Der erfundene Heimat­dichter

Schild der Otto-Bögeholz-Straße in Watenbüttel. Foto: meyermedia
Schild der Otto-Bögeholz-Straße in Watenbüttel. Foto: meyermedia

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 14: Warum es in Waten­büttel eine Otto-Bögeholz-Straße gibt.

Als in Braun­schweig-Waten­büttel ein neues Wohnge­biet entstand, suchte man nach sinnvollen Bezügen zu Straßen­namen. Eine dieser Straßen, die von der Peiner Straße abzweigt, erhielt den Namen des Heimat­dich­ters Otto Bögeholz. Otto – wer? Fragen Sie sich jetzt vielleicht und stöbern in Gedanken Ihre Biblio­thek nach seinen Werken durch – wenden sich über den Katalog der Stadt­bi­blio­thek an die Fachleute und sind nach einer Weile verwun­dert, warum offenbar nirgendwo Werke von ihm auftau­chen.

Dabei war dieser Schrift­steller, der am 26.11.1805 in Taten­hausen bei Leipzig geboren wurde, offenbar ein begna­deter Schrift­steller und stand im Kontakt mit den geistigen Größen seiner Zeit, u.a. mit Theodor Storm, Gottfried Keller, Wilhelm Busch, Hermann Löns und selbst mit Altmeister Goethe, 1885 wurde er sogar Vorsit­zender der Goethe-Gesell­schaft zu Weimar.

Aufge­wachsen in ärmlichen Verhält­nissen, gelang es ihm mit zehn Jahren, den Grafen­sohn Elik vor dem Ertrinken zu retten, und damit die Wende in seinem Leben einzu­leiten. Gefördert durch das gräfliche Vermögen, begann Otto Bögeholz bereits mit 16 Jahren seine ersten Gedichte zu schreiben. Lebens­lang setzte er sich in seinen Werken für die verschwun­dene Romantik ein und war geprägt von einem starken vater­län­di­schen Gefühl und großer Heimat­liebe.

Bögeholz starb am 1.6.1895 in Taten­hausen.

Die Gedichte Bögeholz’

Seine Gedichten finden sich heute zusam­men­ge­fasst in zwei Bänden, „Alles ist Gefühl“ und „Gefühl ist alles“. Der erste Band steht übrigens bei Amazon auf Platz 4.263.906 der Beststeller-Liste, und als besondere Probe für seine Berühmt­heit hier ein Brief aus der Feder von Wilhelm Busch:

„Mein lieber Otto! Wieder mal bekommst du Post aus Wiedensahl
von Wilhelm, der als Humorist ein Freund für dich geworden ist.
Ich ließ den Faber­stift flanieren, um heitre Weisheit zu skizzieren,
die dann, in knappen Reim gerafft, die Bosheit und die Dummheit straft.
Mein “Toelter” fand einen Verleger! Trinken wir drauf ’nen Schin­ken­häger,
den pfiffig Du mir zugesandt, nachdem der “Losse” ihn gebrannt!
Prost, Otto! Fühl bei der Lektüre, dass Dich mein Hände­druck berühre
mit Dank, dass Du so wortge­waltig und journa­lis­tisch vielge­staltig
– was ich besonders gern vermerke – mich inspi­rierst zu diesem Werke.
In Wiedensahl und Taten­hausen soll es durch alle Lüfte brausen:
In Freund­schaft ein beson­d’rer Tusch für Bögeholz!
Dein Wilhelm Busch“

So, und jetzt sind Sie bestimmt neugierig geworden, welchen Bezug dieser Dichter­fürst zu Braun­schweig hat und wie man ihn in unserer Stadt mit einem Straßen­namen ehrte. Ach, Sie haben vergeb­lich in der Stadt­bi­blio­thek nach ihm gesucht? Tja… die beiden Gedicht­bände können Sie am besten bei der Geschäfts­stelle eines Vereins in Celle beziehen. Dieser Verein nennt sich „Cell-Erika“ und ist der örtliche Ableger der Schla­raffia, einem Männer­bund, der 1859 von Künstlern in Prag gegründet wurde und noch heute weltweit über 10.000 Mitglieder hat. Altehr­würdig ist auch der Braun­schweiger Verein, „Schla­raffia Brunsviga“. Er besteht bereits mehr als 125 Jahre.

Der Braun­schweiger Schla­raffe

Womit wir bei der Ursache für den Straßen­namen angekommen sind. Bei der Suche nach heimat­li­chen Künstlern und Schrift­stel­lern erfolgte nämlich von einem Schla­raffen in Braun­schweig der Vorschlag, doch im Neubau­ge­biet von Waten­büttel diesem berühmten Mann eine Straße zu widmen. Auch da herrschte Ratlo­sig­keit, und der freund­liche Hinweis auf die Landes­be­hörde und doch einmal den dortigen Bögeholz-Experten zu befragen, wurde gern angenommen.

Was damals, in den 1970er Jahren, niemand ahnen konnte: Es bahnte sich ein echter, schla­raf­fi­scher Spaß an. Denn dieser Heimat­dichter hat tatsäch­lich nie gelebt. Biografie und Gedichte sind die Erfindung von Schla­raffen, seit vielen Jahren werden herrliche Gedichte unter seinem Namen von den Mitglie­dern dieses Bundes erdacht, vorge­tragen, und vom „Hüter seines Erbes“, eben der Cell-Erika, in Buchform heraus­ge­geben.

Nun hatte der Braun­schweiger Schla­raffe aller­dings einen Schlaraffen-„Bruder“ in der Landes­haupt­stadt als Fachmann benannt, die Anfrage wurde selbst­ver­ständ­lich entspre­chend positiv beant­wortet, und schwer beein­druckt vom Wesen eines solchen Schrift­stel­lers war man in Schilda – pardon, in Braun­schweig – gern bereit, ihm eine Straße zu widmen. Als nach langer Zeit bekannt wurde, was dort geschehen war, scheute man die Kosten, die mit einer Straßen­um­be­nen­nung verbunden wären. Die Stadt bewies Humor, versah das Straßen­schild mit dem Hinweis „Von den Schla­raffen erfun­dener Heimat­dichter“ und ließ es hängen. So dürfen wir uns in Braun­schweig rühmen, eine Straße einem erfun­denen Dichter gewidmet zu haben – und wo gibt es schon so etwas sonst noch?

Sie wollen weitere skurrile Ecken Braun­schweigs erkunden?

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