Vom Kartof­fel­keller zum Kleinod

Blick auf die Kapelle St. Leonhard. Foto: Der Löwe
Blick auf die Kapelle St. Leonhard. Foto: Der Löwe

Die Kapelle St. Leonhard ist neben dem Dom Braun­schweigs ältestes Bauwerk und wird von der Chris­ten­ge­mein­schaft aktuell saniert.

In direkter Nachbar­schaft zum Quartier St. Leonhard mit seinen fünf großen, neuen Häusern liegt die kleine, alte Kapelle St. Leonhard. Lange lag sie im Verbor­genen, verdeckt von einem Hügel. Jetzt ist sie aber seit November 2018 von der Leonhard­straße aus wieder gut sichtbar – zum Glück. Denn es handelt sich um eines der bemer­kens­wer­testen Gebäude Braun­schweigs. „Es ist das älteste, nicht zerstörte Gebäude der Stadt“, sagt Pfarrer Marc Junger­mann. Erbaut wurde die Kapelle nahezu zeitgleich mit dem Braun­schweiger Dom Ende des 12. Jahrhun­derts.

1947 neu geweiht

Während des zweiten Weltkriegs wurde die Kapelle als Kartof­fel­keller für die Insassen des Konzen­tra­ti­ons­la­gers Schill­straße genutzt. Damals war es unvor­stellbar, dass daraus wieder ein wunder­bares Kleinod für die Stadt Braun­schweig werden sollte. Die St. Leonhard Kapelle war die erste Kirche in Braun­schweig, die nach dem Krieg wieder vollkommen herge­stellt war. Am 2. Advents­sonntag 1947 wurde sie neu zur Kirche geweiht. Die Chris­ten­ge­mein­schaft nutzt die Kapelle seither für ihre Gottes­dienste. Sie hat den die Kirche verde­ckenden Hügel abgetragen und die Zuwegung entspre­chend ebenfalls in Eigen­ar­beit erneuert. Jetzt wird die Sanierung der Kapelle im Inneren fortge­setzt.

Auftrag­geber Heinrich der Löwe

Den Auftrag zum Bau der Kapelle soll Heinrich der Löwe gegeben haben. „Sankt Leonhard vor Braun­schweig“ diente als Siechen­ka­pelle für Aussät­zige. Durch die Kreuzzüge war die Lepra im 12. Jahrhun­dert verstärkt aufge­treten. Die Städte mussten reagieren, um ihre Bevöl­ke­rung zu schützen.  Deswegen wurden solche Kapellen außerhalb der Stadt­mauern errichtet. Die Kapelle St. Leonhard lag damals weit vor dem Magnitor im Osten. Der vorherr­schende Westwind sollte die Krankheit von der Stadt fernhalten. Die bedau­erns­werten Aussät­zigen wurden von Beginen-Nonnen und Benedik­tiner-Mönchen gepflegt.

Schimmel wird zum Problem

Die bereits im vergan­genen Jahr begonnene und aktuell weiter anste­hende Sanierung der Kapelle ist nötig geworden, weil sich im Innenraum in erheb­li­chen Ausmaß Schimmel bildete. „Insbe­son­dere die Reichmann-Orgel war bereits stark in Mitlei­den­schaft gezogen. Sie ist mittler­weile restau­riert und bis zur Wieder­auf­stel­lung trocken zwischen­ge­la­gert“, berichtet Carsten Jatzen, Sprecher des Baukreises der  Chris­ten­ge­mein­schaft. Beruhi­gend ist immerhin, dass der Schimmel nicht durch Feuch­tig­keit im Mauerwerk entstanden ist, sondern aufgrund mangel­hafter Be- und Entlüf­tungs­mög­lich­keiten.

125.000 Euro Kosten

Nach dem ersten Bauab­schnitt, in dem unter anderem der Altar versetzt wurde, geht es jetzt ums Raumklima. Neue Heizkörper, eine moderne Regelung, Vorsatz-Innen­fenster und nicht zuletzt ein neuer Anstrich für die Wände stehen an. Verdeckt bleiben bei den Maler­ar­beiten Ornamente und Motive im frühba­ro­cken Stil, die weitge­hend erhalten sind, aber rever­sibel übermalt wurden. „Alles geschieht in Absprache mit der Denkmal­pflege. Wir hoffen, im Herbst fertig zu werden“, erklärt Carsten Jatzen. Rund 125.000 Euro werden dann in den Erhalt der  Kapelle inves­tiert worden sein. Spenden, die Stadt und Stiftungen, darunter die Richard Borek Stiftung, sowie Eigen­mittel decken die Kosten.

Die Chris­ten­ge­mein­schaft, die 1922 mit Hilfe Rudolf Steiners begründet wurde, tritt nach eigener Defini­tion für ein zeitge­mäßes Chris­tentum ein. Die Gemeinde in Braun­schweig hat etwa 350 Mitglieder. Sie wurde 1936 gegründet, war während der Nazizeit verboten. Seit 1946 hatte die Gemeinde die Kapelle zunächst gepachtet, 1966 erwarb sie sie schließ­lich. Seit Mai 2005 ist die benach­barte, sogenannte „Alte Schmiede“ des Herzog­li­chen Gestüts das Gemein­de­haus der Chris­ten­ge­mein­schaft in Braun­schweig.

Belage­rung durch die Herzöge

Die Geschichte der Kapelle St. Leonhard ist seit jeher bewegt gewesen. Wegen der erhöht gelegenen, strate­gisch wichtigen Lage griffen Herzog Heinrich der Jüngere von Wolfen­büttel (1489–1568), Herzogs Heinrich Julius von Wolfen­büttel (1564–1613), Herzog Friedrich Ulrich von Wolfen­büttel (1591–1634) und Herzog Rudolf August (1627–1704) von hier aus jeweils die Stadt an. Nur Letzterem gelang es gemeinsam mit seinem Bruder Anton Ulrich schließ­lich im Juli 1671, die Stadt nach etwa dreiwö­chiger Belage­rung zu unter­werfen. Damit endete die Epoche der unabhän­gigen Stadt Braun­schweig. 1685 ernannte Rudolf August seinen Bruder Anton Ulrich zum Herzog und gleich­be­rech­tigten Mitre­genten.

Rogen­stein vom Nußberg

Ruhe kehrte aber für die Kapelle St. Leonhard immer noch nicht ein. Am Toten­sonntag 1856 wurde in der Kapelle der letzte Gottes­dienst gehalten. Sie sollte eigent­lich wie alle umlie­genden Gebäude abgerissen werden. Im letzten Moment verhin­derte das der Stadt­baurat Carl Tappe. Auf dem Gelände entstand das  Herzog­liche Gestüt. 1935 zog die Polizei ein und nutzte die Gebäude bis 1978. Dort entsteht gerade das Quartier St. Leonhard. Die Kapelle hat daneben ihren Platz. Wie schön ist es für echte Braun­schweiger, sich davor auf die Bank zu setzen und auf das altehr­wür­dige Gemäuer aus Rogen­stein vom Nußberg zu blicken…

 

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