“Polarstern”-Crew muss länger als geplant an Bord bleiben

Der nächste Crew-Wechsel verzögert sich wohl um Wochen. Foto: dpa
Der nächste Crew-Wechsel verzögert sich wohl um Wochen. Foto: dpa

Seit einem halben Jahr ist das Forschungs­schiff in der Zentral­arktis. Corona-Pandemie verzögert Austausch der Wissen­schaftler.

Markus Rex hat im Moment kaum eine ruhige Minute. Ständig ist er im Austausch mit Behörden, dem Auswär­tigen Amt oder Kollegen. Der Wissen­schaftler am Alfred-Wegener-Institut (AWI) ist Leiter der einjäh­rigen “Mosaic”-Expedition, die am 1. April Halbzeit feiert.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 26.03.2020 (Bezahl-Artikel)

An diesem Meilen­stein zumindest will er keinen Zweifel aufkommen lassen: “Wir gehen weiterhin davon aus, dass die “Polar­stern” wie geplant am 12. Oktober nach Bremer­haven zurück­kehren wird. Aus derzei­tiger Sicht wird die Corona-Pandemie nicht zu einem frühzei­tigen Abbruch der Expedi­tion führen.”

Aller­dings verzögere sich der nächste Crew-Wechsel um Wochen, weil Ein- und Ausrei­se­ge­neh­mi­gungen erteilt und Quaran­tä­ne­vor­schriften einge­halten werden müssten. Als das Bremer­ha­vener Forschungs­schiff “Polar­stern” am 20. September 2019 von Norwegen aufbrach, um sich für ein Jahr in der zentralen Arktis einfrieren zu lassen, gab es zahlreiche Notfall­sze­na­rien. Die Wissen­schaftler wollten auf alle Eventua­li­täten vorbe­reitet sein. “Wir haben Pläne für vieles in den Schub­laden”, betont Markus Rex, “aber nicht für eine weltweite Pandemie dieses Ausmaßes. Das konnte niemand vorher­sehen.”

Während der einjäh­rigen Drift im Eis sollten alle zwei Monate die je hundert inter­na­tio­nalen Forscher an Bord ausge­tauscht werden. Der letzte Wechsel verzö­gerte sich bereits um zwei Wochen, weil das Versor­gungs­schiff mit dem neuen Personal nur sehr langsam durch das dichte Eis vorankam. Für den nächste Austausch sollten Polar­flug­zeuge einge­setzt werden. Auf der riesigen Eisscholle, mit der die “Polar­stern” driftet, wurde dazu eine Landebahn präpa­riert. Doch die Corona-Pandemie hat alle Pläne zunichte gemacht: Niemand darf mehr nach Norwegen einreisen, die Wissen­schaftler haben von ihren Insti­tuten Reise­ver­bote bekommen.

“Wir sind mit unseren Partnern in Diskus­sion, wie wir den nächsten Austausch trotzdem hinbe­kommen”, sagt Rex. Dieser werde “sehr wahrschein­lich im Mai” sein. “Wenn wir eine sichere Lösung gefunden haben, die von allen Behörden genehmigt ist, werden wir sie mitteilen.” Klar ist: Bevor die neue Crew auf das Schiff kommt, werde sie zwei Mal auf das Virus Sars-CoV‑2 getestet.

Rex selber wäre nach den ursprüng­li­chen Plänen schon längst wieder an Bord. Beim ersten “Mosaic”-Fahrtabschnitt war er bereits dabei, er wollte für den vierten Fahrt­ab­schnitt vor seinen Kollegen da sein und dafür einen Flug im Rahmen eines Projekts zur Vermes­sung von Atmosphäre und Meereis nutzen. Doch die Kampagne musste ausge­setzt werden, weil ein Teilnehmer positiv auf das Corona­virus getestet worden war. Nun sitzt Rex in selbst­auf­er­legter häusli­cher Quaran­täne. Er wolle kein Risiko eingehen.

Die derzei­tige Mannschaft auf dem Forschungs­schiff sei indes nicht in Gefahr. “Sie ist gut mit Lebens­mit­teln und Treib­stoff versorgt”, betont Rex. Dass sie nun wesent­lich länger als geplant an Bord bleiben muss, nehme jeder Teilnehmer anders auf. “Natürlich gibt es auch welche, die darunter leiden und gerne bei ihren Familien wären.” Deshalb werden Satel­li­ten­te­le­fon­ge­spräche mit einem Coach angeboten, der sich auf Krisen­be­wäl­ti­gung spezia­li­siert habe. “Bisher sehe ich aber nicht, dass das nötig ist”, so Rex.

Den Forschern müsse überhaupt erst einmal das drama­ti­sche Ausmaß der Corona-Pandemie verdeut­licht werden. “Sie können ja nicht im Internet surfen, dafür reicht die Bandbreite nicht.” Täglich bekämen sie zwar kurze Zusam­men­fas­sungen der Nachrichten. Außerdem stünden sie per E‑Mail oder WhatsApp in Kontakt mit ihren Familien. Aber die manchmal sich stündlich überschla­genden Nachrichten bekomme die Mannschaft in der Arktis nicht mit.

Die Crew habe zudem zurzeit ihre ganz eigenen Probleme. “Es gibt eine hohe Eisdy­namik, immer wieder entstehen Risse auf der Scholle, und Instru­mente drohen zu versinken.” Dementspre­chend hätten die Forscher alle Hände voll zu tun, so Rex. “Das Leben an Bord geht weiter wie eh und je.”

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 26.03.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/wissen/article228777789/Polarstern-Crew-muss-laenger-als-geplant-an-Bord-bleiben.html (Bezahl-Artikel)

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