August Vasels Vermächtnis

Der Beierstedter Ethnologe und Kunstsammler August Vasel (1848 bis 1910) reiste bis nach Palästina und Syrien. Foto: Michael Künne
Der Beierstedter Ethnologe und Kunstsammler August Vasel (1848 bis 1910) reiste bis nach Palästina und Syrien. Foto: Michael Künne

Wie vor mehr als 100 Jahren: Die Villa des wohlha­benden Landwirts, Weltrei­senden und Sammlers August Vasel in Beier­stedt befindet sich nahezu im Origi­nal­zu­stand.

Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. „Jordan-Wasser. Gefüllt am 25. II.1893. A. Vasel“. So lautet der Bande­ro­len­text auf einem kleinen, mit Siegel­lack abgedich­teten Glasgefäß, das auf dem Schreib­tisch in der Biblio­thek des vermö­genden Beier­stedter Zucker­rü­ben­land­wirt, Völker­kundler und Kunst­sammler August Vasel (1848 bis 1910) steht. Beim Schütteln der Apothe­ken­fla­sche wirbeln im leicht trüben, aber verbrieft origi­nalen Fluss­wasser Sandkörner und Stein­par­tikel auf. Daneben liegt eine filigrane Lesebrille mit ledernem Etui und Origi­nal­re­zept des Braun­schweiger Hofop­ti­kers F. Niemeyer, ein Skarabäus mit ägypti­schen Hiero­gly­phen und drei mit blauer Tinte beschrie­bene Kassen­bü­cher, die die Geschichte des großen Hofes und Vasels über 40 Reisen rekon­stru­ieren lassen. Auf einer Zeichen­mappe steht „Rembrandt“, doch sie ist leer. Wer heute das erste Oberge­schoss der eindrucks­vollen Vasel‘schen Villa betritt, fühlt sich in das späte 19. Jahrhun­dert zurück­ver­setzt.

Ein frei zugäng­li­ches Museum ist der Hof in Beier­stedt nicht. Und das soll auch zukünftig so bleiben. Schließ­lich ist die Geschichte von August Vasel nicht nur eine sehr außer­ge­wöhn­liche, sondern auch sehr persön­liche Famili­en­ge­schichte.

Zusammen mit dem Histo­riker Oliver Matuschek arbeitete die Familie Müller ab 1998 ausführ­lich die Biografie ihres promi­nenten Vorfahren auf. Mittler­weile sind durch Archiv­ar­beit, Inven­ta­ri­sie­rungen und der Forschung vor Ort mehrere sehr gute wissen­schaft­lich Publi­ka­tionen zu Beier­stedts berühm­testem Einwohner erschienen. Sogar die Zug-Fahrkarten „Söllingen-Jerxheim“ bezie­hungs­weise „Magdeburg-Berlin, Potsd. Bhf“, mit der sich August Vasel erstmalig auf den Weg machte, wurden wieder­ge­funden. „Der randvolle Papier­korb August Vasels stand noch original in der Biblio­thek. Beim Durch­su­chen des Inhalts entdeckte Oliver Matuschek die Tickets ganz unten am Boden“, so Müller.

Auch Festsaal und Herren­zimmer wurden nach dem Tod August Vasels selten aufge­schlossen. So erhielten sich die origi­nalen kostbaren Räume, wie Vasel sie verließ: Innen­aus­stat­tung mit reich geschnitztem Mobiliar des Histo­rismus, große Kachel­öfen, Kronleuchter, Stand­uhren, farbige Decken- und Wandma­le­reien, kostbaren Wandbe­span­nungen und Vorhang­stoffen. Doch viel Pflege und profes­sio­nelle Konser­vie­rungs­ar­beiten sind nötig, um den Schatz zu erhalten: Mit Unter­stüt­zung der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz und der Braun­schwei­gi­schen Stiftung aber auch der Deutschen Stiftung Denkmal­schutz, der Sparkas­sen­stif­tung, Landes­mit­teln und EU-Mitteln wurden jüngst drei rote Fenster­vor­hänge, zwei Samtvor­hänge und ein schwerer Vorhang bei den Durch­gängen („Portieren“) origi­nal­ge­treu wieder­her­ge­stellt. Rekon­stru­iert wurden sie nach histo­ri­schem Vorbild in der Paramen­ten­werk­statt der von Veltheim-Stiftung beim Kloster Sankt Marien­berg.

August Vasels Vorfahren waren in der Blütezeit der Zucker­rübe, nachdem es gelungen war, auf aller­bestem Börde­boden rund um Braun­schweig durch Züchtungen den Zucker­ge­halt der Rüben zu erhöhen, zu großem Reichtum gekommen. „Rüben­schlösser“ heißen im Volksmund die palast­ähn­li­chen und den großen Wohlstand wider­spie­gelnden Villen, die sich die reichen Rüben­bauern nicht selten mitten im alten Dorfkern bauen ließen. Ab 1880 ließ August Vasel den 20 Jahre zuvor im Stil der italie­ni­schen Frühre­nais­sance errich­teten Bau im Westen und Osten durch einen Museums­anbau und eine Biblio­thek erweitern.

Die Lebens­ge­schichte August Vasels, der sich mit Wilhelm Raabe Briefe schrieb, ist wohl einmalig: Bereits früh übergab der Zeit seines Lebens unver­hei­ra­tete und kinderlos geblie­bene Vasel die Geschäfte des Hofbe­triebes einem Verwalter, um sich voll und ganz seiner großen Leiden­schaft, das Reisen, zu widmen. Anfangs bereiste Vasel Deutsch­land, Frank­reich und die Nieder­lande, ab 1874 begab er sich viele Male nach Italien. Er besuchte Florenz, Rom, die Regionen in Oberita­lien und die Insel Sizilien. 1891 setzte er nach Ägypten über und machte darüber hinaus Halt in Griechen­land und ein Jahr später in „Constan­ti­nopel“ und „Smyrna“, das heutige Izmir (Türkei). Die weitesten Reisen führten den Ethno­logen nach Palästina und Syrien.

Vasel war ein Sammler, wie es im Buche steht. Über Jahrzehnte trug er auf seinen Reisen eine bedeu­tende kunst- und kultur­ge­schicht­liche Sammlung zusammen. Schon damals gab es Spedi­tionen, die den Transport der Kunst­güter aus den letzten Winkeln Europas und des Vorderen Orients nach Beier­stedt (Landkreis Helmstedt) übernahmen. Nachweis­lich mehr als 10.000 Objekte – zum Beispiel wertvolle Kupfer­stiche, exotische Kunst­ge­gen­stände, archäo­lo­gi­sche Fundstücke, darunter bronze­zeit­liche Grabungs­stücke aus dem Landkreis Helmstedt, und Braun­schweiger Trachten – umfasste Vasels Sammlung. Darunter befinden sich Teile einer persi­schen Rüstung, ein Teetisch aus Kairo, eine Meißner Deckel­dose mitge­bracht aus dem Orient, das Taufkleid der Prinzessin Elisabeth Christine und Mauer­bruch­stücke aus Olympia und von der Akropolis in Athen. „Er hat sogar eine ägypti­sche Kinder­mumie von seinen Reisen mitge­bracht, die ihm zum Kauf angeboten worden war“, weiß Fritz-Hermann Müller, heutiger Besitzer des Vasel‘schen Hofes und Nachfahre. „Doch diese verfiel, als sie ein ihm bekannter Arzt, wie damals üblich, in einer Herren­runde öffnete.“

Imposant: Alleine die Sammlung grafi­scher Kunst­blätter betrug rund 6500 Stück mit Unter­blät­tern nebst Aquarellen und Handzeich­nungen. Um stets einen Überblick über dieses Premi­um­kon­volut zu haben, ließ er eigens ein 388 Seiten dickes Buch in Wolfen­büttel drucken. Das Werk liest sich wie ein „Who is Who“ der damals begehrten Kunst­werke: darunter von Dürer, Rubens und Rembrandt. Nach Vasels Tod 1910, so war es der testa­men­ta­ri­sche Wille, wurde die Sammlung aufge­teilt und ging ans Herzog­liche Museum (heute Herzog Anton Ulrich-Museum), an die Museums­insel in Berlin und nach Nürnberg, also dorthin, wo die Sammler­stücke Vasels Meinung nach am besten aufge­hoben waren. Der schrift­liche Nachlass und die Briefe an Vasel befinden sich heute im Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chiv – Standort Wolfen­büttel, ein Teil der Bücher­samm­lung fand Aufnahme in der Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel.

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren

  • Besondere Einblicke garan­tiert

    Besondere Einblicke garan­tiert

    Der Tag des offenen Denkmals am 10. September im Braun­schwei­gi­schen: vom Vasel­schen Hof bis zum Park des Ritter­gutes Groß Vahlberg. Im Braun­schweiger Land betei­ligen sich rund 20 Eigen­tümer mit ihren Bauwerken am Tag des offenen Denkmals am 10. September. Darunter befindet sich eine ganze Reihe, die mit der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Braun­schwei­gi­schen Stiftung und… Weiterlesen

  • Regionale Kunst zieht an einem Strang

    Regionale Kunst zieht an einem Strang

    17 Insti­tu­tionen aus Braun­schweig, Wolfsburg, Wolfen­büttel, Salzgitter, Helmstedt und Goslar betei­ligen sich unter dem Dach der Braun­schwei­gi­schen Landschaft am „Wochen­ende der Graphik“. Die Braun­schwei­gi­sche Landschaft hat es reali­siert, dass das inter­na­tio­nale „Wochen­ende der Graphik“ am 11. und 12. November in der Region Braun­schweig ein Allein­stel­lungs­merkmal besitzt und dafür viel Anerken­nung erntet. Nirgendwo sonst werden die… Weiterlesen

  • Bis nach Indone­sien: Klavierbau im Herzogtum Braun­schweig

    Bis nach Indone­sien: Klavierbau im Herzogtum Braun­schweig

    Lange vor den bekannten Klavierfirmen Steinway & Sons und Grotrian-Steinweg waren Braunschweiger Klaviere in aller Welt zu finden: Vom Bohlweg bis nach Indonesien, Finnland und Russland. Peter Karsten, Experte für historische Musikinstrumente aus dem Braunschweigischen, erzählt in seinem Beitrag ihre weitgehend unbekannte Geschichte. Weiterlesen