Die andere 68er-Biografie

: Gert Hoffmann (rechts) mit Sigmar Gabriel während der Buchvorstellung in Berlin. Foto: Der Löwe
: Gert Hoffmann (rechts) mit Sigmar Gabriel während der Buchvorstellung in Berlin. Foto: Der Löwe

Braun­schweigs ehema­liger Oberbür­ger­meister Gert Hoffmann stellte in Berlin seine Autobio­grafie „Von Irrwegen in die Verant­wor­tung“ der natio­nalen Presse vor.

Auf großes Interesse stieß die Vorstel­lung der Autobio­grafie von Braun­schweigs früherem Bürger­meister Gert Hoffmann in Berlin. Der gebürtige Berliner schildert in dem Buch seine wichtigsten Lebens­sta­tionen, Beweg­gründe für politi­sche Positionen und Entschei­dungen sowie Begeg­nungen mit bedeu­tenden Persön­lich­keiten. Das im Klartext-Verlag erschie­nene Werk mit dem Titel „Von Irrwegen in die Verant­wor­tung“ wurde heute vom früheren Bundes­au­ßen­mi­nister Sigmar Gabriel im Rahmen einer überre­gio­nalen Presse­kon­fe­renz vorge­stellt.

In der Autobio­grafie arbeitet Hoffmann auch seine Vergan­gen­heit in der NPD Ende der 1960er Jahre in großer Offenheit auf. Er begrün­dete den „Irrweg“ mit seiner fanati­schen Abneigung gegenüber dem Kommu­nismus, der Lage Berlins als geteilter Stadt und dem Tod Peter Fechters, dem ersten Maurer­toten. Er erwähnte die erste große Koalition, die der APO durch den natio­nal­so­zia­lis­tisch belas­teten Kanzler Georg Kiesinger (CDU) und ihm durch den Ex-Kommu­nisten Herbert Wehner (SPD) unmöglich erschien.

Sigmar Gabriel erinnerte daran, dass es wegen der früheren Rechts­ra­di­ka­lität noch bei der OB-Kandi­datur Stimmen in der SPD gegeben habe, die das als Ausschluss­kri­te­rium angesehen hätten. „Das habe ich als unwür­digen Vorgang für eine aufge­klärte Debatte gehalten. Ich habe es politisch als geradezu dumm angesehen. Demokratie muss sich trauen, wertzu­schätzen, wenn Menschen mit extremer Vergan­gen­heit in die verfas­sungs­mä­ßige Ordnung zurück­finden“, sagte Gabriel.

Breiten Raum nehmen in Hoffmanns Memoiren die Jahre als Braun­schweiger Oberbür­ger­meister von 2001 bis 2014 ein. Hinter­gründig berichtet er über die großen Themen seiner Amtszeit. Besonders im Fokus stehen dabei der Wieder­aufbau des Schlosses mit der ECE-Ansied­lung, die Teilpri­va­ti­sie­rung der Versor­gungs AG und der Sparkas­sen­streit. Seine damalige Position, die Braun­schwei­gi­sche Sparkasse mit Hilfe von Privat­in­ves­toren zu errichten, sei seiner­zeit strikt abgelehnt worden. Heute würde über so einen Weg bei der kriselnden Nord/LB nachge­dacht, erlaubte er sich eine Neben­be­mer­kung.

Gabriel, der als Nieder­sachse die Entwick­lung Braun­schweigs genau beobach­tete, konsta­tierte, dass Hoffmann der Stadt während seiner Amtszeit neue Dynamik verliehen habe, von der sein sozial­de­mo­kra­ti­scher Nachfolger Ulrich Markurth noch immer profi­tiere. Bei Hoffmanns Wahl 2001 habe das Partei­buch keine Rolle gespielt. „Es gab keinen Schwung mehr in der Stadt. Die Stadt hat damals danach gelechzt, auf Vorder­mann gebracht zu werden. Und das hat Gert Hoffmann geschafft“, so Gabriel. Er lobte die hohe fachliche Kompetenz Hoffmanns.

Mensch­lich imponierte Sigmar Gabriel Hoffmanns Initia­tive, Gerhard Glogowski zum Ehren­bürger Braun­schweigs gemacht zu haben. „Gerhard Glogowski hatte damals Probleme, war als Minis­ter­prä­si­dent zurück­ge­treten und nieder­ge­schlagen. Ihm die Ehren­bür­ger­schaft zu verleihen war eine großar­tige Geste. Aus einer verletzten Persön­lich­keit hat er wieder eine stabile gemacht“, sagte Gabriel. Eine Lebens­leis­tung lasse sich nicht an einem Ereignis festma­chen. Das gelte für Glogowski wie für Hoffmann.

Besonders beein­dru­ckend sind Hoffmanns Schil­de­rungen der Begeg­nungen mit dem früheren Vorstands­chef der Volks­wagen AG, Ferdinand Piëch, der in Hoffmanns Amtszeit Ehren­bürger der Stadt Braun­schweig wurde. Am Rande erwähnte Hoffmann, dass er bei einem der Besuche in Salzburg auch den seit gestern designierten VW-Vorstand Gunnar Kilian kennen und vor allem schätzen gelernt habe. Aus der Politik werden vor allem Treffen mit Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Christian Wulff und Angela Merkel beschrieben und einge­ordnet in die politi­sche Gemenge­lage.

Außer­ge­wöhn­liche Einblicke gibt Hoffmann mit seiner Autobio­grafie auch in die Jahre nach der Wieder­ver­ei­ni­gung, in denen er nach der Wieder­ver­ei­ni­gung 1991 als Regie­rungs­prä­si­dent in Dessau eine besonders wichtige politi­sche Position in einer einzig­ar­tigen Situation innehatte. Es galt, in der nach dem Ende der DDR insta­bilen Situation neue Lebens­per­spek­tiven für die Menschen zu entwi­ckeln.

„Dessau war keine Bezirks­stadt in der DDR. Insofern war meine Aufgabe dort singulär. Wir bauten aus dem Nichts eine funktio­nie­rende Verwal­tung auf. Es war eine große Heraus­for­de­rung, weil dort 30.000 Arbeits­plätze abgebaut werden sollten. Das der Chemie­standort Bitter­feld gerettet werden konnte, war insbe­son­dere auch Helmut Kohl zu verdanken“, erinnerte sich Hoffmann.

Aus überre­gio­naler Sicht besonders inter­es­sant sind die frühen politi­schen Jahre Hoffmanns. Als die politisch engagierte Jugend überwie­gend links einge­stellt war, vertrat Hoffmann als ein Exponent der NPD-Studen­ten­schaft den Rechts­ra­di­ka­lismus im Göttinger Studen­tenrat. 50 Jahre später steht diese „andere 68er-Biografie” im Gegensatz zu den meisten Lebens­wegen der damals politisch aktiven Studenten.

Seinen „Irrweg” korri­gierte er bereits nach zwei Jahren. 1970 trat er in die CDU ein und machte Karriere. Nach seiner juris­ti­schen Ausbil­dung schlug Hoffmann eine Verwal­tungs­lauf­bahn ein und promo­vierte beim späteren Bundes­jus­tiz­mi­nister aus den Reihen der FDP, Edzard Schmidt-Jortzig. Seine ersten beruf­li­chen Stationen hatten Hoffmann nach Hemmoor und Gifhorn geführt.

Für seine Verdienste um das Land Nieder­sachsen verlieh ihm 2014 Minis­ter­prä­si­dent Stephan Weil die Landes­me­daille, die höchste und sehr selten vergebene Auszeich­nung Nieder­sach­sens. Hoffmann war 13 Jahre lang Präsident der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz (SBK) und ist Ehren­vor­sit­zender der Gesell­schaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Garten­rei­ches.

Fakten

„Von Irrwegen in die Verant­wor­tung“

Autobio­grafie von Gert Hoffmann

Gebundene Ausgabe: 488 Seiten

Verlag: Klartext

ISBN-10: 3837519155

ISBN-13: 978–3837519150

Größe: 16,5 x 4 x 22,7 cm

Preis: 29,95 Euro

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