Auf der Suche nach dem Bild im Kopf

„Hören und Sehen“ hieß das letzte Stück des „Theater Endlich“. Foto Theater Endlich
„Hören und Sehen“ hieß das letzte Stück des „Theater Endlich“. Foto Theater Endlich

Seit 20 Jahren spielen Menschen mit körper­li­cher und geistiger Beein­träch­ti­gung Theater im „Theater Endlich“ der Evange­li­schen Stiftung Neuerke­rode. Auch in diesem Jahr planen sie das Festival „Wechsel­blick“, um sich und ihre Kunst dem Publikum zu zeigen.

1997 entstand im Rahmen der Villa Luise, der Kunst­werk­statt der Evange­li­schen Stiftung Neuerke­rode, das Theater Endlich. Zurzeit gehören ihm neun Mitglieder mit körper­li­chen und geistigen Beein­träch­ti­gungen an. Für das Schau­spiel sind sie von ihrer sonstigen Arbeit freige­stellt. Für Martin von Hoyningen Huene ist das ein großer Luxus, weil so sehr intensive, profes­sio­nelle Arbeit mit der Gruppe möglich ist. Seit 2001 leitet er das Theater.

„Ich habe so viel gelernt in der Zeit, tolle Menschen getroffen und berüh­rende Momente erlebt“, erzählt er rückbli­ckend. Sein Anliegen ist, die Arbeit von Künstlern mit Beein­träch­ti­gungen in der Stadt und der Gesell­schaft sichtbar zu machen. „Inklusion ist zwar sehr präsent, trotzdem haben viele Leute Berüh­rungs­ängste“. Besonders beein­druckt Huene dabei die starke physische Ausdrucks­fä­hig­keit der Schau­spieler, die fast ohne Sprache auskommen. Mittler­weile erarbeitet das Theater jährlich einer Produk­tion, unter­stützt wird es dabei auch von Kyra Mevert bei der Textar­beit und Mirja Lendt bei der Insze­nie­rung. Für die Choreo­gra­phie, das Bühnen­bild und die Musik arbeitet die Gruppe mit unter­schied­li­chen Künstlern zusammen, die durch neue Impulse die Arbeit immer wieder weiter­ent­wi­ckeln.

Huene legt Wert darauf, dass die „Endlichs“, wie er die Schau­spieler liebevoll nennt, ihre Stücke selbst entwi­ckeln. Am Anfang stehe viel impro­vi­sa­to­ri­sche Arbeit, aus der sich dann, in Zusam­men­ar­beit mit einem Choreo­gra­phen, das Stück entwickle. Dies reduziert sich vor allem auf Bewegung, Sprache spiele nur eine Neben­rolle. Die Theater­gruppe wird für ihre Projekte auch von  Malern, Bildhauern und Musikern unter­stützt, die immer wieder Rollen in den Stücken übernehmen.

Seit mehreren Jahren organi­siert das Theater Endlich zudem das Festival „Wechsel­blick“. Natürlich wird dabei das eigene Stück aufge­führt, aber es sind immer befreun­dete Theater­gruppen mit ihren Auffüh­rungen einge­laden. Mit weiteren Gästen werden Workshops veran­staltet.

Dabei ist der Name „Wechsel­blick“ Programm. „Wir wollen Dinge aus unter­schied­li­chen Perspek­tiven betrachten, andere Sicht­weisen zeigen und die Gedanken öffnen für neue Blick­rich­tungen“, erläutert Huene das Konzept. So war das Thema im vergan­genen Jahr „Hören und Sehen“. Der Festi­val­bei­trag des Theater Endlich war das Stück „Kopf im Bild“, in dem sich die Schau­spieler auf eine Entde­ckungs­reise durch ihre Wahrneh­mungen und Sinne begeben haben. Auch hier standen unter­schied­liche Vorstel­lungen im Mittel­punkt, verschie­dene Betrach­tungs­weisen und Ideen eines Gegen­standes zum Beispiel.

Zu Gast war die Gruppe „Die Taube Zeitma­schine“ aus Berlin, die einen Überblick über die Geschichte der Gehör­losen, ihr Schicksal im Dritten Reich und die Gebär­den­sprache schau­spie­le­risch zeigten. Am Ende stand die Diskus­sion über die Entwick­lung neuer Implan­tate, die Gehör­losen das Hören ermög­li­chen können, von Betrof­fenen aber auch kritisch gesehen werden. Bei einem Abend rund ums Sehen und Nicht-Sehen mussten die Teilnehmer sich unter anderem im Dunkeln durch einen Parcours tasten. Auch die Peter-Räuber-Schule, die Hans-Würtz-Schule und die Villa Luise betei­ligten sich mit Projekten und Workshops an dem Festival.

Die Förderung des Theater Endlich erfolgt projekt­be­zogen für einzelne Insze­nie­rungen oder das Festival Wechsel­blick. Huene ist froh, dass er dabei auf eine große Konti­nuität der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz und der Braun­schwei­gi­schen Stiftung blicken kann. Auch andere Stiftungen, wie beispiels­weise die Aktion Mensch, unter­stützen regel­mäßig.

Und das nächste „Wechsel­blick“ wirft seine Schatten voraus, im Spätsommer lädt das Theater Endlich wieder zum Festival ein, verbunden mit dem 20jährigen Jubiläum der Theater­gruppe. Thema dieses Mal: Heimat. „Heimat ist ein realer Ort, zu dem man eine besondere Beziehung hat. Zugleich kann es aber auch eine Utopie sein, die man sich erschafft“, erklärt Huene die ersten Gedanken dazu. In Kürze steht die erste intensive Proben- und Recher­che­phase mit den „Endlichs“ an. Dabei werden sie auch ihre Heimat erkunden, fotogra­fieren und nachspüren, was jeder einzelne damit verbindet. Daraus wird sich nach und nach ein Stück formen, auch Huene ist gespannt auf das Ergebnis.

Infor­ma­tionen

Festival Wechsel­blick im LOT-Theater und an anderen Orten wieder im August und September.
Genaue Termine und Infos zu den Veran­stal­tungen demnächst auf www.lot-theater.de.

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