Braun­schweiger Forscher schickt Grüße

Die „Polarstern“ ist seit Ende Februar die vorübergehende „Heimat“ von Falk Pätzold. Im Vordergrund ist eines seiner Arbeitsgeräte zu sehen: der Helipod. Foto: Falk Pätzold / TU Braunschweig
Die „Polarstern“ ist seit Ende Februar die vorübergehende „Heimat“ von Falk Pätzold. Im Vordergrund ist eines seiner Arbeitsgeräte zu sehen: der Helipod. Foto: Falk Pätzold / TU Braunschweig

Der TU-Wissen­schaftler Falk Pätzold forscht seit Februar auf dem Eisbre­cher „Polar­stern“. Die Expedi­tion wäre wegen Corona fast abgebro­chen worden.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 02.06.2020 (Bezahl-Artikel)</strong

Für die größte Arktis-Expedi­tion aller Zeiten hatte man unzählige Notfall-Szenarien durch­ge­spielt. Corona war nicht dabei. Fast hätte die Pandemie jetzt zum Abbruch der Mission „Mosaic“ unter Leitung des Alfred-Wegner-Instituts geführt. Aber nun scheint doch noch alles gut zu werden. Auch für den Braun­schweiger Wissen­schaftler Falk Pätzold vom Institut für Flugfüh­rung der Techni­schen Univer­sität geht damit ein außer­ge­wöhn­li­cher Einsatz weiter. Seit Ende Februar ist er an Bord des Forschungs­eis­bre­chers „Polar­stern“ und unter­sucht die Wechsel­wir­kungen zwischen Meereis, Atmosphäre und Wolken.

Mission gerettet

Die „Polar­stern“ ist seit Oktober 2019 in der Arktis. Sie hat dort an einer zwei mal drei Kilometer großen Eisscholle angedockt und driftete mit dem Eis durchs Nordpo­lar­meer. Ein Jahr lang wollen insgesamt 600 Wissen­schaftler aus rund 20 Nationen unzählige Daten im Eis, in der Luft und in der Tiefsee sammeln. Noch nie zuvor ist es gelungen, die Arktis über einen so langen Zeitraum vor Ort zu beobachten. Ziel der Expedi­tion ist es, den Einfluss der Arktis auf das globale Klima und den Klima­wandel besser zu verstehen.

Alle zwei Monate ist ein Crew-Wechsel vorge­sehen: Teile der Wissen­schaftler und Schiffs­be­sat­zung werden abgeholt und neue gebracht. Mehrmals hat das bereits geklappt, und auch für Mai war ein Wechsel vorge­sehen – dieses Mal mit Flugzeugen. Wegen der Corona-Pandemie durfte aber niemand mehr nach Norwegen einreisen, wo die Flüge starten sollten. Außerdem waren die Flughäfen gesperrt, und ebenso durfte kein Eisbre­cher ablegen.

Die Rettung sind nun die beiden deutschen Forschungs­schiffe „Sonne“ und „Maria S. Merian“. Sie wären zurzeit eigent­lich im Indischen Ozean und vor Feuerland unterwegs gewesen. Doch Corona hat auch dies unter­bunden, und die Schiffe wurden in die Heimat zurück­be­or­dert. Mitte Mai sind sie dann mit dem neuen Polar­stern-Team, mit Lebens­mit­teln und Ausrüs­tung in Bremer­haven gen Arktis gestartet. Alle Crew-Mitglieder waren vorher 14 Tage in Quaran­täne und wurden dreimal auf das Virus getestet. Vor einer Woche haben die Schiffe die Insel­gruppe Spitz­bergen erreicht, wo die See eisfrei ist. Jetzt warten sie auf die „Polar­stern“.

Der Eisbre­cher musste seine Scholle vor zwei Wochen für dieses Rendez­vous zwangs­läufig und ungeplant verlassen und jede Menge Technik abbauen. Der Weg durchs Eis Richtung Süden ist beschwer­lich, die „Polar­stern“ kommt nur langsam voran. In Kürze ist es aber soweit: Dann treffen die drei Forschungs­schiffe aufein­ander, die Teams können auf hoher See wechseln, die Ausrüs­tung wird mit Bordkränen übergeben – und danach kehrt die „Polar­stern“ zu ihrer Eisscholle nah am Nordpol zurück.

Messungen in der Luft

Falk Pätzold bleibt an Bord der „Polar­stern“, seine Forschung geht noch weiter. Mit der Hubschrauber-Schlepp­sonde „HELiPOD“ und dem Quadro­c­opter „ALICE“ misst er zum Beispiel Wind, Luftfeuchte, Luftdruck sowie Treib­haus­gase wie Methan und Kohlen­di­oxid. Außerdem geht es auch um Ozon und Aerosole, also feinste Partikel in der Atmosphäre, um die Sonnen­strah­lung und die Wärme­strah­lung des Eises sowie um die Rauigkeit der Eis-Oberfläche.

Pätzold hat regel­mäßig Kontakt mit seiner Braun­schweiger Insti­tuts­kol­legin Astrid Lampert und schickt ihr Berichte. Wir veröf­fent­li­chen im Folgenden einige davon ab, sie stammen aus den Wochen, bevor der Eisbre­cher seine Eisscholle vorüber­ge­hend verlassen hat.

Starke Risse im Eis

1. April: „Laut offizi­eller Darstel­lung ist die Polar­stern im Eis festge­froren. Das mag man sich vielleicht vorstellen wie einen Ast, der im Winter im Dorfteich einge­froren ist. Nur trifft diese Vorstel­lung nicht auf die Situation hier zu. Das Eis ist, abhängig von Wind und Gezeiten, in Bewegung. Das Schiff wird wie ein Korken dazwi­schen hin und her gedrückt.

Das geht mal lautlos vonstatten, meist aber mit Tönen unter­schied­li­cher Art und Lautstärke. Leises Brummeln zeigt an, dass das Schiff langsam rollt. Quernei­gungen von 5 Grad in beide Richtungen in stünd­li­chem Wechsel sind durchaus normal. Bei lautem, tiefknur­rendem Geknir­sche wird das Schiff rückwärts gerückt. Die Bewegungs­ge­schwin­dig­keit ist zwar meist niedrig, in der Größen­ord­nung von einem Meter pro Minute, das aber unauf­haltsam. Nach 5 bis 30 Minuten ist es meist wieder vorbei.

Bis Ende Februar war die Polar­stern mit jeweils drei Leinen an Bug und Heck an der Scholle festge­macht und hat sich kaum bewegt. Seit es ab Anfang März starke Rissbil­dungen gibt, ist sie jedoch nicht so einfach an der Scholle zu halten. Zu hohe Kräfte auf die Eisanker ziehen diese heraus oder lassen die Scholle dort brechen. Auch Taue sind bereits gerissen.

Mit der Schol­len­rand­lage und einer permanent leichten Rotation des gesamten Eissys­tems wirken auf die Polar­stern entspre­chend Scherungs­kräfte. Vor zwei Wochen mussten auch mal die Antriebs­ma­schinen gestartet werden, um die Polar­stern an der Scholle zu halten. Auch wurde erwogen, sie auf die andere Seite der Haupt­scholle umzuparken. Das Manöver wurde aber abgesagt, weil sich inzwi­schen sehr hoher Druck im Eis aufgebaut hatte. Bewegt sich die Polar­stern gegenüber der Scholle, kann das die Strom­ver­sor­gung zu den Geräten auf dem Eis kappen. Tagsüber wurden aus Sicher­heits­gründen mehrfach alle Arbeiten auf dem Eis unter­bro­chen.“

Minus 30 Grad und Sonnen­schein

7. April: „Das Wetter, vor allem der Wind, war in der vergan­genen Woche insgesamt sehr ruhig, so dass keine neuen größeren Risse im Eis aufge­taucht sind, sondern die vorhan­denen wieder zufrieren. Die Tempe­ra­turen und damit die Sicht­weiten wechseln wiederum rasch. Gestern Abend hat es geschneit und es war kurzzeitig minus 12 Grad warm. Heute Morgen waren schon wieder knapp minus 30 Grad bei feinem Sonnen­schein.“

Fußball auf dem Eis

19. April: „Es gibt einen festen Tages­rhythmus: 7.30 Uhr Frühstück, 11.30 Uhr Mittag­essen, 15.30 Uhr Kuchen mit warmen Getränken, 17.30 Uhr Abend­essen. Die Arbeits­zeiten auf dem Eis richten sich danach und sind in die Slots 9 bis 11.30 Uhr, 13 bis 15.30 Uhr und 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr unter­teilt. Vom strengen Takt der Mahlzeiten muss man sich aber nicht treiben lassen. So lasse ich das Frühstück immer weg, es sei denn, es geht für mich vormit­tags raus. Wenn sich das Abend­essen gut aufwärmen lässt, findet man dieses sowie weitere Lecke­reien auch später noch in der Mannschafts­messe.

Die Arbeit auf dem Eis ist nicht auf 2 bis 2,5 Stunden beschränkt Manche Aktionen dauern von 9 bis 17.30 Uhr. Abends gibt es zudem das eine oder andere Meeting. Gelebt wird nach der Uhr an der Wand. Die Arbeits­zeit an Bord ist für die Wissen­schaftler nicht wirklich reguliert. Sonntag­vor­mit­tags soll aber Freizeit sein.

Da die Zeit hier nicht übermä­ßige Abwechs­lung bietet, gibt es einige Freizeit­ak­ti­vi­täten. So treffen sich bei passenden Wetter­be­din­gungen abends Leute für den Hiking-Club und wandern eine bis 1,5 Stunden durch die Gegend. Vergan­genen Sonntag gab es bei milden minus 6 Grad abends ein Fußball­spiel, das in Erman­ge­lung eines Referees nicht abgepfiffen wurde, sondern erst nach einer Stunde und 15 Minuten (ohne Pause) zu Ende war, weil die Ersten umgefallen sind. Jede Kuhwiese wäre besser bespielbar gewesen. Bei allen Outdoor-Aktivi­täten muss selbst­re­dend eine Eisbären-Wache dabei sein.“

Eisbär-Besuch im Zickzack-Kurs

26. April: „Der Eisbär, der vor drei Tagen hier war, hat Spuren hinter­lassen, die an den Tagen danach zusam­men­ge­tragen werden konnten. Zu erkennen war, dass er nicht gerad­linig durchs Camp gezogen ist, sondern sich eher wie ein kleines Kind im Zick-Zack-Kurs alles angeschaut hat. Schäden wurden keine berichtet – das heißt, er war satt.“

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 02.06.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article229235508/Braunschweiger-Forscher-schickt-Gruesse-vom-Nordpol.html (Bezahl-Artikel)

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