Inspi­riert von Otto Ralfs

Das Schlossmuseum widmet der von Otto Ralfs gegründeten „Gesellschaft der Freunde junger Kunst“ eine vielbeachtete Sonderausstellung. Foto: Schlossmuseum
Das Schlossmuseum widmet der von Otto Ralfs gegründeten „Gesellschaft der Freunde junger Kunst“ eine vielbeachtete Sonderausstellung. Foto: Schlossmuseum

Der bedeu­tende deutsche Galerist Rudolf Zwirner erinnert sich in seinen Memoiren „Ich wollte immer Gegenwart“ an prägende Nachkriegs­jahre in Braun­schweig.

In Braun­schweig entwi­ckelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg rasch wieder ein inten­sives kultu­relles Leben. Mitten­drin war der junge Rudolf Zwirner (geb. 1933), der sich später zu einem der bedeu­tendsten deutschen Galeristen entwi­ckeln sollte.

Sein erster Versuch, Kunst weiter­zu­ver­kaufen, schei­terte aller­dings, war aber initiiert worden durch den bemer­kens­werten Braun­schweiger Kunst­mäzen und Sammler Otto Ralfs. In seiner gerade erschie­nenen Autobio­grafie „Ich wollte immer Gegenwart“ berichtet Zwirner von den entschei­denden Menschen, Begeg­nungen und Momenten in seinem Leben. Ralfs gehört dazu.

Ausstel­lung im Schloss­mu­seum

Der bekannte Galerist Rudolf Zwirner erinnert sich an seine Braunschweiger Zeit. Foto: Wienand Verlag
Der bekannte Galerist Rudolf Zwirner erinnert sich an seine Braun­schweiger Zeit. Foto: Wienand Verlag

Aktuell widmet das Schloss­mu­seum der von Ralfs1924 gegrün­deten „Gesell­schaft der Freunde junger Kunst“ eine vielbe­ach­tete Sonder­aus­stel­lung. Bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1933, vor dem Hinter­grund natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Verfol­gung moderner Kunst, hatte die Gesell­schaft um Otto Ralfs mehr als 40 Ausstel­lungen mit Werken von unter anderem Paul Klee (1879–1940) und Wassily Kandinsky (1866–1944) im Schloss veran­staltet. Das nach der Lockerung der Corona-Beschrän­kungen gerade wieder eröffnete Schloss­mu­seum zeigt Gemälde, Druck­gra­fiken und Plastiken der Avant­gar­disten aus den 1920er und 1930er Jahren.

„Pop Art“ nach Deutsch­land geholt

Rudolf Zwirner berichtet in seinen Memoiren, Ralfs habe ihn eines Tages gebeten, eine Zeichnung von Klee für 200 Deutsche Mark seinem Vater zum Kauf anzubieten. „Mein Vater lehnte jedoch mit dem Hinweis darauf ab, dass er noch für 200 Deutsche Mark Schulden in der Buchhand­lung habe und diese erst einmal beglei­chen wolle. Damals war die enorme Preis­stei­ge­rung eines Klee-Bildes noch nicht abzusehen“, erinnert sich Zwirner, der später in seiner Kölner Galerie Werke von Ikonen wie Andy Warhol, Gerhard Richter, Georg Baselitz und Sigmar Polke ausstellte. Zwirner holte die „Pop Art“ nach Deutsch­land.

Rudolf Zwirner (links) mit Sigmar Polke, 1969. Foto: Wienand Verlag
Rudolf Zwirner (links) mit Sigmar Polke, 1969. Foto: Wienand Verlag

Seine Braun­schweiger Jahre prägten den jungen Zwirner, der 1940 mit seinen Eltern nach Braun­schweig gekommen war, entschei­dend. Sein Vater hatte das Institut für Phono­me­trie der Kaiser-Wilhelm-Gesell­schaft mit Sitz in der Villa Salve Hospes gegründet. Die Kunst hatte im Hause Zwirner keine besonders große Rolle gespielt, eher die Wissen­schaft. Dennoch zog es ihn in die Kunst­szene. Endgültig 1955 nach dem Besuch der ersten Documenta in Kassel. Er gab sein Jura-Studium auf, volon­tierte und gründete vier Jahre später seine erste Galerie in Essen. 1962 zog es ihn nach Köln, wo er unter anderem Joseph Beuys‘ erste Aktion mit Fett (1963) zeigte und als bedeu­tender Galerist durch­star­tete.

Ralfs trug Frauen­kleider

Zwirner schreibt in seinem Buch auch über Ralfs und nennt die Begeg­nungen mit dem außer­ge­wöhn­li­chen Mann pikant: „In den zwanziger Jahren hatte er eine bemer­kens­werte Kollek­tion mit Werken der Bauhaus­künstler Klee, Kandinsky, Schlemmer und Feininger zusam­men­ge­tragen, die er von ihnen häufig im Tausch erstanden hatte. Er war damals für seine Eltern, die ein Geschäft für Haushalts­waren besaßen, als Auslie­ferer in Weimar und Dessau unterwegs und kannte die Bauhaus­meister und ihre Familien von den Bauhaus­festen. Seine Gemäl­de­samm­lung lernte ich nicht mehr kennen, sie ging im Krieg bei der Ausla­ge­rung in ein schle­si­sches Bergwerk verloren, heute sollen sich die Werke in Russland befinden. Ralfs lud sonntags immer in seine beschei­dene Wohnung in der Braun­schweiger Schun­ter­sied­lung ein, um die Papier­ar­beiten zu zeigen, die sich noch in seinem Besitz befanden. Er empfing dann in Frauen­klei­dern, woran jedoch niemand Anstoß nahm. Für mich war das die erste Begegnung mit einem Trans­ves­titen.“

Künst­ler­treffen im „Strohhalm“

Bereits als Schüler ging Zwirner häufig ins Theater und in Konzerte, besuchte Ausstel­lungen und disku­tierte mit Künstlern und Schau­spie­lern bis tief in die Nacht hinein, obwohl er am nächsten Morgen wieder zur Schule musste. Diese freund­schaft­li­chen Kontakte waren es, die ihn von der Kunst­ge­schichte abrücken ließen. Er suchte die Nähe zu lebenden Künstlern, zu Zeitge­nossen. „Ich führte ein regel­rechtes Boheme-Leben und rückte damit auf Abstand zum strengen, religiösen Eltern­haus, dessen Atmosphäre ich als zu akade­misch und zu kopflastig empfand. Die Begeis­te­rung meines Vaters für die konser­va­tiven Schrift­steller Rudolf Alexander Schröder oder Rudolf Borchardt konnte ich nicht teilen. Die ganz andere kultu­relle Sphäre des Theaters und Konzert­be­triebs erschloss mir der Braun­schweiger General­mu­sik­di­rektor Albert Bittner, dem ich bei der Gäste­be­treuung half, indem ich für ihn die Solisten vom Bahnhof abholte. Auf diese Weise bekam ich Zugang zur Inten­dan­ten­loge“, so Zwirner.

Im Anschluss an die Vorstel­lungen traf er sich oft den Schau­spie­lern und Musikern in der nahe gelegenen, legen­dären Künst­lerbar „Strohhalm“. Damals war er erst 16, 17Jahre alt. Der Umgang mit den Künstlern, das nächt­liche Debat­tieren, die Atelier­be­suche habe ihn in gewisser Hinsicht auf seine künftige Arbeit vorbe­reitet, meint Zwirner. „Ich wusste mich fortan in den Künst­ler­kreisen zu bewegen“, schreibt er.

Galerien in New York, London und Paris

Kölns Status als Kunst­me­tro­pole ist nicht zuletzt Rudolf Zwirner als Mitbe­gründer der ersten Messe für zeitge­nös­si­sche Kunst 1967 zu verdanken, die auf der ganzen Welt Maßstäbe setzte. Sein Sohn David Zwirner geht den Weg seines Vaters weiter und gehört mit Galerien in New York, London, Hong Kong und Paris zu den wichtigsten Kunst­händ­lern weltweit. Rudolf Zwirner lebt und arbeitet heutzu­tage wieder in seiner Geburts­stadt Berlin.

Die Ausstel­lung „Gesell­schaft der Freunde junger Kunst“ im Schloss­mu­seum wird gefördert vom Fachbe­reich Kultur und Wissen­schaft der Stadt Braun­schweig, der Braun­schwei­gi­schen Stiftung, der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Richard Borek Stiftung und der Stiftung Nieder­sachsen.

Fakten:

Einband „Ich wollte immer Gegenwart“. Foto: Wienand Verlag
Einband „Ich wollte immer Gegenwart“. Foto: Wienand Verlag

Ich wollte immer Gegenwart
Rudolf Zwirner
Autobio­grafie

Aufge­schrieben von Nicola Kuhn
256 Seiten
36 farbige und 36 s/w Abbil­dungen
23,5 x 16,5 cm
Hardcover

Preis: 25 Euro
ISBN 978–3‑86832–529‑4
Wienand Verlag

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