„Spieglein, Spieglein an der Wand…“

Besonders der reich verzierte Rahmen fällt bei diesem seltenen Spiegel aus dem 18. Jahrhundert ins Auge. Foto: Richard Borek Stiftung
Besonders der reich verzierte Rahmen fällt bei diesem seltenen Spiegel aus dem 18. Jahrhundert ins Auge. Foto: Richard Borek Stiftung

Objekt des Monats, Folge 15:  Ein Braun­schweiger Glanz­stück aus dem 18. Jahrhun­dert.

Der Spiegel in seiner ganzen Größe ist etwa einen Meter hoch. Foto: Richard Borek Stiftung
Der Spiegel in seiner ganzen Größe ist etwa einen Meter hoch. Foto: Richard Borek Stiftung

Möchte man sich in dem ca. einen Meter hohen Wandspiegel aus der Zeit um 1750 betrachten, gestaltet es sich als Heraus­for­de­rung. Denn sobald man davor­steht, fällt der Blick zunächst auf den kunstvoll gestal­teten Rahmen, der mit einer lebhaften floralen Ornamentik verziert ist. Bis auf die großen Ranken im viertei­ligen Giebel im oberen Bereich und auf den beiden Seiten­rän­dern, wurden die symme­trisch angeord­neten Muster – darunter Streu­blumen, Früchte, Stängel und Blätter – rückseitig in das Glas einge­schnitten. Dennoch wirken sie, als wären sie von vorne einge­schliffen, was dem Spiegel eine faszi­nie­rende Tiefe verleiht. Nicht zuletzt entsteht dadurch ein faszi­nie­rendes Spiel zwischen Glanz und Schatten, dem auch die blinden Stellen, die sich im Laufe der Jahrhun­derte gebildet haben, kaum etwas anhaben können.

Glaskunst aus Meister­hand

Das mundge­bla­sene, aus gestreckten Glaszy­lin­dern bestehende Spiegel­glas wurde in der Fürst­li­chen Spiegel­glas­hütte Grünen­plan am nieder­säch­si­schen Hils, der einzigen Spiegel­glas­hütte im Herzogtum Braun­schweig, gefertigt und dort vermut­lich auch geschliffen poliert. Für die weitere Verar­bei­tung versandte man die Glasplatten per Kurier – gut in Holzwolle einge­packt – in die Braun­schweiger Hofspie­gel­ma­nu­faktur Thomas Körblein (um 1713–1753), die einst in der Nähe des Stein­tores gelegen war. Hier wurden sie mit Zinnfolie bzw. Queck­silber belegt und verziert.

Wie u. a. auch die Fürsten­berger Porzel­lan­ma­nu­faktur oder die Glashütte zu Schorborn, gingen diese beiden Unter­nehmen ebenfalls aus dem Bestreben des Braun­schweiger Herzogs Carl I. (1713–1780) hervor, die Kultur und Wirtschaft in seinem Herrschafts­ge­biet zu fördern und zu stärken. Die 1744 gegrün­dete „Fürst­liche Spiegel­glas­hütte auf dem Grünen Plan“ ist heute Teil der Schott AG, die weltweit vor allem für die Herstel­lung von Spezi­al­glas und Glaske­ramik bekannt ist.

Die künst­le­ri­sche Verzie­rung des Wandspie­gels geht auf Johann Heinrich Balthasar Sang (geb. 1723) zurück, dessen Signatur unten links am Spiegel zu sehen ist. Der aus einer berühmten thürin­gi­schen Glasschnei­der­fa­milie stammende Glaskünstler, der die Kunst der Glasver­ede­lung von klein auf bei seinem Vater Andreas Friedrich Sang erlernte, wurde im Jahr 1747 von Carl I. zum Herzog­li­chen Hofglas­schneider berufen. Als namhafter Meister des Glasschnittes veredelte er in Braun­schweig bis mindes­tens 1764 Glaser­zeug­nisse mit verspielten Ornamen­ik­mus­tern, figür­li­chen Darstel­lungen und Landschaften. Dazu gehörten vor allem Pokale, aber auch Glasplatten für Spiegel sowie Schränke und Uhren­ge­häuse. Meist nutzte er dafür Kupfer­stiche oder von ihm auf Papier gezeich­nete und signierte Vorlagen.

Die Signatur des Glaskünstlers Balthasar Sang. Foto: Richard Borek Stiftung
Die Signatur des Glaskünst­lers Balthasar Sang (Klick zum Vergrö­ßern). Foto: Richard Borek Stiftung

Spiegel als Luxus- und Status­symbol

Als Luxus­güter waren Spiegel dieser Art nahezu ausschließ­lich für die Ausstat­tung adeliger Räume bestimmt. Auch konnten sie als reiner Wandschmuck dienen, indem die glatte Spiegel­fläche in der Mitte mit figür­li­chen Darstel­lungen oder Landschaften – ähnlich einem Gemälde – verziert wurde. So wünschte sich beispiels­weise Carl I. für die Gastge­mä­cher seines Schwagers, König Friedrich der Große, im Schloss Salzdahlum etwas Beson­deres. Nach einem Kupfer­stich des italie­ni­schen Künstlers Jacopo Amigoni (1682 –1752) aus der berühmten Serie „Die vier Elemente“ schuf Johann Heinrich Balthasar Sang eine Darstel­lung in der Mitte der Spiegel­fläche, die er rückseitig eingra­vierte. Dem Geschmack der Zeit entspre­chend, wurden die Darstel­lungen gern auch uminter­pre­tiert und abgewan­delt.

Neben dem Stück aus der Sammlung der Richard Borek Stiftung sind heutzu­tage nur wenige Stücke erhalten geblieben. Bis zum 31. August 2025 kann der Wandspiegel in der Sonder­aus­stel­lung „Residenz­Wechsel“ im Weißen Saal des Schloss­mu­seums Braun­schweig betrachtet werden.

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