Die Schub­laden voller Münzen

Fast 10.000 Mittelaltermünzen lagern im Herzog Anton Ulrich-Museum. Foto: C. Cordes, Herzog Anton Ulrich-Museum
Fast 10.000 Mittelaltermünzen lagern im Herzog Anton Ulrich-Museum. Foto: C. Cordes, Herzog Anton Ulrich-Museum

Der 1364 Seiten starke Katalog „Mittel­al­ter­liche Münzen“ des Herzog Anton Ulrich Museums zählt fast 10.000 Zahlungs­mittel.

Um 9955 mittel­al­ter­liche Münzen zu katalo­gi­sieren, benötigt man eine Engels­ge­duld. Viel wichtiger jedoch: Spezi­al­wissen in Numis­matik. Ansonsten sollte man lieber die Finger von derar­tiger Herku­les­ar­beit lassen. Prof. Dr. Wolfgang Leschhorn, der Leiter des Münzka­bi­netts des Herzog Anton Ulrich-Museums (HAUM) und in der Vergan­gen­heit Lehrbe­auf­tragter in Basel, Wien und Salzburg hat das Abenteuer gewagt. Der Experte nahm innerhalb von vier Jahren sämtliche Münzen und Silber­barren des herzog­li­chen Museums aus der Zeit von 491 nach Christus bis ins 16. Jahrhun­dert unter die Lupe. Auf dem Tisch seines Büros in der HAUM-Außen­stelle Burg Dankwar­derode liegt ein zweibän­diger Bestands­ka­talog mit dem Titel „Mittel­al­ter­liche Münzen“.

Exakt 1364 Seiten kamen am Ende heraus, eine Fundgrube für alle Mittel­al­ter­his­to­riker, Landes­his­to­riker, Kunst­his­to­riker aber auch Numis­ma­tiker, Sammler und Münzhändler, wie bereits viele Rezen­senten in Fachzeit­schriften betonten. Kommen­tare und Litera­tur­hin­weise runden das Fleißwerk ab. Gestaltet wurden die beiden dicken Bände von Studie­renden der Hochschule der Medien in Stuttgart, die sich 10 Monate mit dem Layout beschäf­tigten und so einen tiefen Einblick in die Gestal­tung wissen­schaft­li­cher Publi­ka­tionen gewannen.

„Braun­schweig war ein Zentrum für mittel­al­ter­liche Numis­matik“, sagt Prof. Dr. Leschhorn, der heute an der Techni­schen Univer­sität Braun­schweig und als Honorar­pro­fessor in Leipzig lehrt. Dies fußt auf der Tatsache, dass die Herzöge von Braun­schweig-Wolfen­büttel bereits im 17. Jahrhun­dert Münzen sammelten. Die erste Ausstel­lung bei der Eröffnung des neu gegrün­deten Kunst- und Natura­li­en­ka­bi­netts 1754 war – wie sollte es anders sein – eine Münzen­schau. „Daniel de Super­ville, der erste Direktor des Braun­schweiger Museums unter­rich­tete die herzög­li­chen Söhne in Numis­matik. Er lehrte sie Geschichte über die Münzen“, so Leschhorn. Und zwei Jahre nach der Eröffnung des Vorläu­fers des Herzog Anton Ulrich-Museums fiel auch ein wichtiger Schatz­fund am Ägidi­en­kloster, als Münzen des Herzogs Heinrich der Löwe zu Tage kamen.

Zwischen dem Jahr 1000 und 1550 sind 51 Schatz­funde mittel­al­ter­li­cher Münzen dokumen­tiert. Der Großteil der Mittel­al­ter­münzen, die im nord- und mittel­deut­schen Raum gefunden wurden, fand im 18. und 19. Jahrhun­dert den Weg in die herzog­li­chen Magazine. Paul Jonas Meier, der Leiter des herzog­li­chen Museums von 1886 bis 1924, ergänzte die Mittel­al­ter­be­stände durch gezielte Zukäufe aus dem Münzhandel, in Auktionen und aus Privat­samm­lungen, wie die berühmter Sammlungen des Generals von Graba, Arthur Löbbeckes und Emil Bahrfeldts. Heute verfügt das HAUM über eine der größten Sammlungen mittel­al­ter­li­cher Münzen in Deutsch­land.

Mehr als 400 Münzprä­ge­stätten gab es in Mittel­eu­ropa, sogar eine im Heiligen Land. „Im König­reich Jerusalem haben die Kreuz­fahrer ihre eigenen Münzen geprägt“, so Prof. Dr. Leschhorn, der zuvor die griechi­schen und römischen Münzen des imposanten HAUM-Bestandes publi­zierte. Die älteste Münze, eine Byzan­ti­ni­sche, datiert auf das Jahr 491 nach Christus. Man muss kein Geschichts-Prose­minar besucht haben, um zu wissen, dass in der Forschung um dieses Jahr der Übergang von der Antike ins Mittel­alter vonstatten ging. Chrono­lo­gisch geht der Katalog im vorderen Teil vor: Ostgoten, Lango­barden, Angel­sachsen, Wikinger, Merowinger und Karolinger hatten ihre ganz eigenen Zahlungs­mittel. Unter dem Braun­schweiger Herzog Heinrich der Löwe vollzog sich Mitte des 12. Jahrhun­derts ein Wandel: Die so genannten Brakteaten (Braktia = dünnes Silber­blech) wurden nur noch einseitig geprägt. Nimmt man diesen Münzen­typus der Folge­jahr­zehnte in die Hand, muss man aufpassen, dass er nicht zwischen den Fingern zerbrö­selt. Schwer indes ist ein etwa handgroßer Silber­barren aus dem 14. Jahrhun­dert, der tief einge­prägte sogenannte Gegen­stempel zeigt nicht nur die Herkunft, sondern garan­tiert auch die Echtheit.

Dass sehr viele mittel­al­ter­liche Urkunden gefälscht sind, ist hinläng­lich bekannt. Krimi­nelle Energie gab es jedoch auch im Münzge­schäft: Ausge­rechnet der Univer­sal­ge­lehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) hatte dafür gesorgt, dass der Medail­leur Nicolaus Seeländer (1683–1744) in Hannover als Kupfer­ste­cher und Hofmaler angestellt wurde. Seeländer hatte Zugang zu großen Münzka­bi­netten und Privat­samm­lungen. Er fälschte viele Brakteaten, machte sie zu Geld. Einige davon landeten im Bestand des Herzog Anton Ulrich-Museums. Erst rund 100 Jahre später kam man dem cleveren Fälscher auf die Schliche. 182 Brakteaten-Fälschungen konnte Leschhorn und Forscher vor ihm enttarnen, sie sind ebenfalls im Katalog enthalten. Im Vorwort des Kapitel Fälschungen heißt es: Sie sind als Warnung für unbedarfte Sammler alle abgebildet.

Fakten

Wolfgang Leschhorn: Mittel­al­ter­liche Münzen, 2 Bände, 1364 Seiten, Format 21 cm x 29,6 cm, Braun­schweig 2015
Preis: 49,90 Euro
ISBN: 978–3‑922279–71‑6

Erhält­lich: Herzog Anton Ulrich-Museum (Museum­straße 1, 38100 Braun­sch­wieg, info.haum@3landesmuseen.de), örtlicher Buchhandel, Münzhandel

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