Ein Brücken­bauer der Forschung

Prof. Dr. Jürgen Osterhammel. Foto: Andreas-Greiner-Napp
Prof. Dr. Jürgen Osterhammel. Foto: Andreas-Greiner-Napp

Der  Abt Jerusalem-Preis 2017 wird an den Konstanzer Histo­riker Prof. Dr. Jürgen Oster­hammel verliehen.

Zum vierten Mal vergaben die Braun­schwei­gi­sche Wissen­schaft­liche Gesell­schaft (BWG), die Evange­lisch-luthe­ri­sche Landes­kirche in Braun­schweig, die Techni­sche Univer­sität Braun­schweig und die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz den Abt Jerusalem-Preis. In Gedenken an Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789), Erzieher des Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand, Abt des Klosters Riddags­hausen und Direktor des dortigen Predi­ger­se­mi­nars, wird er alle drei Jahre für heraus­ra­gende wissen­schaft­liche Beiträge zum Dialog der Geistes‑, Natur- und Technik­wis­sen­schaften verliehen. Nun wurde die Auszeich­nung im Rahmen einer öffent­li­chen Festver­an­stal­tung in der Kloster­kirche Riddags­hausen an Prof. Dr. Jürgen Oster­hammel, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Univer­sität Konstanz, übergeben.

„Als Global­his­to­riker ist Prof. Oster­hammel ein würdiger Preis­träger im Sinne Abt Jerusa­lems“, begründet Prof. Dr. Ulrich Menzel, Mitglied der BWG und bis 2015 Professor für Inter­na­tio­nale Bezie­hungen an der TU Braun­schweig, in seiner Laudatio. „Seine Beschäf­ti­gung mit exoti­schen Themen, sein außer­eu­ro­päi­scher Hinter­grund und seine persön­liche Leiden­schaft für China und Asien haben ihn oft zwischen den Stühlen der Forschung sitzen lassen. Es war ein Zufall, der ihm trotzdem eine akade­mi­sche Laufbahn eröffnet hat. Dem inter­dis­zi­pli­nären Anspruch zu genügen, ist sein Programm bis heute.“

Seit 1999 ist Oster­hammel Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Univer­sität Konstanz. In seinem 2009 erschie­nenen Buch „Die Verwand­lung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhun­derts“ versuchte er sich an einer Weltge­schichte des 19. Jahrhun­derts. Das Buch erhielt den NDR Kultur Sachbuch­preis für das beste Sachbuch des Jahres 2009. 2010 wurde er für seine Forschungen mit dem Leibniz­preis ausge­zeichnet. Seit 2004 ist er ordent­li­ches Mitglied der Academia Europaea, 2012 wurde er zum Mitglied der Leopol­dina gewählt, 2014 zum Mitglied der British Academy.

Auch nach vielen Auszeich­nungen ist der Abt Jerusalem-Preis etwas Beson­deres für Oster­hammel. „Er zeichnet Forschungen aus, die Brücken schlagen.“ Das würden nur wenige Wissen­schaftler wirklich einlösen. „Auch für mich ist der Preis eine Ermuti­gung und ein Ansporn, den inter­dis­zi­pli­nären Ansatz weiter zu verfolgen“, sagt Oster­hammel mit einem Augen­zwin­kern. Vor allem die Rolle der Alltags­tech­no­lo­gien faszi­niert ihn. „Eine einfache Technik wie das Fahrrad hat in Asien eine unglaub­liche Mobilität ermög­licht. Oder die Schreib­ma­schine, die Frauen ganz neue Berufe und Möglich­keiten eröffnet hat.“

Außerdem verknüpft Oster­hammel mit Abt Jerusalem eine persön­liche Leiden­schaft. „Das persön­liche Lieblings­buch unter meinen Publi­ka­tionen beschäf­tigt sich mit der Epoche der Aufklä­rung. Vor Kurzem habe ich es überar­beitet und durfte die ganzen Quellen aus der Zeit Abt Jerusa­lems neu lesen und weitere entdecken.“

„Heute – im viel zitierten Zeitalter der Globa­li­sie­rung – hat man es als Histo­riker, der zwischen den Lehrstühlen der eigenen Zunft und den der philo­lo­gisch arbei­tenden Regio­nal­wis­sen­schaftler sitzt, einfacher, weil aus ‚außer­eu­ro­päi­scher Geschichte‘ ‚Global­ge­schichte‘ geworden ist“, so Menzel weiter. Doch: „DIE Globa­li­sie­rung gibt es nicht“, – sagt einer, der sich beinahe täglich mit inter­na­tio­nalen Bezie­hungen beschäf­tigt. „Es gibt viele Entwick­lungen der Vernet­zung und Verdich­tung, doch die Prozesse passieren nicht gleich­zeitig.“ Viel lieber spricht Oster­hammel daher von Globa­li­sie­rungen. „Und es ist keine Schick­sals­macht, der man sich ergeben muss.“ Die Diskus­sionen um TTIP und die Proteste würden zeigen, dass man auch von unten auf Entwick­lungen Einfluss nehmen könne.

Und was bleibt nach abertau­senden von gelesenen Quellen und veröf­fent­lichten Seiten? „Ich gehe bald in den Ruhestand, da habe ich viel Zeit, Themen weiter­zu­ver­folgen, die ich an der Univer­sität nur streifen konnte“, freut sich Oster­hammel. Ganz oben auf der Wunsch­liste steht wieder – wie könnte es anders sein – ein asiati­sches Thema der Globa­li­sie­rung. „Ich möchte die Verbrei­tung der europäi­schen klassi­schen Musik in Asien unter­su­chen. Die Franzosen z.B. bauten überall, wo sie hinkamen, Opern­häuser. Und mit der Entwick­lung des Grammo­phons entstand in Asien ein großer Schall­plat­ten­markt.“

Geschichte, Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaften, Musik, Technik: Ein inter­dis­zi­pli­näres Thema, mit dem Oster­hammel weiter Brücken bauen kann. Ganz im Sinne Abt Jerusa­lems.

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