Goldstrah­lende Bücher in Wolfen­büt­tels Biblio­thek

Martin Luther ist im Porträt Lucas Cranachs (das Pendant zeigt seine Frau Katharina) und mit eigenhändigen Psalter-Notizen präsent. Foto: Andreas Berger

Die Wolfen­büt­teler Herzog-August-Biblio­thek feiert ihr 450-jähriges Bestehen mit einer Schau ihrer schönsten Objekte.

Im Tresor-Schauraum der Herzog-August-Biblio­thek geht es einem wieder ein bisschen so wie den Adligen, die Biblio­theks­gründer Herzog Julius oder Namens­pa­tron Herzog August einst durch die Bücher­samm­lung führten: Hier reihen sich Kostbar­keiten an Kuriosa, und mit Respekt verneigt man sich vor der Bildung und der finan­zi­ellen Einsatz­be­reit­schaft für Werke der Kultur, mit denen man damals sein Renommee vermehrte.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 04.04.2022 (Bezahl-Artikel)

Staunen wir also erneut und angesichts der von den Rückkäu­fern verord­neten Ruhezeiten des Buches endlich mal wieder über die farben­präch­tigen Illus­tra­tionen im Evange­liar Heinrichs des Löwen, das im Rahmen der Jubilä­ums­schau zu 450 Jahren Herzog-August-Biblio­thek hier für wenige Wochen im Original zu sehen ist. 32,5 Millionen D‑Mark ließen sich der Bund, die Länder Bayern und Nieder­sachsen sowie die Stiftung Preußi­scher Kultur­be­sitz und Privat­spender 1983 den Erwerb aus zweifel­haften Quellen kosten. Da wäre Prove­ni­enz­for­schung auch mal dringend angebracht.

Ein Blick auf die Seiten der Passion bezaubert freilich von neuem. Dieses Leuchten der Farben, die erstaun­liche Natür­lich­keit in der Bewegung der Figuren, ob sie nun mit Geißeln auf den Heiland einschlagen oder weinend wie Maria und Johannes unter dem Kreuz stehen. Der Maler­mönch aus Helmar­shausen hat die Rippen Jesu am Kreuz fein einge­zeichnet. In elegantem, energi­schem Schritt tritt eine der Frauen vom Grabe auf die versam­melten Jünger zu und verkündet die neue Botschaft: Christ ist erstanden. Und so breitet sich das Strahlen Christi über das ganze untere Bildfeld mit den Frauen und den Engeln am leeren Grab aus, verkündet ein neues goldenes Zeitalter der Gnade.

Martin Luther ist im Porträt Lucas Cranachs (das Pendant zeigt seine Frau Katharina) und mit eigen­hän­digen Psalter-Notizen präsent. Foto: Andreas Berger

Nicht immer wurde Gottes Wort so festlich ausge­schmückt. Der Drucker einer Bibel von 1858 etwa ließ (aus Versehen oder aus Scherz) im sechsten Gebot das „nicht“ weg: „Du sollst ehebre­chen“ steht da nun und wurde Besuchern, die Finger­ab­drücke beweisen es, gern gezeigt. Neben der „Ehebre­cher­bibel“ gehören eine „Schreib­übung“ des Findel­kinds myste­riöser Herkunft Kaspar Hauser oder der eigen­hän­dige Eintrag Voltaires in den Besucher­bü­chern der Biblio­thek zu den Eklektika der Ausstel­lung. Im seit Herzog Julius’ Regie­rungs­an­tritt evange­li­schen Haus waren zudem Zeugnisse des refor­ma­to­ri­schen Bekennt­nisses gefragt. So befinden sich originale Lucas-Cranach-Porträts von Martin Luther und seiner Frau Katharina ebenso im Schatz­raum wie ein Löffel aus Luthers Besitz und das berüch­tigte Tinten­fass: Und wenn die Welt voll Teufel – mit dieser faust­großen bleiernen Kugel hätte er dem altbösen Feind schon den Garaus machen können. Leider hat Luther damals auf der Wartburg nicht getroffen.

Aus Zeiten, da selbst Luther noch nicht evange­lisch war, stammt ein auf seine Veran­las­sung hin gedruckter latei­ni­scher Psalter, den er ringsum in Minischrift mit seinen Anmer­kungen versehen hat. „Theologen können das nun mit den Predigten des Refor­mators Luther verglei­chen“, erläutert Kurator Hole Rößler. Eine Abhand­lung als Beispiel wäre schön gewesen, denn das verspricht ja der Ausstel­lungs­titel „Wir machen Bücher“: Aus der Arbeit mit den Beständen entstehen immer neue Publi­ka­tionen, wie Biblio­theks­di­rektor Peter Burschel betont. Denn spätes­tens seit der Aufklä­rung geht es nicht mehr darum, Bücher zu zeigen, sondern zu nutzen, darin zu forschen und diese Ergeb­nisse in neuen Büchern zu präsen­tieren.

Das reicht von den Nachdru­cken seltener Werke wie dem ersten auf Deutsch gedruckten Buch, dem Fabelbuch „Der Edelstein“ von 1461, bis zum Faksimile des teuren Evange­liars. Als 1756 der Wolfen­büt­teler Franz Anton Knittel unter dem Text eines Buches aus dem 8. Jahrhun­dert Seiten einer gotischen Bibel­über­set­zung aus dem 5. Jahrhun­dert entdeckte, ein sogenanntes Palim­psest auf schon benutztem, abgekratztem und neu beschrie­benem, weil teurem Pergament, begann man mit Versuchen, die alte Schrift mit immer neuen Druck­ver­fahren wieder sichtbar zu machen und zu verbreiten.

Lessing exzer­pierte als Biblio­thekar Bücher und gab Entde­ckungen wie ein Traktat des Berengar heraus, eine angeblich vorre­for­ma­to­ri­sche Abend­mahls­lehre.

Wiederum ließ sich Friedrich Wilhelm Blasius von Ramdohr nach geschei­terten Bezie­hungen 1798 zu seinem Dreibänder „Über die Natur der Liebe“ inspi­rieren auch durch die Lektüre von 69 einschlä­gigen Werken der Herzog-August-Biblio­thek, die wir gern mal gesehen hätten. Verste­cken sich Erotica in den Beständen?

Seit 1972 jeden­falls hat die Biblio­thek auch einen Verlag für Bücher über ihre Bücher. Und die von Direktor Erhart Kästner begrün­dete Maler­buch­samm­lung, in der renom­mierte Künstler wie Tàpies und Vasarely sich aus den Beständen zu künst­le­ri­schen Gestal­tungen inspi­rieren ließen, wird inzwi­schen mit einem Maler­buch­preis und dem damit verbun­denen Auftrag von zeitge­nös­si­schen Künstlern weiter­ge­führt.

Die Schau breitet prägnante Kuriosa und Kostbar­keiten aus. Und eine Biblio­thek, die auch ein Verzeichnis der Doubletten druckt (von 1833) muss schon reich gesegnet sein.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 04.04.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/article235002723/Goldstrahlende-Buecher-in-Wolfenbuettels-Bibliothek.html (Bezahl-Artikel)

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