Ein Haus fürs Lehrer-Seminar in Wolfen­büttel

Postkarte vom Lehrerseminar in Wolfenbüttel 1907. Foto: Sammlung Reinhard Bein

Um Postkarten vom Lehrer­se­minar Anfang des 20. Jahrhun­derts geht es heute in der Reihe Beins Postkarten.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 26.10.2022 (Bezahl-Artikel)

Heinrich Huk schrieb 1907 diese Karte vom Lehrer­se­minar an seine Mutter in Schöp­pen­stedt, gratu­lierte ihr zum Geburtstag und erinnerte an sein noch ausste­hendes Zehrgeld. Er und sein Freund Albert Müller beendeten ihre Ausbil­dung zum Volks­schul­lehrer 1909, als der Fußball­verein des Seminars gegründet wurde.

Mit der zweiten Karte schickte Heinrich 1911 „dicke Biergrüße von der Fußball­ver­samm­lung“ an seine Schwester Gretchen, und Albert Müller unter­schrieb „nach langem Arbeitstag“ mit der Bemerkung: „Ich bin ganz munter“. Die beiden Männer hielten also dem Lehrer­se­minar in Wolfen­büttel als Ehemalige die Treue. Heinrich Huk war inzwi­schen Lehrer, Albert auf dem Wege zum Postas­sis­tenten und grüßte seine spätere Frau Gretchen.

Höhere Bildung war im neuzeit­li­chen Europa nur für die Eliten vorge­sehen. Für alle evange­li­schen Christen verlangte Luther aber zumindest eine Minimal­bil­dung, damit sie die Bibel lesen konnten. Durch die Katastrophe des 30-jährigen Krieges verkamen aber vieler­orts derartige Grund­schulen. Nach einer Inspek­ti­ons­reise im Auftrag des Braun­schweiger Herzogs Carl I. (1713–1780) bemän­gelte General­schul­in­spektor Harenberg bei den Lehrern in Grund­schulen „sowohl auf dem platten Lande als auch in den Städten Mängel aus Ungeschick­lich­keit, Unfleiß und anderen üblen Eigen­schaften“, aber auch die „schlechte Einrich­tung verschie­dener Schulen und die Sorglo­sig­keit der Eltern, die ihre Kinder nicht fleißig in die Schule schicken“. Die Lehrer waren oft frühere Hausdiener, „Handwerk­spur­schen“ oder Soldaten − für den Lehrberuf unaus­ge­bildet, also ungeeignet.

Dem Herzog wurde eine Denkschrift vorgelegt

Einer seiner leitenden Beamten legte deshalb dem Herzog 1747 eine Denkschrift vor, in der es hieß: „Was helfen alle Vorschriften und Unter­wei­sung, wenn die Schul­meister nicht imstande sind, solche in Übung zu bringen.“ Herzog Carl I. wollte aber nicht nur fromme Unter­tanen, sondern vor allem solche, die durch eine gute Ausbil­dung seine Steuer­ein­nahmen vermehren konnten. Deshalb übernahm er den Vorschlag, eine Schule zur Ausbil­dung von Lehrern einzu­richten.

„Landschul­re­gle­ment“ nach dem Vorbild von Halle

Nach dem Vorbild von Gottfried August Francke in Halle, der Waisen in den verschie­denen Einrich­tungen seiner Stiftung lebens­tüchtig machte, erließ Herzog Carl I. 1753 ein „Landschul­re­gle­ment“, das allen Kindern einen Anspruch auf angemes­sene Bildung einräumte.

Wie Francke es vorge­macht hatte, wurde auch Carls Lehrer­se­minar kosten­spa­rend an ein Waisen­haus angeglie­dert. Die Bewerber lernten dort unter Anleitung von „Rezep­toren“ für ihren künftigen Beruf und hatten dafür nebenher Waisen­kinder zu betreuen. Nach bestan­dener Prüfung waren sie Lehrer.

Zunächst entstand am Waisen­haus in Braun­schweig unter kirch­li­cher Aufsicht 1752 ein erstes Lehrer­se­minar, Wolfen­büttel folgte 1753. Die Studi­en­an­stalt in Wolfen­büttel, die sich gut entwi­ckelte, zog 1879 in den neuen Zweckbau am Harztor­wall um und feierte dort 1903 groß ihr 150-jähriges Bestehen. Natürlich hatten sich in der Zwischen­zeit die Aufnah­me­be­din­gungen, Lehrme­thoden und Lehrin­halte geändert.

Wer Volks­schul­lehrer werden wollte, musste jetzt als Voraus­set­zung fünf Jahre die kosten­pflich­tige „1. Bürger­schule“ und vier Jahre die „Knaben­mit­tel­schule“ besucht haben. Die evange­li­sche Landes­kirche besaß aber nach wie vor die Aufsicht und Kontrolle.

1918 schaffte der Arbeiter- und Solda­tenrat auf Vorschlag der Volks­kom­mis­sare Minna Faßhauer und Jean Kautz die kirch­liche Volks­schul­auf­sicht ab. Sie galt ihnen als Hemmschuh bei der Durch­set­zung moderner Pädagogik: Schule vom Kinde aus, Arbeits­un­ter­richt, Eltern- und Schüler­mit­wir­kung.

Seminare wurden 1927 geschlossen

Statt die Seminare zu refor­mieren, beschloss der Landtag 1923, sie 1927 zu schließen und Volks­schul­lehrer ab sofort akade­misch auszu­bilden. An der Techni­schen Hochschule in Braun­schweig wurde dafür eine besondere Abteilung aufgebaut, in der die Studenten, mit Abitur als Voraus­set­zung, in sechs Semestern Lehrer werden konnten.

Was sollte aber aus dem verwaisten Seminar­ge­bäude in Wolfen­büttel werden? − Eine Staat­liche Oberschule als „Aufbau­schule“ (7.–13. Klasse) mit einem Internat für auswär­tige Kinder, denn in den Dörfern gab es keine höheren Schulen.

Die Nazis in Braun­schweig übernahmen der Form nach die akade­mi­sche Lehrer­bil­dung und bauten dafür am Rebenring in Braun­schweig 1935/37 die „Bernhard-Rust-Hochschule“, eine Ausbil­dungs­stätte, die Volks­schul­lehrer für ganz Mittel­deutsch­land ausbilden sollte. Rust hieß der Reichs­mi­nister für Wissen­schaft, Erziehung und Volks­bil­dung, der diese Art Ausbil­dung gut fand.

Sein Chef Hitler aber kriti­sierte den Anspruch der Braun­schweiger Hochschule, Lehrer wissen­schaft­lich auszu­bilden, und veran­lasste Rust, die Rahmen­be­din­gungen zu ändern: 1942 war sie keine Hochschule mehr, sondern wieder Seminar. Dort konnten Volks­schüler in fünf Jahren zu Lehrern ausge­bildet werden.

Akade­mi­sche Lehrer­bil­dung kehrte 1946 zurück

1946 kehrte die akade­mi­sche Lehrer­bil­dung wieder zurück. Ihre Hochschule in Braun­schweig, die mit wenigen Schäden den Weltkrieg überstanden hatte, erhielt nun den Namen Kanthoch­schule.

Und die Schule am Harztor­wall in Wolfen­büttel? Aus dem ehema­ligen Lehrer­se­minar wurde 1946 eine „Nieder­säch­si­sche Heimschule“, ein Gymnasium in Kurzform (7.–13. Klasse) für heimat­ver­trie­bene und Flücht­lings­kinder, die in der Umgebung lebten und wegen ungenü­gender Verkehrs­be­din­gungen nur schlecht in die Kreis­stadt kamen.

Da sich die Wirtschafts- und Verkehrs­be­din­gungen bis 1972 soweit verbes­serten, dass kein Bedarf mehr für diesen Schultyp bestand, schlossen diese Lehran­stalten.

Katho­li­sche Grund­schule zog seit 1956 mehrmals um

Aber Schule bleibt Schule. Weil durch das Konkordat zwischen Nieder­sachsen und dem Vatikan katho­li­sche Volks­schulen eröffnet werden mussten, zog die katho­li­sche Grund­schule in Wolfen­büttel seit 1956 mehrmals um, ehe sie 1975 in der ehema­ligen Heimschule dauerhaft sesshaft werden konnte. Ihr Name: Katho­li­sche Grund­schule Harztor­wall. Sie besteht noch heute.

Und der Seminar-Fußball­verein? Ich habe nichts über diesen Fußball­verein des Lehrer-Seminars von 1909 erfahren, der sich mit heral­di­schem Schnick­schnack und dem kessen Sinnspruch „Mit Freiheit u. Freude, voll Mut und Kraft für unseres Sportes Meister­schaft!“ Bedeut­sam­keit geben wollte.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 26.10.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article236761785/Ein-Haus-fuers-Lehrer-Seminar-in-Wolfenbuettel.html (Bezahl-Artikel)

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