„Ohne Selam hätte ich es nicht geschafft“

Das Kinder- und Jugendzentrum Selam war der perfekte Lernort für 19 Migrantenkinder anlässlich des TU-Projektes Lern- und Übergangsbegleitung in die Sek 1. Foto: TU Braunschweig
Das Kinder- und Jugendzentrum Selam war der perfekte Lernort für 19 Migrantenkinder anlässlich des TU-Projektes Lern- und Übergangsbegleitung in die Sek 1. Foto: TU Braunschweig

Große Hürde Sekun­dar­stufe I: 19 Migran­ten­schü­le­rinnen und ‑schüler nahmen mit viel Herz an einem außer­schu­li­schen Pilot­pro­jekt teil.

Um auch noch am Samstag­morgen regel­mäßig drei Stunden zu büffeln, dafür brauchen junge Menschen nach einer harten Schul­woche viel Disziplin und eine große Portion Ausdauer. 16 Schüle­rinnen und Schüler, deren Eltern aus der Türkei, Russland, Korea und unter­schied­li­chen afrika­ni­schen Staaten nach Deutsch­land gekommen sind, haben die Mühen auf sich genommen und sind regel­mäßig samstag­vor­mit­tags ins Kinder- und Jugend­zen­trum Selam (Hamburger Straße) gekommen. Sie nahmen zwei Jahre am Pilot­pro­jekt „Lern- und Übergangs­be­glei­tung von Migrantenschüler/innen in die Sekun­dar­stufe I (Klasse 4/5) teil, das die Techni­sche Univer­sität Braun­schweig mit Förder­gel­dern der Richard Borek Stiftung in Braun­schweig durch­führte. Die Schüler und Schüle­rinnen verdienen großen Respekt, schließ­lich erfolgte das Lernen ganz und gar freiwillig. Ihr Erfolg hat sie belohnt.

„Der Übergang von der vierten zur fünften Klasse verläuft häufig proble­ma­tisch. Neue und höhere Anfor­de­rungen können sogar zu Schul­ver­sagen führen“, verdeut­licht Projekt­leiter Dr. Diethelm Krause-Hotopp vom Institut für Erzie­hungs­wis­sen­schaft an der TU Braun­schweig (Abteilung Schul­päd­agogik und Allge­meine Didaktik). Dr. Krause-Hotopp ist absoluter Profi: Seit 2006 kümmert er sich um „Integra­ti­ons­för­de­rung von Migran­ten­kin­dern an Grund­schulen“ und weiß ganz genau von deren Schwie­rig­keiten.

Zusammen mit dem befreun­deten Prof. Dr. Uwe Sandfuchs von der TU Dresden (Lehrstuhl für Grund­schul­päd­agogik und Histo­ri­sche Pädagogik) rief er das außer­ge­wöhn­liche Bildungs­pro­jekt 2012 ins Leben. Die Zielgruppe bildeten leistungs­starke Migran­ten­kinder der drei am Projekt teilneh­menden Grund­schulen Isolde­straße, Am Schwarzen Berge und Bültenweg. 19 Kinder starteten in das Versuchs­pro­jekt, 16 blieben bis zum Schluss dabei – eine hervor­ra­gende Quote. Die Schüle­rinnen und Schüler besuchten im Folgejahr die IGS Querum, die IGS Heidberg, die Realschule Masch­straße sowie die Neue Oberschule, Gymnasium Kleine Burg (hier waren die meisten) und das Wilhelm-Gymnasium. Alle bekamen auch im zweiten Jahr, in der neuen Schulform, weiter gezielte Unter­stüt­zung.

Aus 30 Bewerbern wurden sechs Lehramt-Studie­rende aus dem zweiten Semester als Lehrkräfte, sogenannte Lernhelfer, für das Projekt ausge­wählt. Das Rennen machten ausschließ­lich Frauen, die die Fächer Englisch, Mathe­matik, Germa­nistik, Physik und ev. Theologie studierten. Lukrativ war für einige Bachelor-Studie­rende: Die Arbeit wurde als Allge­meines Schul­prak­tikum anerkannt.

„Die Förderung der Kinder ist nur erfolg­reich, wenn sie intensiv, ernsthaft und konti­nu­ier­lich durch­ge­zogen wird. Aber sie muss natürlich auch Spaß machen. Denn wer kommt schon gerne jeden Samstag zum Lernen?“, gibt Dr. Krause-Hotopp zu bedenken. In den Lerngruppen, die je aus drei Schüler und einer Lernhel­ferin bestanden, wurden Deutsch (Lesen, Recht­schreiben und Grammatik), Mathe­matik, Sachun­ter­richt und Englisch in den Fokus gerückt.

Wichtig waren auch die Heft- und Mappen­füh­rung sowie die Arbeit mit dem Wörter­buch. Doch statt eines langwei­ligen Frontal­un­ter­richts alter Schule hieß das Schlag­wort „Bildungs­aspi­ra­tion“. „Wir haben keine schuli­sche Nachhilfe gegeben, sondern die Kompe­tenzen, vor allem das Weltwissen, gefördert. Das ist bedeutend für den weiteren schuli­schen Lebensweg“, so der Projekt­leiter. Wichtige Bestand­teile waren deshalb auch Besuche außer­schu­li­scher Lernorte (teilweise orien­tiert am Curri­culum der Klassen 4 und 5) wie Theater, Museen, Kinder- und Jugend­buch­hand­lungen, Stadt­bi­blio­thek, Kinder-Uni, Phaeno, Floßfahrten auf der Oker, mittel­al­ter­liche Stadt­er­kun­dungen sowie das Rathaus. So haben die Kinder viel erfahren über die Welt – und ihre neue Heimat­stadt.

„Ich wünsche mir viel mehr solche Projekte. Denn ich sehe darin eine unheim­liche Chance für die Kinder. Ich habe gesehen, was aus ihnen wird, wie sie wacher werden, wie sie neugierig werden, sie alles aufsaugen wie ein Schwamm, nicht aufhören zu fragen“, beschreibt die stell­ver­tre­tende Leiterin des Selam, Monika Bartosch, die Lernfort­schritte der Kinder im Projekt­be­richt.

„Das Projekt war rundum erfolg­reich. Es hat den Übergang in die Sekun­dar­stufe I erleich­tert und auch das Selbst­be­wusst­sein der Schüle­rinnen und Schüler gestärkt. Und Selam war der perfekte Ort für unser Bildungs­pro­jekt“, zieht Dr. Krause-Hotopp ein positives Resümee. Bestärkt wird das Ergebnis durch die emotio­nalen Worte einer jungen Schülerin, die nach zwei Jahren des beson­deren Lernens sagt: „Ohne Selam hätte ich es bestimmt nicht geschafft.“

Am 28. Februar 2014 endete das außer­ge­wöhn­liche Lernpro­jekt für Migran­ten­kinder.

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