Hitler verhin­derte Gau „Ostfalen“

Ausschnitt Gaueinteilung Nordwest-Deutschlands nach Klagges (1934). Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Wolfenbüttel, K 14057, Blatt II.
Ausschnitt Gaueinteilung Nordwest-Deutschlands nach Klagges (1934). Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Wolfenbüttel, K 14057, Blatt II.

Mit dem Braun­schwei­gi­schen Jahrbuch 2017 erscheint der 98. Band des wissen­schaft­li­chen Organs des Braun­schwei­gi­schen Geschichts­ver­eins. Es versam­melt zahlreiche Beiträge zur Geschichte des Braun­schweiger Landes – vom 17. bis ins 20. Jahrhun­dert.

Der Braun­schwei­gi­sche Geschichts­verein wurde 1901 als „Geschichts­verein für das Herzogtum Braun­schweig“ gegründet und hat heute inter­na­tional etwa 500 Mitglieder. Ziel des Vereins ist die Förderung des histo­ri­schen Bewusst­seins und einer regio­nalen Identität der Region zwischen Harz, Heide und Weser. Eine wichtige Aufgabe des Geschichts­ver­eins ist die Förderung der histo­ri­schen Forschung. Dazu gehört auch die Heraus­gabe des Braun­schwei­gi­schen Jahrbu­ches, das seit 1902 erscheint.

Die Beiträge spannen in dem Band 2017 thema­tisch einen weiten Bogen vom barocken Garten des Schlosses Salzdahlum bis hin zu wieder­ent­deckten Zeich­nungen Peter Joseph Krahes, von einer Beschrei­bung Schöp­pen­stedts aus dem 17. Jahrhun­dert bis zum Braun­schweiger Röntgen­pio­nier Müller.

Im Fokus steht ein Beitrag von Prof. Dr. Ulrich Menzel, der sich in den vergan­genen Jahren intensiv mit der Einbür­ge­rung Adolf Hitlers beschäf­tigt hat. Die Debatte während der Nazi-Diktatur, ob Braun­schweig als selbst­stän­diges Herzogtum bestehen bleiben oder in einer größeren Einheit aufgehen sollte, ist Menzels Thema im Jahrbuch. Menzel, bis 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Inter­na­tio­nale Bezie­hungen und Verglei­chende Regie­rungs­lehre der TU Braun­schweig, unter­sucht die Hinter­gründe und Adolf Hitlers beson­derer Beziehung zu der Stadt.

Ausgangs­punkt der damaligen Überle­gungen war die im Zuge der Weimarer Verfas­sung geplante Neuglie­de­rung der Länder. Vordenker war der Geograph und Landes­planer Kurt Brüning. Er favori­sierte die Gründung eines Landes Nieder­sachsen unter Einschluss der norddeut­schen Klein­staaten. Brüning argumen­tierte histo­risch: Die Zersplit­te­rung sei das Resultat vieler Zufäl­lig­keiten seit 1180, ein politi­scher Zusam­men­schluss sei deshalb überfällig. Am Ende der Weimarer Republik fehlte jedoch die politi­sche Kraft zur Umsetzung.

Mit der Macht­über­nahme der Natio­nal­so­zia­listen kamen die Pläne wieder hoch. Doch sie stießen zunächst auf dieselben Wider­stände der Klein­staaten, die ihre Eigen­stän­dig­keit behalten wollten. Neue Wider­stände kamen durch das komplexe Macht­ge­füge des NS-Staates hinzu – nicht nur in Braun­schweig, wie Menzel erklärt. Allen voran hatte Dietrich Klagges Angst um sein Amt – denn die Neuglie­de­rung sah noch nicht mal einen Regie­rungs­be­zirk Braun­schweig vor, somit auch keinen Minis­ter­prä­si­denten. Alles hing nun davon ab, welche Bedeutung Adolf Hitler den Diskus­sionen beimaß.

Nach Zeitungs­be­richten über die neuer­li­chen Pläne war die Empörung groß in Braun­schweig. Verschie­dene Denkschriften mit unter­schied­li­chen Lösungs­vor­schlägen und Strate­gien erschienen, um die Auflösung des Landes Braun­schweigs zu verhin­dern. Klagges‘ Vision sah vor, dass nicht Braun­schweig in einem Land Nieder­sachsen aufgehen sollte, sondern Braun­schweig aus Nieder­sachsen heraus­ge­löst und mit Teilen der Gaue Südhan­nover-Braun­schweig und Osthan­nover so weit vergrö­ßert werden sollte, dass ein eigener Gau „Ostfalen“ entstehen würde mit Braun­schweig als Haupt­stadt – und selbst­ver­ständ­lich Klagges als Gauleiter. Er begrün­dete seine Argumen­ta­tion ganz im Sinne der völki­schen NS-Ideologie mit der histo­ri­schen Bedeutung der Sachsen und Heinrich dem Löwen.

Menzel zeigt sich in seinem Jahrbuch-Beitrag beein­druckt, wie geschickt Klagges zugunsten eines Gaues und so selbst für ein Verschwinden Braun­schweigs plädierte, um seine Macht­po­si­tion zu erhalten. An anderen Orten gab es ähnliche Initia­tiven. Hitler legte schließ­lich fest, dass die Länder erhalten bleiben sollten und kein Gau Ostfalen gegründet würde. Menzel vermutet, dass Hitler so entschied, weil er sich Braun­schweig verpflichtet fühlte. Einen Schluss­punkt unter die Diskus­sion gab es erst 1946: Braun­schweigs ging im neu gegrün­deten Land Nieder­sachsen auf.

In einem kleineren Beitrag stellte Roxanne Berwinkel den Blog des Braun­schweiger Geschichts­ver­eins vor. Damit infor­miert der Verein über aktuelle Themen der Landes­ge­schichte, stellt aktuelle Forschungs­vor­haben und Insti­tu­tionen vor. Auch auf aktuelle Termine und Veran­stal­tungen wird hinge­wiesen. So können verschie­dene Themen als Ergänzung zum Jahrbuch mit geringem Aufwand schnell einem breiten Publikum zugäng­lich gemacht werden.

Neben den Beiträgen beinhaltet das Jahrbuch auch einen Rezen­si­ons­teil. Fachkun­dige und unabhän­gige Autoren stellen aktuelle Neuerschei­nungen zur Geschichte des Braun­schweiger Raumes vor. Eine wichtige Funktion des Jahrbu­ches, wie Dr. Brage Bei der Wieden, Vorsit­zender des Geschichts­ver­eins und Heraus­geber und Schrift­leiter des Jahrbu­ches, in dem Vorwort erklärt. So würden Themen und Erkennt­nisse der braun­schwei­gi­schen Geschichte in überre­gio­nale Zusam­men­hänge gestellt und bekannt gemacht.

Das Jahrbuch gelangt im Schrif­ten­tausch an 205 Insti­tu­tionen im In- und Ausland, darunter die Akademien der Wissen­schaften in Göttingen, München, Stockholm und Prag und die Bodlein Library in Oxford. Seit 2007 fördert die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz die Druck­le­gung des Jahrbu­ches. Damit sichert sie nicht nur die Zukunft des Jahrbuchs als Aushän­ge­schild des Geschichts­ver­eins, sondern bestimmt so auch die Wahrneh­mung der braun­schwei­gi­schen Geschichte und Geschichts­for­schung auch außerhalb der Region. Neben dem Jahrbuch bietet der Geschichts­verein seinen Mitglie­dern ein abwechs­lungs­rei­ches Vortrags- und Exkur­si­ons­pro­gramm.

Infor­ma­tionen

Das Jahrbuch ist für 24 Euro im Buchhandel erhält­lich, Mitglieder erhalten es als Jahres­gabe zugesandt.

Die Ausgaben ab 1902 bis 2006 sind digital auf dem Publi­ka­ti­ons­server der TU Braun­schweig verfügbar: https://publikationsserver.tu-braunschweig.de/receive/dbbs_mods_64800.

Die nächsten Veran­stal­tungen des Braun­schwei­gi­schen Geschichts­ver­eins:

22. März, 19 Uhr, Theater­saal Schloss Wolfen­büttel: 900 Jahre Wolfen­büttel: den Anfängen auf der Spur. In Zusam­men­ar­beit mit dem Museum Schloss Wolfen­büttel.
Im Jahre 1118 erscheint der Name „Wolfen­büttel“ erstmals in der schrift­li­chen Überlie­fe­rung. Was hat das zu bedeuten? Was wissen wir über Wolfen­büttel im Mittel­alter? Dr. Michael Geschwinde (Nieder­säch­si­sches Landesamt für Denkmal­pflege), Dr. Kerstin Rahn (Nieder­säch­si­sches Landes­ar­chiv), Prof. Dr. Thomas Scharff (TU Braun­schweig) im Gespräch. Modera­tion: Stephanie Memmert.

19.April, 19 Uhr, Blauer Saal/Stadtbibliothek Braun­schweig: Mitglie­der­ver­samm­lung und Vortrag Prof. Dr. Gerhard Schildt: Die Revolu­tion von 1830 – und ihre prägende Wirkung.
Die Revolu­tion von 1918 war nicht der erste gewalt­same Umsturz im Lande Braun­schweig. 1830 wurden Bedin­gungen geschaffen, die bis 1918 fortwirkten.

Mehr zum Verein, Terminen, Veröf­fent­li­chungen und Exkur­sionen des Braun­schwei­gi­schen Geschichts­ver­eins unter www.bs-gv.de.

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