Der Südklint – ein verschwun­dener Straßen­name

Das gotische Fachwerkhaus Südklint 8 mit Blick in Güldenstraße (links) und Echternstraße, um 1900. Foto: Stadtarchiv Braunschweig

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 9: Das Quartier vor dem Petritor hat seinen früheren Charakter durch Kriegs­zer­stö­rung und Stadt­umbau vollständig verloren.

Blick über den ehema­ligen Südklint in die Gülden­straße. Foto: Elmar Arnhold

Das ehemalige Weichbild Altstadt war die größte Teilstadt der mittel­al­ter­li­chen Gruppen­stadt Braun­schweig. Ihr histo­ri­scher Grundriss ist durch Nord-Süd-Straßen und einer quer dazu verlau­fenden Achse geprägt. An der Querachse liegt das Zentrum mit Altstadt­markt und Marti­ni­kirche. Im Norden laufen vier Straßen­züge der Altstadt zusammen: Echtern- und Gülden­straße stießen auf den heute nicht mehr vorhan­denen Südklint, während Scharrn- und Breite Straße noch heute auf dem Bäcker­klint einmünden. Über den Südklint erfolgte die Verbin­dung aller vier Straßen zum Petritor. Das 1196 erstmals erwähnte Stadttor im Nordwesten der mittel­al­ter­li­chen Stadt war Ausgangs­punkt einer wichtigen Handels- und Heerstraße, die über Celle nach Bremen führte.

Nach der vollstän­digen Zerstö­rung des Stadt­vier­tels während des Bomben­an­griffs vom 14./15. Oktober 1944 und der Trümmer­räu­mung wurden Radeklint und Umgebung bis 1963 zum Verkehrs­knoten ausgebaut. Anstelle der einst engen Fachwerk­be­bauung trat eine lockere Fügung von Solitär­bau­kör­pern, welche einen vielfre­quen­tierten Verkehrs­raum ohne jede Aufent­halts­qua­lität rahmen. Nur wenige Orte des alten Braun­schweigs haben ihr Gesicht durch Kriegs­zer­stö­rung und Stadt­umbau stärker verändert als die Quartiere vor dem Petritor.

Blick von der Gülden­straße zum Bäcker­klint mit St. Petri. Foto: Elmar Arnhold

Einst ein spannungs­voller Stadtraum

Nordab­schnitt des Südklints mit Blick zum Bäcker­klint, rechts Haus Südklint 1, um 1935. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Die städte­bau­liche Situation dort ergab vor der Zerstö­rung eine höchst abwechs­lungs­reiche Folge spannungs­voller Stadt­räume. Dazu zählten neben Südklint und Bäcker­klint auch der Radeklint mit dem von dort ausge­henden Straßen­d­rei­strahl im Weichbild Neustadt. Klint bedeutete übrigens „kleine Anhöhe“ – eine für den Nordteil der Altstadt eigent­lich kaum noch nachvoll­zieh­bare topogra­fi­sche Beschrei­bung. Am ehesten lässt sich die einstige Bedeutung des Straßen­na­mens am Klint im Magni­viertel nachvoll­ziehen. In früheren Jahrhun­derten wurde der Südklint auch als „Sauklint“ bezeichnet.

Der Südklint bildete einen engen und kurzen Straßenzug, der sich an seinen Enden – an der Gabelung zu Gülden- und Echtern­straße und am Übergang zum Bäcker­klint und zur Straße Am Petritor – jeweils zu kleinen dreieckigen Plätzen aufwei­tete. Besonders reizvoll war der Blick über den nördli­chen Teil auf den Bäcker­klint, wo der wuchtige Turm der Petri­kirche die Szenerie beherrschte. Im Südklint und seiner Umgebung hatte sich das alte Stadtbild Braun­schweigs bis zur Zerstö­rung im Zweiten Weltkrieg besonders gut erhalten. Der Straßenzug bildete ein fast ungestörtes Ensemble von Fachwerk­bauten aus dem 15. und 16. Jahrhun­dert. Jüngere Massiv­bauten aus den sogenannten Gründer­jahren um 1900 bildeten die Ausnahme.

Häuser­gruppe Südklint 21 und 22 (Bildmitte) sowie Petri­kirche, 1893. Foto: Elmar Arnhold

Zwischen der Einmün­dung von Gülden- und Echtern­straße stand das gotische Fachwerk­haus Südklint 8 mit kräftigem Balken­werk und stark vorkra­gendem Oberge­schoss an den drei freiste­henden Fassaden. Das spitz­bo­gige Dielentor des wohl um 1450 entstan­denen Hauses war mit geschnitzten Ranken einge­fasst. Inter­es­sant ist die Tatsache, dass dieses Gebäude einen Zwilling des Hauses Ackerhof 2 in seinem ursprüng­li­chen Zustand darstellte – der 1432 errich­tete Ackerhof wurde freilich im 18. Jahrhun­dert stark umgebaut und befindet sich gegen­wärtig in der Sanierung.

Schlucht­ar­tiger Straßenzug

Blick von Haus Südklint 8 nach Norden auf den schlucht­ar­tigen Straßenzug. Foto: Stadt­ar­chiv Braun­schweig

Aus dem nachträg­lich aufge­setzten Zwerch­haus von Südklint 8 war der eindrucks­volle Blick in den schlucht­ar­tigen Straßenzug Anzie­hungs­punkt auch für Fotografen. Die Perspek­tive zeigte eine Parade statt­li­cher Bürger­häuser, von denen das einstige Haus Südklint 15 sicher­lich das bedeu­tendste war. Das mit zweige­schos­sigem massivem Unterbau, Fachwerkstock und steilem Dach gestal­tete Renais­sance­bau­werk wurde 1592 für den Patrizier und Ratsherren Heinrich Hartwich errichtet. Aufgrund einer Wappen­dar­stel­lung trug es den Namen „Brauner Hirsch“. Das prächtige Portal konnte beim Abbruch der Kriegs­ruine geborgen und 1975 in einen Neubau der Diakonie in Riddags­hausen eingefügt werden. Nachdem man den reprä­sen­ta­tiven Bau im späten 18. und im 19. Jahrhun­dert als „Armen-Arbeits­haus“ genutzt hatte, war er ab 1881 bis zur Zerstö­rung Heimstatt der Bürger­schule für Mädchen und schließ­lich der Bürger­schule Südklint.

Gebäude aus dem 15. Jahrhun­dert

Zu den im Hausbe­stand noch zahlrei­chen spätmit­tel­al­ter­li­chen Fachwerk­bauten gehörte das große Haus Südklint 17 mit inschrift­li­cher Datierung in das Jahr 1469, zwei auskra­genden Speicher­ge­schossen, Treppen­fries­ver­zie­rungen und figürlich gestal­teten Knaggen. Ein weiteres schönes Beispiel aus dem 15. Jahrhun­dert war das am Übergang zum Bäcker­klint zu findende Haus Südklint 1 von 1482.

Südklint 17, Ostfas­sade, 1894. Foto: Stadt­ar­chiv Braun­schweig

Eine baukon­struk­tive Beson­der­heit bot das 1524 errich­tete und bereits 1897 abgebro­chene Haus Südklint 22. Seine Fassade erhob sich über einem exakten Kreis­bogen – sämtliche Schwell­balken mussten einen entspre­chenden Zuschnitt aufweisen, eine Meister­leis­tung der damaligen Zimmer­leute. Die ursprüng­liche Funktion der oberen Speicher­stock­werke war anhand der Ladevor­rich­tung noch gut erkennbar. Zu den großen Häusern gehörte das um 1540/50 entstan­dene Haus Nr. 11, das wieder mit zwei Speicher­stö­cken ausge­stattet war. Die Straßen­front zeigte eine kräftige Gliede­rung, die dem zeitge­nös­si­schen Steinbau entlehnt war und seine Formen­sprache in den Holzbau übersetzte. Portal und Dachaufbau (Zwerch­haus) stammten aus der Barock­zeit.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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