Heinrich der Löwe in Eisen vor Braun­schweigs Residenz­schloss

Wohlfahrts-Postkarte „Heinrich der Löwe in Eisen“ von 1915 mit Stempel vom 24.5.1916. Foto: Sammlung Reinhard Bein
Wohlfahrts-Postkarte „Heinrich der Löwe in Eisen“ von 1915 mit Stempel vom 24.5.1916. Foto: Sammlung Reinhard Bein

In der 40. Folge der Serie Beins Postkarten befasst sich der Autor mit der Figur „Heinrich der Löwe in Eisen“, die nun im Landes­mu­seum steht.

Die Rückseite der Karte vom Mai 1916 infor­miert über ihre Aufgabe: „Wohlfahrts­post­karte. Heraus­ge­geben vom Ausschuß für die Aufstel­lung ‚Heinrichs des Löwen in Eisen‘. Der Reinertrag wird zu gleichen Teilen für die verei­nigten Männer- und Frauen­ver­eine vom Roten Kreuz, für den Liebes­gaben-Ausschuß Braun­schweig und für die Kriegs­be­schä­digten verwandt.“ Unsere Karte ist gerichtet an Emmy Gerlach in Bad Pyrmont, „Töchter­heim Oswald Philippi“, und wurde abgeschickt, als bei ersten Hunger­kra­wallen in Braun­schweig wütende Arbei­ter­frauen und Lehrlinge Schau­fens­ter­scheiben einwarfen und Lebens­mit­tel­ge­schäfte plünderten. Der Text: „Liebe Emmy! Herzl. Grüße aus der Residenz Braun­schweig, wo ich geschäft­lich zu tun hatte. Habe soeben ein kl. Lecker-Paket an Dich absenden lassen. Du mußt Chocolade essen nicht verlernt haben! Herzl. Grüße von Deiner Mutter.“ Wer sich im Krieg eine Privat­schule und ein Töchter­heim in Bad Pyrmont leisten konnte, hungerte natürlich nicht.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 06.10.2021 (Bezahl-Artikel)

Als diese Wohlfahrts­karte, eine von 5000, verschickt wurde, war „Heinrich der Löwe in Eisen“ fünf Monate alt. Der Bildhauer Arnold Kramer, von dem unser Eulen­spie­gel­brunnen stammt, hatte die Figur entworfen. Sie ist 3,50 Meter hoch, aus „afrika­ni­schem Weißholz“ und war sorgsam geschützt durch einen Pavillon. Sie stand vor dem herzog­li­chen Residenz­schloss und sollte die Bürger in der Zuver­sicht bestärken, dass der Krieg durch das Zusam­men­stehen aller zu gewinnen wäre.

Die Einwei­hung der Statue

Der „Braun­schweiger Allge­meine Anzeiger“ berich­tete am 5. Dezember 1915: „Auf dem Schloß­platze versam­melten sich in der zwölften Stunde die zu der Einwei­hungs­feier geladenen Behörden und Vereine vor dem Pavillon, der das Standbild des eisernen Herzogs umgibt, dem Braun­schweig erst seine eigent­liche Stadt­wer­dung verdankt. Eine zahlreiche Volks­menge wohnte der Einwei­hungs­feier bei. Kurz vor zwölf Uhr erschallten Komman­do­rufe, die Schloß­wache trat ins Gewehr. Trommel­wirbel ertönte und durch das Mittel­portal betrat Ihre König­liche Hoheit, die Frau Herzogin, den Schloß­platz.“ Sie wurde von Minister Boden, Oberbür­ger­meister Retemeyer, Polizei­prä­si­dent von dem Busch, Schul­in­spektor Sattler, dem Leiter des Organi­sa­tions-Komitees, und Arnold Kramer empfangen. Unter den Klängen eines Dankge­bets wurde die Statue enthüllt, und Dompre­diger Dr. von Schwarz hielt eine flammende Rede:

„Vor dem Stand­bilde eines Helden versam­meln wir uns heute in einer schweren Zeit. Wohl ziemt es uns, in diesen Tagen des Mannes zu gedenken, der einst mit gewal­tiger Kraft einen Wall geschaffen hat für das Deutschtum vor dem Slawentum.“ Er gedachte dann der Toten des Krieges und mahnte die Lebenden, ihre Tage nicht in „leicht­fer­tiger Genuss­sucht, mit eitlem Tand, in selbst­süch­tiger Erwerbs­gier“ zu verbringen. Wer könnte, sollte spenden, „sich dankbar erweisen durch die Tat für die, die uns die Heimat schützen. Und wenn dereinst Kinder und Kindes­kinder dies Bildnis in dem Kleid von Eisen sehen, sollen sie sich erzählen lassen von der Zeit, da das ganze deutsche Volk zusam­men­ge­schweißt war gegen Albions Falsch­heit (gemeint: England), gegen mosko­wi­ti­sche Rachsucht (Russland) und welsche Tücke (Frank­reich und Italien).“ Das also waren nach seiner Defini­tion die Schul­digen am Krieg, und Heinrich der Löwe war ein Friedens­fürst.

Viktoria Luise schlägt den ersten Nagel ein

Nach des Pastors Rede erklang die Natio­nal­hymne und „Ihre König­liche Hoheit, die Frau Herzogin, schritt zu dem Stand­bilde hinauf, um den ersten Nagel einzu­schlagen, der mit den Initialen EA und VL (Ernst August und Viktoria Luise) geziert ist. Aus der Hand eines mit dem Eisernen Kreuze geschmückten 92ers nahm die hohe Frau den Hammer entgegen und schlug den goldenen Nagel in die Mitte des Schildes, das der Herzog vor sich hielt.“ Ihr folgte der Landes­mi­nister mit einem Nagel über und der Oberbür­ger­meister mit einem unter dem herzog­li­chen. Danach durften die zuvor angemel­deten Volks­ver­treter nageln. Position auf dem Schild, Material und Größe der Nägel dokumen­tierten dabei die Bedeutung der Spender. Die goldenen bildeten das Zentrum des Schildes. Sie und die im inneren Oval anzubrin­genden 48 silbernen waren beschriftet, sie kosteten 300 bzw. 100 Mark.

Aber natürlich täuschten die Nägel nur Edelme­tall vor, denn dieses sollte ja den Krieg finan­zieren helfen. Weniger kosteten hingegen die namen­losen kleinen Nägel. Letztlich war also alles Genagelte aus Eisen: So trägt Heinrich der Löwe in Eisen seinen Namen zu Recht. Ein Gedenk­buch, das das Landes­mu­seum aufbe­wahrt, hielt alle Spender und die Größe ihrer Geldgabe fest.

Nachdem etliche Vereine, Behörden und Einzel­per­sonen ihre Nägel platziert hatten, verließ Viktoria Luise die Veran­stal­tung, die damit offiziell beendet war. Die Nagelung ging bis Sonnen­un­ter­gang weiter und wurde in den folgenden Monaten fortge­setzt. – „Gold gab ich für Eisen“, das wurde erstmals im Kampf gegen Napoleon propa­giert. In manchen Schub­läden erinnern noch heute Ringe aus Eisen und Kupfer an diese Art der Kriegs­fi­nan­zie­rung.

Die Figur wird zum Ärgernis

Die SPD-Zeitung „Volks­freund“ kommen­tierte in einer Kurzmel­dung die Einwei­hungs­feier: „Es ist bedau­er­lich, daß man erst zu solchen Mitteln greifen muß, zu dem Mittel der Erweckung der Eitelkeit, um die Markstücke bei den Besit­zenden für wohltä­tige Zwecke loszu­eisen.“ Der „Volks­freund“ hatte Recht: Nur Besit­zende nagelten, aber nicht viele. Sie kauften lieber Kriegs­an­leihen, denn die verspra­chen hohe Gewinne nach dem Sieg. Wie wir wissen, kam es anders, denn die Feinde siegten und vergol­deten sich ihre eigenen Kriegs­an­leihen. Und die Deutschen erhielten für ihre, als sie während der Infla­ti­ons­jahre ausge­zahlt wurden, nur Papier­fetzen.

Im September 1918 beschloss der Ausschuss, den Eisernen Heinrich ins Vater­län­di­sche Museum (ab 1935 Landes­mu­seum) zu überführen, denn es war abzusehen, dass der Zorn der hungernden Menschen dieses Symbol ihrer Verelen­dung zerstören würde. Seit Februar 1919 wurde Heinrich im ehema­ligen Kloster St. Aegidien ausge­stellt, das als „Vater­län­di­sches Museum“ diente, und machte 1989 den Umzug ins Landes­mu­seum am Burgplatz mit. Zurzeit ist das Museum aller­dings wegen Umbau­ar­beiten geschlossen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 06.10.2021 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article233506425/Heinrich-der-Loewe-in-Eisen-vor-Braunschweigs-Residenzschloss.html (Bezahl-Artikel)

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