Achte auf das, was du sagst!

Tim Etchells präsentiert seine Soundcollage in 15 Räumen der Villa Salve Hospes“. Foto Susanne Jasper
Tim Etchells präsentiert seine Soundcollage in 15 Räumen der Villa Salve Hospes“. Foto Susanne Jasper

Together Apart – Sound­col­lage von Tim Etchells im Kunst­verein Braun­schweig.

„Shout your head off!“ Schreit mich der Lautspre­cher an. Das heißt so viel wie: Schreie dir die Seele aus dem Leib. Oder: Schreie, bis dein Kopf abfällt.

Das hättest du wohl gerne, lauter Lautspre­cher! Reicht doch aber,  wenn du schon schreist. Ich verwei­gere mich! Ich bin doch kein Befehls­emp­fänger. Sowieso nicht. Und von einem seelen­losen Lautspre­cher lasse ich mich schon gar nicht rumkom­man­dieren. Von deinem Gebrüll bekomme ich allen­falls Geheim­rats­ecken auf der Seele. Aber Seele aus dem Leib? Nö. Ich bleibe lieber am Fenster stehen, gucke raus auf die Wiese vom städti­schen Freibad, das an das Haus Salve Hospes grenzt. Das Volley­ball­netz weht sachte im  Frühlings­wind. Bald weht wieder das Gekrei­sche von aufge­kratzten Arsch­bom­bern vom Drei-Meter-Brett herüber. Sommer, schön wär‘s. Noch ruht das Badebe­cken in jungfräu­li­cher Stille. Bis zum 14. Mai schallt es noch aus dem Kunst­verein heraus. Also: Pull yourself together:  Reiße dich zusammen!

Der britische Künstler Tim Etchells (*1962) hat für den Kunst­verein Braun­schweig die Sound­in­stal­la­tion „Together Apart“ entwi­ckelt. In den 15 Räumen auf zwei Etagen der Villa steht jeweils ein Lautspre­cher. Während der Laufzeit von 43 Minuten wird der Besucher mit diversen  Handlungs­an­wei­sungen konfron­tiert. Es sind englische Redewen­dungen, die allesamt zum Spektrum mensch­li­chen Mitein­an­ders, zum Gefühls- und Seelen­haus­halt, zum Verhal­tens­in­stru­men­ta­rium gehören. „Folge deinem Herzen“, „Zügele  deine Zunge“, „Stecke deine Nase da nicht rein“. Die Stimmen überlappen sich zu einer Sound­col­lage, manche sind lauter als andere, manche schnarren mehr, andere sind (be-)drängender und so verwebt sich dieser Klang­tep­pich zu einem vielstim­migen Wechsel­spiel. Das ist schon zwingend. Dem bist du unwei­ger­lich ausge­lie­fert, das umfängt dich als einen Mit- oder Gegen­spieler. Wenn du an einem Freitag um 11 Uhr ganz allein durch die leeren Räume streifst, hast du nach spätes­tens 10 Minuten das Gefühl, dass hier viele unterwegs sind, die über dich hinweg reden, dich anreden, dass du gar nicht allein und unbeob­achtet bist. Im Gegenteil: „Keep your eyes peeled“. „Halte deine Augen offen!“ Denn wer weiß, was im nächsten Raum,  hinter der nächsten Ecke lauert. Vielleicht wird es dort richtig eng.

Und so fühlt man sich natürlich angespro­chen, kann sich bei allen abschwei­fenden Ausbli­cken auf die Freibad­wiese diesem Soundsog natürlich nicht entziehen, wird bei aller akusti­schen Gegenwehr im eigenen Gehörgang doch zum Teil der Instal­la­tion. Das ist schon faszi­nie­rend, wie man sich dem eigenen Sinn nicht entziehen kann. Wie man anfängt, zu übersetzen, zu entschlüs­seln, zu enträt­seln. Und natürlich in einen Dialog schlit­tert: Was will man mir sagen? Was soll das? „Take your fingers out: Kümmere dich um deine eigenen Angele­gen­heiten!“ Ich mach doch gar nichts. Ha! Und schon hat man reagiert, weil man sich angespro­chen, gefordert, bedrängt fühlt. Zudem ist es auch ein bis dato womöglich unerhörtes Erlebnis, dass Sprache durchaus raumfül­lend sein kann. Man geht durch leere  Räume, die trotz Abwesen­heit der Sprecher körper­lich angefüllt zu sein scheinen: durch Betonung, Rhythmus, Lautstärke, Modula­tion.

Die Dauer­schleife der Wieder­ho­lung der Redens­arten nagt nach einem halben Stündchen natürlich an den Nerven. Aber das ist wohl auch gewollt. Ähnlich nerven­na­gend ist das Leben mit all seinen  Befehls­struk­turen und leerdre­henden Dialogen ja mitunter auch. Also: Watch your tongue: Achte auf das, was du sagst!

Die Ausstel­lung wird ermög­licht durch das Nieder­säch­si­sche Minis­te­rium für Wissen­schaft und Kultur und die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz.

Haus Salve Hospes, Lessing­platz 12, Di.-So. 11 bis 17 Uhr, Do.: 11 bis 20 Uhr, Führungen So.: 15 Uhr, Do.: 18 Uhr. Oster­montag: 11 bis 17 Uhr geöffnet, Karfreitag geschlossen.

Mehr über den Künstler und den Kunst­verein unter:

http://timetchells.com/

http://www.kunstverein-bs.de/

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