Flücht­lings­ar­beit mit Sinn und Verstand

Sandra Schüler, die Ehrenamtskoordinatorin, im Hof der Diakonie des Landkreises Helmstedt. Foto: Diakonie des Landkreises Helmstedt
Sandra Schüler, die Ehrenamtskoordinatorin, im Hof der Diakonie des Landkreises Helmstedt. Foto: Diakonie des Landkreises Helmstedt

Mit der Einrich­tung einer Stelle der Ehren­amts­ko­or­di­nie­rung und dem Aufbau eines Sprach­mittler-Pools feiert die Diakonie im Landkreis Helmstedt bei der Flücht­lings­in­te­gra­tion Erfolge.

Der Job von Sandra Schüler bei der Diakonie im Landkreis Helmstedt ist so vielfältig und zudem wichtig wie kaum ein anderer. Die Mutter von vier Kindern kümmert sich im Kreis Helmstedt seit 2016 als haupt­amt­liche Ehren­amts­ko­or­di­na­torin um die Integra­tion von Flücht­lingen. Verschnauf­pausen gibt es so gut wie keine. Schülers Aufgabe besteht darin, die bestehenden Flücht­lings­in­itia­tiven zu beraten, sinnvolle Flücht­lings­pro­jekte zu initi­ieren, neue Ehren­amt­liche für die Flücht­lings- und Projekt­ar­beit zu gewinnen und die Organi­sa­tion von Fortbil­dungen und Seminar­frei­zeiten für ehren­amt­liche Helfe­rinnen und Helfer. Mit dem Aufbau eines inter­kul­tu­rellen Sprach­mittler-Pools ist ein neuer, enorm wichtiger Baustein kommu­naler Flücht­lings­ar­beit hinzu­ge­kommen.

„Mit dem Aufbau eines Sprach­mittler-Pools können wir die Qualität in der Flücht­lings­ar­beit verbes­sern und Sprach­bar­rieren abbauen. Die Ehren­amt­li­chen leisten mündliche Dolmet­scher­ar­beiten zum Beispiel bei der Auslän­der­be­hörde, den Ämtern, bei der Polizei, in Kranken­häu­sern oder bei Gesprä­chen mit Anwälten. So können wir Kommu­ni­ka­ti­ons­brü­cken schaffen, die die Arbeit mit Flücht­lingen enorm erleich­tert und stark verbes­sert“, erklärt Sandra Schüler, die in Leipzig Afrika­nistik und Kultur­wis­sen­schaften mit dem Schwer­punkt inter­na­tio­nale Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit studiert hat. In Zeiten klammer Kassen der Kommunen unter­stützt die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz die Flücht­lings­ar­beit der Diakonie.

Bereits heute umfasst der Pool 38 Mutter­sprachler, die 22 Sprachen abdecken. Darunter befinden sich seltene afrika­ni­sche und indische Sprachen wie Mengali, Bengali, Kurdisch, Fasi und Somali. Die Diakonie im Landkreis Helmstedt koope­riert in diesem Fall mit der Univer­sität Hildes­heim. Das Institut für Überset­zungs­wis­sen­schaften und Fachkom­mu­ni­ka­tion arbeitet seit einigen Jahren an der Schulung von Gemein­de­dol­met­schern und hat einen beson­deren Schulungs­lehr­plan entwi­ckelt.

Umso wichtiger ist eine durch die Diakonie gesteu­erte quali­tativ hochwer­tige ehren­amt­liche Dolmet­scher­tä­tig­keit, weil in der Vergan­gen­heit „schwarze Schafe“ die Notsi­tua­tion der Flücht­linge schamlos ausge­nutzt hatten. Dies ist fatal: Denn eine falsche Überset­zung kann die Abschie­bung zur Folge haben. Schüler: „Aber vor allem kann dies schlimme Folgen bei Ärzten haben. Durch die schlechten Überset­zungen wird die Mitarbeit der Patienten enorm beein­flusst, insofern dass sie nicht wirklich verstehen, was ihnen mitge­teilt wird und wie es gesund­heit­lich um sie steht.

„Viele unserer Dolmet­scher haben kriege­ri­sche Ausein­an­der­set­zungen am eigenen Leib erfahren und besitzen selbst einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund“, so Ekke-Peter Seifert, der Beauf­tragte der Diakonie im Landkreis Helmstedt. Unter Ihnen befinden sich ein Politik­wis­sen­schaftler aus Afgha­ni­stan, ein Lehrer aus Syrien und ein Dichter aus Eritrea, also Menschen mit inter­es­santen Biogra­fien. „Eine große Lebens­er­fah­rung, die erfor­der­liche Ernst­haf­tig­keit und eine innere Reife müssen vorhanden sein, um sich bei uns als Sprach­mittler zu bewerben. Denn es gibt viele sensible Frage­stel­lungen und Scree­nings. Nicht jeder ist für diese Arbeit geeignet.“

„Wir holen Menschen aus zum Teil schreck­li­chen Situa­tionen ab und wollen sie ein normales Leben führen lassen. Sie zu begleiten, haben wir uns auf die Fahnen geschrieben“, so Sandra Schüler, die über große Erfahrung in der Flücht­lings­ar­beit verfügt. 2015 hatte sie in der Migra­ti­ons­be­ra­tung der Helmstedter Diakonie angefangen.

Funktio­nie­rende Integra­ti­ons­in­stru­mente sind aktuell sieben Flücht­lings­pro­jekte der Diakonie. „Fahrrad­fahren für Frauen“ ist neben der „Integra­ti­ons­näh­werk­stat“, dem „Männer­kul­tur­treff“, dem „Frauen­früh­stück“ und dem Publi­ka­ti­ons­vor­haben „Benimm­re­geln in der eigenen Kultur“ eines der belieb­testen Projekte. „Viele Frauen aus afrika­ni­schen und arabi­schen Ländern haben das Fahrrad­fahren nicht gelernt, weil sie es nicht durften, der Stamm es nicht zuließ oder weil es dort einfach nicht üblich ist“, berichtet Schüler. „Dabei gibt es kein günsti­geres Fortbe­we­gungs­mittel als das Fahrrad. Viele Frauen freuen sich, es nun bei uns zu lernen“. Für den Helmstedter Diakonie-Chef Ekke-Peter Seifert bietet das Projekt, das in Koope­ra­tion mit dem Kreis­sport­bund statt­findet, weitere integra­tive Vorteile: „Es ermög­licht Frauen, die mitunter in patri­ar­chisch Kulturen aufge­wachsen sind, gezielt neue Räume aber auch neue Handlungs­räume.“

Die Integra­tion zum Ziel hat auch das Buchpro­jekt „Benimm­re­geln in der eigenen Kultur“, bei dem Verhal­tens­re­geln wie Grußrei­hen­folgen und Rituale in Somalia, Eritrea, in arabi­schen Ländern und von Sinti und Roma skizziert werden, um die Anderen besser zu verstehen. Das Ergebnis wird in einem Kinder­buch­format erscheinen. Kinder und Jugend­liche von Migranten fertigen die Illus­tra­tionen an.

Vor allem von den Sprach­mitt­lern erhoffen sich Seifert und Schüler viel. „Sie sorgen nicht nur für korrekte Überset­zungen zur Verbes­se­rung der Genau­ig­keit, sondern trans­por­tieren auch kultu­relle Inhalte“, so Schüler. Das Potenzial sei enorm – und noch lange nicht am Ende angelangt.

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