Ein kleines Paradies wird sichtbar

Im Innenhof des TU-Biozentrums blühen heute Flockenblumen wo einst ein Teich war. Foto: Bernward Comes

TU-Studenten erfor­schen den Innenhof des Biozen­trums: Was heißt es für die Arten­viel­falt, wenn die Pflege gegen Null geht?

Aberhun­derte von ihnen soll es in Braun­schweig geben: Hinter- und Innenhöfe, die eher wild als adrett wirken und förmlich nach Aufwer­tung schreien. Doch ist das notwendig? Studenten der TU wollten es genauer wissen. Der Innenhof den Biozen­trums wurde unter­suchte. Es stellte sich heraus: Kleine Paradiese müssen nicht adrett, sie können auch wild sein.

Betritt man den Innenhof des Biozen­trums von der Spiel­mann­straße aus, ist man sofort der Meinung: So können das die Planer einst unmöglich gewollt haben. Und das hätten sie auch nicht gewollt, sagt Lucas Well. Das Biozen­trum ist sein Arbeits­platz. Man möchte meinen: So eine Unter­su­chung, wie ökolo­gisch wertvoll ein Innenhof ist, sollte für Biologen eine Kleinig­keit sein. Tatsäch­lich ist Well Doktorand für Molekular-Genetik mit dem Arbeits­schwer­punkt Schim­mel­pilz-Mutanten. TU-Biozen­trum, erzählt er, das stehe für Unter­su­chungen an der DNA und Proteinen. Bestim­mung der Arten­viel­falt, „das ist weitest­ge­hend Neuland“.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Bezahl­ar­tikel ist zuerst erschienen am 5.6.2023

Und dennoch steht nun nach einem Jahr auf der fast 400 Quadrat­meter großen Fläche eine Info-Tafel, die deutlich mache, so Well: „Niemand soll auf die Idee kommen, alles platt machen zu wollen. Der Innenhof ist ein höchst wertvoller Lebens­raum ­– trotz aller Verän­de­rungen.“ Mühsam haben Well und zehn Studie­rende, unter­stützt von vier Experten, die Fläche erforscht. Wie sie vor 35 Jahren genau aussah, was sich die Innenhof-Planer dachten, ist nicht genau bekannt. Ein einziger Zeitzeuge fand sich aber.

Vom alten Innenhof blieb wenig übrig

Mittler­weile weiß man: Im Innenhof wuchsen einst 16 Robinien. Über die Jahre sind 15 von ihnen verschwunden. Es gab vier kleine Teiche. Drei davon wurden zugeschüttet. Das recht­eckige Wasser­be­cken am Innenhof-Rand wurde einst regel­mäßig mit Wasser aus einer Quelle bei Königs­lutter gefüllt. Eine gleich­mä­ßige Wasser­qua­lität war wichtig, weil dort die Auswir­kung von Pesti­ziden auf Köcher­fliegen unter­sucht wurde. „Experi­mente eines Instituts, das es längst nicht mehr gibt“, erzählt Well.

Was es gibt, ist ein ganz spezi­eller Lebens­raum, den Well so beschreibt: „Der Boden ist äußerst karg und nährstoffarm. Gewässert wird nicht, die Backstein-Fassaden der umlie­genden Institute speichern Hitze. Schatten gibt es kaum. Die spora­di­sche Pflege hat das Ziel, die Wege frei zu halten und zu verhin­dern, dass alles zuwuchert.“ Längst wachse dort nicht alles, was man sich wünscht. Gut gemeinte Versuche von Studenten und Wissen­schaft­lern, durch zusätz­liche Pflanzen den Arten­reichtum zu erhöhen, endeten in der Regel ergeb­nislos. Der Innenhof ist als Lebens­raum ganz besonders.

Stock-Enten fühlen sich dort dennoch wohl. Ein Pärchen brütet in einer Hecke der Zell-Biologie im ersten Stock des Biozen­trums. Der Nachwuchs kann bei ersten Schwimm­übungen im Wasser­be­cken beobachtet werden. Am Teich trinken Insekten. Wie man alles das erforscht und auf einer Infotafel zusam­men­fasst, dazu gab es schließ­lich eine Lehr-Veran­stal­tung mit Referaten von Studenten.

Arten­viel­falt übertrifft Erwar­tungen

Die Ergeb­nisse fielen völlig anders als erwartet aus, wie Zell erläutert. „Wir hatten zum Beispiel geglaubt: Es sind bestimmt drei oder vier verschie­dene Wildbienen-Arten anzutreffen. Tatsäch­lich wurden binnen zwei Stunden 26 verschie­dene Arten gezählt. Unser Wildbienen-Experte ist der Ansicht: Der Innenhof ist wohl Lebens­raum für etwa 35 verschie­dene Arten.“ Warum, wisse man nicht, sagt Zell: „Klein­gärten gibt es in der Umgebung keine. Der stark befahrene Rebenring ist nur 200 Meter entfernt.“

Ähnlich bei den Pflanzen. Bambus oder Horten­sien gab es schon immer und sind auch Laien geläufig. Andere Pflanzen wurden per Handy-App bestimmt. Experten prüften nach und schlossen Lücken. „Am Ende waren es 46 verschie­dene Arten, die den Innenhof erobert haben.“ Mager­rasen-Pflanzen wie der Kleine Wiesen­knopf. Oder Buntklee und Habicht­kraut. Kronen­wicke oder Mauer­pfeffer. Was trocken- und hitze­re­sis­tent ist, das überlebt im Innenhof.

Daten­basis für weitere Unter­su­chungen entsteht

Mittler­weile sind die letzten Hürden genommen, eine Info-Tafel aufstellen zu dürfen. Die Einwil­li­gung der fünf benach­barten Institute wurde eingeholt. Das Corporate Design der TU galt es zu beachten. Das Sandkasten-Logo musste auf die Tafel. Sandkasten ist eine Initia­tive der TU, um studen­ti­sche Projekte zu fördern. Von dort kamen auch die 650 Euro für die Info-Tafel. Natürlich sei das viel Geld, sagt Zell: „Aber die Kollegen haben gesagt: Kauft bloß keinen Billig-Schrott. Die Info-Tafel muss viele, viele Jahre UV-beständig bleiben und lesbar sein.“

Zumal sich auf der Tafel auch ein QR-Code befindet. Er führt zu einer Inter­net­seite, wo all die Pflanzen und Wildbienen aufge­listet sind, die gefunden wurden. Grund sei, erklärt Zell: „Das ist eine Daten­basis. Sollte in fünf oder zehn Jahren die Bestim­mung wieder­holt werden, wüsste man, wie sich unser Innenhof verändert hat.“

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