Was ist denn los mit unserem „Vaterland“?

Mixed-Media-Bild mit einer Jesus-Abbildung und Starfightern von Friedhelm Kranz. Foto: Andreas Greiner Napp
Mixed-Media-Bild mit einer Jesus-Abbildung und Starfightern von Friedhelm Kranz. Foto: Andreas Greiner Napp

Eine Ausstel­lung des „Kunst Kollek­tivs Kreuz“ geht der Frage bis zum 30. September im BBK-Kunsthaus mit überra­schenden, teils provo­zie­renden Werken auf den Grund.

Vor dem ehema­ligen Zollhaus Humboldt­straße 34 steht auf dem Gehweg mit blauer Kreide krass das Wort „Nazis“ geschrieben. Auch die Hauswand des BBK-Kunst­hauses ist so verun­ziert. Zum Glück lässt sich Kreide mit Wasser schnell abspülen. Da haben wohl ein paar Übereif­rige etwas falsch verstanden. Ja, da hängt ein Plakat mit dem Aufdruck „Vaterland“. Und das Wort ist auch noch in Fraktur­schrift geschrieben. Jener Schrift also, die in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus Verwen­dung fand. Aber direkt darunter steht „Eine Ausein­an­der­set­zung“. Der Schriftzug „Vaterland“ soll wie die Ausstel­lung selbst provo­zieren. Kunst darf das, Kunst soll das, Kunst muss das.

Die Vernis­sage der Ausstel­lung „Vaterland“ findet am Freitag, 24. August, von 20 bis 24 Uhr, statt. Ob die Schrift „Nazis“ bis dahin wegge­wischt wird oder ganz bewusst bleibt, ist bis dahin eine offene Frage. „Vaterland“ jeden­falls ist eine künst­le­ri­sche Reflexion der Identi­täts­suche der Deutschen, eine Ausein­an­der­set­zung mit dem Begriff Leitkultur und dem Führungs­an­spruch und der Toleranz der christ­li­chen Glaubens­lehre gegenüber anderen Religionen und Minder­heiten. Mit Nazi-Vergan­gen­heit hat sie nichts zu tun, vielmehr geht es um Entwick­lungen, die bis heute reichen.

„Vaterland“ ist eine Ausstel­lungs­kon­zep­tion des „Kunst Kollek­tivs Kreuz“. Dahinter verbergen sich die BBK-Künstler Gernot Baars, Andreas Greiner-Napp, Friedhelm Kranz, Erick Miotke und Michael Nitsche. Sie gehen in unter­schied­li­chen Genres unter­schied­li­chen Fragen nach. Die Bandbreite reicht von Hinden­burg, den Starfighter-Abstürzen, den Wirtschafts­wunder-Zeiten, der Wieder­ver­ei­ni­gung bis hin zur Asylpro­ble­matik und der Konfron­ta­tion mit fremden Kulturen. Objekt- und Klang Instal­la­tionen, Videos, Skulp­turen, Bilder und Fotos sind zu sehen, die sich mit dem Vaterland ausein­an­der­setzen. Die Besucher können ihre Meinung äußern – die weißen Blätter sind in alte Olympia-Schreib­ma­schinen einge­spannt und warten darauf, mit Kritik oder Gedanken zur Ausstel­lung gefüllt zu werden.

„Wir wollten eine politi­sche Ausstel­lung über das Thema ‘Was ist deutsch?´ oder ´Wer darf Deutscher werden?´ machen. Wir wollen die Deutungs­ho­heit nicht der neuen Rechten überlassen, sondern wir als Künstler Position beziehen und gegen die Spaltung der Gesell­schaft wirken“, erklärt Kranz die Motiva­tion zur Ausstel­lung der fünf Braun­schweiger Künstler. Unter­stützt wird sie unter anderem von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz (SBK).

Friedhelm Kranz liefert mit seiner Instal­la­tion „Heimat­erde“ das Kernstück der Ausstel­lung. In einem Regal im Erdge­schoss sind Weckgläser in Kreuzform angeordnet. In jedem Glas steckt ein Stück Erde von Aufschlag­stellen deutscher Starfighter-Piloten, die während ihrer Flugaus­bil­dung tödlich verun­glückten. An jedem Glas hängt ein Namens­schild mit Ort und Datum des Absturzes. „Es ging mir bei dieser Arbeit primär um die gesell­schaft­liche und journa­lis­ti­sche Rezeption der Ereig­nisse und deren Auswir­kung auf die Entwick­lung auf die deutsche Gesell­schaft“, sagt Kranz.

Beglei­tend gibt es einen beein­dru­ckenden Video­bei­trag (Schnitt und Ton: Erick Miotke), unter anderem mit Aufnahmen von Andreas Greiner-Napp, die während einer Arizona-Reise gedreht wurden, bei der Kranz 22 Starfighter-Absturz­stellen besuchte. Dazu erklingt eine Tonspur eines fiktiven Gesprächs zwischen einem Frage­steller und dem damaligen Vertei­di­gungs­mi­nister Franz-Josef Strauß. Strauß, darge­stellt durch eine Frauen­stimme, spricht dabei von Schicksal, vom Sterben fürs Vaterland und hält die Nachrichten über techni­sche Mängel für eine frühe Art der „fake news“.

Gernot Baars hat einen großen Stein­adler als deutsches Symbol aus Heißkleber und Acrylglas model­liert. „Die Identi­fi­ka­tion mit Gesell­schaft, Staat und Vaterland ist keine einfache Aufgabe. Religiöse Instanzen, wirtschaft­liche Insti­tu­tionen und gesell­schaft­liche Aktivi­täten können hilfreich sein oder zur Entsagung und Verwir­rung beitragen. Und so suche ich in der Vergan­gen­heit nach einer Bewun­de­rung für eine Gemein­schaft, die zum Wieder­aufbau eines ganzen Landes führte, in der sich die nächsten Genera­tionen wohlfühlten. Die Skulptur ‘aquila chrysaetos‘ (Stein­adler) soll eine Art Hommage an genau diese Stärke sein“, beschreibt er seine Arbeit.

Das Vaterland von Andreas Greiner-Napp war die DDR und ist unter­ge­gangen. Er hat sich auf Fotosuche in seine frühere Heimat begeben und nachdenk­lich machende Eindrücke von vermeint­lich blühenden Landschaften mitge­bracht. Sie sind im Oberge­schoss des Kunst­hauses gehängt. „Sein Vaterland verloren zu haben, macht wehmütig, weil dieses ambiva­lente Gefühl eine glück­liche und sichere Kindheit und Jugend verbracht zu haben, im Wider­spruch zu dem steht, was das System mit den Menschen gemacht hat, die nicht auf der Linie liefen“, meint er.

„Der Weiße Albino“ von Michael Nitsche stellt sich als ein Wesen dar, das nicht kulturell, nicht rassisch, nicht zeitlich zuzuordnen ist. „In der formalen Anlage der Figur sind die Vertikale und die Horizon­tale der Kreuzform wieder­zu­finden – Verweise auf die Polarität der Welt: das Männliche und das Weibliche. In seiner existen­zi­ellen, ruppigen Erschei­nung fragt der Albino nach anderen Daseins­formen und ihren Veror­tungen in der Gesell­schaft. Die Vögel, die er auf dem Reif bei sich trägt sind trans­kul­tu­relle Symbole für die geistige Welt, für den freien Raum, in dem die Grenzen der Materie überwunden sind“, erläutert Nitsche seine Skulptur, der den geistig-intel­lek­tu­ellen Freiraum schätzt, „den mir mein Vaterland, die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, ermög­licht“.

Erick Miotke steuert mit seinem Beitrag die Klang-Instal­la­tion „Kreuzton-Traum“ bei, die Inhalte der deutschen Kultur, Geschichte und Assozia­tionen zum Thema „Vaterland“ mit diversen Klang­struk­turen zum Ausdruck bringt. Die Sound­col­lagen werden von zwei Abspiel­ge­räten per zufäl­liger Wieder­gabe in einem Endlos-Loop präsen­tiert. „Ob dies ein schöner Traum oder eher ein Alptraum wird, hängt von der zufäl­ligen Verschach­te­lung der einzelnen Sound­col­lagen ab, die jedes Mal einzig­artig sein wird“, erklärt Miotke. Die Mischung ergibt sich aus einem Drittel dunkel-negativ behaf­teter, einem Drittel neutral-sachli­cher und einem weiteren Drittel positiv-schöner Sound­col­lagen.

Abgerundet wird die Ausstel­lung von Klängen aus einer 70er Jahre-Musikbox. Sie füllt einen Raum nur mit deutschem Liedgut, mit deutschen Schlagern. Aus den Lautspre­chern klingen Wencke Myhre, Billy Mo, Gus Backus, Nana Mouskouri oder Vico Torriani. Keiner der Inter­preten wurde übrigens in Deutsch­land geboren und doch flogen ihnen die Herzen der Deutschen zu.

Fakten

Vernis­sage: Freitag, 24. August, 20 Uhr, BBK-Kunsthaus, Humboldt­strasse 34. Musiker Jan Heie Erchinger wird der Austel­lung entspre­chendes Liedgut beisteuern. André Göhmann wird an der Ecke Theaterpark/Staatstheater und vor dem BBK deutsche Literatur und deutsche Schlager rezitieren.

Ausstel­lung: bis 30. September. Öffnungs­zeiten: Mittwoch bis Freitag von 15 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr.

Kontakt: Telefon 0531–346166, Mail info@bbk-bs.de, Internet www.bbk-bs.de

Facebook­seite: www.facebook.com/xxx.vaterland/

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