Maßge­bender Motor beim Wieder­aufbau

Ernst Böhme. Ausschnitt aus dem Ölgemälde von Peter Voigt, 1958 (Leihgabe des Städtischen Museums Braunschweig) in der Oberbürgermeistergalerie. Repro: IBR
Ernst Böhme. Ausschnitt aus dem Ölgemälde von Peter Voigt, 1958 (Leihgabe des Städtischen Museums Braunschweig) in der Oberbürgermeistergalerie. Repro: IBR

75 Jahre Kriegs­ende, Folge 7: Der Sozial­de­mo­krat Ernst Böhme war Braun­schweigs letzter Oberbür­ger­meister vor dem Nazi-Terror und der erste danach.

Die Verän­de­rungen und der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg waren mit Persön­lich­keiten verbunden, die in allen Bereichen unbelastet von ideolo­gi­schen Verant­wor­tungs­lo­sig­keiten der Vergan­gen­heit sein mussten. Vor der Macht­über­nahme durch die Natio­nal­so­zia­listen 1933 standen im Land und in der Stadt Braun­schweig zwei untade­lige Demokraten an der Spitze. Im Land Braun­schweig bis 1930 Minis­ter­prä­si­dent Dr. Heinrich Jasper und in der Stadt Braun­schweig bis 1933 Oberbür­ger­meister Dr. Ernst Böhme. Beide SPD-Politiker wurden von dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Minis­ter­prä­si­denten Dietrich Klagges gedemü­tigt und unmensch­lich verfolgt. Im Falle von Heinrich Jasper geradezu in den Tod getrieben. Vor 75 Jahren, am 19. Februar 1945, starb er im KZ Bergen-Belsen. Vor 75 Jahren, am 1. Juni 1945 wurde Dr. Ernst Böhme von der engli­schen Militär­re­gie­rung als erster demokra­ti­scher Oberbür­ger­meister von Braun­schweig wieder ins Amt einge­setzt. Damit begannen die ersten offizi­ellen Schritte der Stadt in eine demokra­ti­sche Zukunft.

Das englische Modell

Als Vorlage galt das englische System, bei dem an der Spitze ein ehren­amt­li­cher Bürger­meister vorge­sehen war, der sein Amt ehren­amt­lich ausübte und zugleich Vorsit­zender der Stadt­ver­tre­tung (Ratsherren) war. In der Chronik der Stadt ist dazu vermerkt: „Der Oberbür­ger­meister wird durch zwei ebenfalls ehren­amt­liche Bürger­meister vertreten. Ihm unter­stellt ist der an der Spitze der städti­schen Verwal­tung stehende haupt­amt­liche Oberstadt­di­rektor, dem acht haupt­amt­liche und sieben ehren­amt­liche Beigeord­nete – Stadträte – zugeordnet sind. Zunächst verbindet Oberbür­ger­meister Böhme die Ämter des Oberbür­ger­meis­ters und des Oberstadt­di­rek­tors in Perso­nal­union“.

Auf festem, wenn auch verwüs­tetem Boden

Vor 75 Jahren, am 5. Dezember 1945 fand in der Kant-Hochschule die erste öffent­liche Sitzung der Stadt­ver­tre­tung statt, wo auch der neue Landtag tagte. Damit war für Land und Stadt vor 75 Jahren in der Kant-Hochschule der Neubeginn der Demokratie in Braun­schweig. In seiner Antritts­rede sagte Böhme: „Wir haben uns durch den ekligen Sumpf des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dritten Reiches hindurch­ge­rettet und stehen wieder auf festem, wenn auch verwüs­tetem Boden. Schmerz und Zorn ergreifen uns, wenn wir die Trümmer unserer Stadt ansehen. Aber bitterer noch ist die Trauer um dieje­nigen, die in diesen zwölf Jahren mit Gewalt von unserer Seite gerissen wurden. In dieser denkwür­digen Stunde, wo zum ersten Male nach zwölf Jahren der Tyrannei eine Vertre­tung der Einwoh­ner­schaft Braun­schweigs zusam­men­tritt, ruft uns die innere Stimme, derje­nigen Mitbürger zu gedenken, die dieser Tyrannei zum Opfer gefallen sind. Wir gedenken der 12.000 Soldaten aus der Stadt Braun­schweig, die in diesem Kriege getötet oder schwer verwundet worden sind. Wir trauern um die 2.700 Männer, Frauen und Kinder, die in der Stadt Braun­schweig von Bomben getroffen, von Trümmern verschüttet oder den Feuertod gestorben sind. Weitere 12.000 Soldaten aus unserer Stadt sind bisher aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft nicht heimge­kehrt, und das Schicksal vieler von ihnen ist unbekannt.“

„Es bleibt unsere Heimat­erde“

Weiter führte er aus: „Und dennoch drängt es uns in dieser Minute, ein Bekenntnis abzulegen für dieses zerstü­ckelte und verwüs­tete Land, für dieses hungernde und frierende Volk. Dieses Land, es bleibt unsere Heimat­erde, an sie wollen wir uns klammern mit der Inbrunst dessen, der kaum noch etwas anderes hat als diese Trümmer­haufen; es ist unser Geburts­land, unser Heimat­land, und wir bekennen, dass wir es weiter lieben, dass wir seine Einheit begehren, und dass wir wünschen, dass wir es wieder frei und in Frieden selbst verwaltet können. Und dieses Volk, von den Tyrannen gefoltert, in den Bomben­nächten durch Feuer und Eisen gejagt, von den Siegern zu Boden geschlagen, jetzt dem Hunger und der Kälte preis­ge­geben, es ist und bleibt unser Volk; und was an Flücht­lingen aus dem Osten zu uns herströmt, es soll in uns den Bruder sehen, und was aus der Gefan­gen­schaft heimkehrt, soll fühlen, dass es doch noch eine Heimat gibt. Dem Dienst an diesem Volk, an diesem Vater­lande, an dieser unserer Stadt, in Harmonie mit den anderen Völkern der Erde soll unser Leben, soll unsere Arbeit gewidmet sein. Das geloben wir!“

Ernst Böhme, am 23. Januar 1892 in Magdeburg geboren, kam 1929 nach Braun­schweig. Er wurde nach einem auch medial intensiv beglei­teten Auswahl­ver­fahren wurde Ernst Böhme am 23. November 1929 zum Oberbür­ger­meister der Stadt Braun­schweig gewählt. Er war mit 37 Jahren der jüngste Oberbür­ger­meister der Weimarer Republik.

Mehrmals in „Schutz­haft“

Durch eine Verfügung des damaligen braun­schwei­gi­schen Innen­mi­nis­ters, dem Natio­nal­so­zia­listen Dietrich Klagges, wurde Ernst Böhme am 13. März 1933 seines Amtes enthoben, von der SA im Rathaus verhaftet und in „Schutz­haft“ genommen, aber noch am gleichen Abend entlassen. Am 25. März überfielen ihn dann SS-Schergen in seiner Wohnung Adolf­straße 52, wobei Böhme mehrfach bis zur Bewusst­lo­sig­keit geprügelt und grausam misshan­delt wurde. Im Anschluss an diese Misshand­lungen wurde er, dem man eine rote Schärpe umlegte, erneut in „Schutz­haft“ genommen und in menschen­ver­ach­tender Weise von der SS durch die Stadt ins Gefängnis am Rennel­berg getrieben.

Nach der Entlas­sung aus dem Gefängnis am 19. April 1936 wechselte Ernst Böhme nach Berlin. Da aus politi­schen Gründen seine Zulassung als Anwalt abgelehnt wurde, begann er ein Studium der Betriebs- und Volks­wirt­schaft in Berlin und Halle und nach einer ergän­zenden Prüfung vor der Industrie- und Handels­kammer war er 1936 bis 1944 als Steuer- und Devisen­be­rater in Berlin tätig.

Rückkehr auf Wunsch der Bürger

Auf Wunsch zahlrei­cher Bürger und auf Beschluss der ameri­ka­ni­schen Militär­re­gie­rung kehrte Ernst Böhme nach Kriegs­ende nach Braun­schweig zurück und wurde wieder in sein Amt als Oberbür­ger­meister einge­setzt. Die zustän­dige britische Militär­re­gie­rung setzte zum 1. April 1946 an die neue Gemein­de­ord­nung mit der zweiglei­sigen Verwal­tungs­spitze in Kraft.

Neben dem ehren­amt­li­chen Oberbür­ger­meister, der zugleich Ratsvor­sit­zender war, führte nun ein haupt­amt­li­cher Oberstadt­di­rektor die Leitung der Verwal­tung. Dieses Amt übernahm am 12. September 1946 Erich Walter Lotz, der bis 1960 erster Oberstadt­di­rektor Braun­schweigs war. Ernst Böhme dagegen hatte sich für das ehren­amt­liche Oberbür­ger­meis­teramt entschieden, das in erster Linie reprä­sen­ta­tive Aufgaben vorsah. Dennoch war er maßge­bender Motor beim Wieder­aufbau der weitge­hend zerstörten und geschun­denen Stadt Braun­schweig. Neben einer planmä­ßigen Trümmer­räu­mung, die Ernst Böhme erfolg­reich organi­sierte, standen Wieder­aufbau, Wohnungs­be­schaf­fung und Infra­struk­tur­maß­nahmen im Mittel­punkt der notwen­digen Entschei­dungen.

Zum Ehren­bürger ernannt

Aufgrund einer schweren Erkran­kung nach einer misslun­genen Kehlkopf­ope­ra­tion, legte Ernst Böhme sein Amt am 17. Dezember 1948 nieder und übergab es an seinen Nachfolger Otto Bennemann. In gleicher Sitzung wurde Ernst Böhme einstimmig zum Ehren­bürger der Stadt Braun­schweig ernannt.

In der Folgezeit arbeitete er als Anwalt und Notar mit eigener Praxis und setzte seine politi­sche Arbeit fort. Schon seit 1946 war Ernst Böhme Mitglied des Braun­schwei­gi­schen Landtags und von 1949 bis 1955 des Nieder­säch­si­schen Landtags. Ernst Böhme starb am 21. Juli 1968 in Braun­schweig im Alter von 76 Jahren und ist in einem Ehrengrab auf dem Braun­schweiger Haupt­friedhof bestattet.

Verstand, Tatkraft und Mut

Bei der Trauer­feier würdigte ihn Oberbür­ger­meister Bernhard Ließ als Persön­lich­keit, die „Verant­wor­tungs­be­wusst­sein, unschätz­bare Erfahrung in der Kommu­nal­po­litik, Verstand, Tatkraft und Mut sowie Autorität“ besaß und der Motor war, „der die zur Besei­ti­gung der geistigen, seeli­schen und materi­ellen Trümmer entschlos­senen Frauen und Männer führte, Ziel wies, ermun­terte und gegebe­nen­falls antrieb.“

In Ernst Böhmes Amtszeit setzte Braun­schweigs Struk­tur­wandel zum Wissen­schafts­standort mit Großfor­schungs­ein­rich­tungen wie der heutigen Physi­ka­lisch-Techni­schen Bundes­an­stalt (PTB) ein. Sein Engage­ment für Wieder­aufbau und Fortbe­stehen der Univer­sität wurde am 9. September 1946 mit der Auszeich­nung zum Ehren­se­nator der Techni­schen Hochschule Braun­schweig gewürdigt.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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