­sam­keit. Welcher Lehrer kann das schon von sich behaupten? Fadi Saad hat den Jugend­li­chen etwas zu sagen, und sie wollen es auch hören!

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