Wie groß war Heinrich der Löwe?

Die Grablage von Heinrich dem Löwen (links) und seiner Frau Mathilde (rechts) im Dom. Foto: meyermedia
Die Grablage von Heinrich dem Löwen (links) und seiner Frau Mathilde (rechts) im Dom. Foto: meyermedia

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 17: eine Graböff­nung, ein verscho­benes Grabmal und noch immer Unklar­heit.

Besuchern des Domes wird stets die Grabstelle Heinrichs des Löwen und seiner Frau Mathilde gezeigt. Die beiden Figuren aus Schaum­kalk­stein, wie er auch im Elm gefunden wird, stammen aus dem 13. Jahrhun­dert und stellen das Paar in ideali­sierter Weise dar. Dabei befindet sich Mathildes Skulptur auf der linken Seite ihres Mannes. Doch es ergeben sich Zweifel, ob die leibli­chen Überreste darunter tatsäch­lich von ihr stammen? Liegt sie also richtig oder nicht? Wir gehen der Sache nach.

1935 an begannen die Natio­nal­so­zia­listen, um Heinrich einen Heroen­kult aufzu­bauen und erklärten den Dom zur Natio­nalen Weihe­stätte. Im Sommer des Jahres wurden archäo­lo­gi­sche Unter­su­chungen des herzog­li­chen Grabes befohlen. Die Leitung hatte der Landes­ar­chäo­loge Hermann Hofmeister, der über diese Arbeiten eine Abhand­lung verfasste, die jedoch erst 1978 in gekürzter Fassung heraus­ge­geben wurde.

Die beiden Grabfi­guren wurden dabei herun­ter­ge­nommen, um an die Särge zu gelangen. Nach den Unter­su­chungen vertauschte man die beiden Platten mit den Statuen, um Mathilde nun auf die nach damaliger deutscher Tradition vermeint­lich „richtige“ Seite Heinrichs, seine rechte zu legen. Die vertauschten Skulp­turen wurden 1945 aber wieder an ihre ursprüng­li­chen Stellen gelegt, dank der Denkmal­pfleger Seeleke und Herzig.

Was aber geschah bei der Graböff­nung von 1935, was wurde dabei entdeckt? Zunächst einmal fand sich ein großer Stein­sar­ko­phag unter der Platte mit der Figur Mathildes. Weil man damals davon ausging, dass Heinrich rechts liegen musste, wurde Folgendes festge­stellt: „Vom Scheitel bis zur Ferse wurden 162 cm gemessen. Endlich ließ sich erkennen, daß der Tote mißge­staltet war. Das linke Bein zeigte eine Verkür­zung um etwa 10 cm.“  Man erinnerte sich an einen schweren Reitun­fall Heinrichs, der in den Steter­burger Annalen vermerkt wurde. Andert­halb  Jahre vor seinem Tod stürzte Heinrichs Pferd auf vereistem Weg in der Nähe von Bodfeld. Die Natio­nal­so­zia­listen waren nicht sonder­lich begeis­tert über einen wohl klein­wüch­sigen, verkrüp­pelten Welfen­herzog.

Weiter­ge­hende Unter­su­chungen ergaben aber, dass die Hüftver­let­zung eine angebo­rene Schädi­gung sein musste. Berichte über Heinrich belegen indes seine außer­or­dent­liche Agilität und erwähnen lange Ritte, die mit einem solchen Hüftschaden kaum möglich gewesen wären. Der „Projektor am Landes­kran­ken­haus… Prof. Dr. Schultze“, wurde dazu gebeten, durfte aber die Knochen nicht heraus­nehmen. „Auf keinen Fall wagte Herr Schultze das Skelett als sicher von einer Frau stammend anzuspre­chen“, hieß es. Es herrschte also weiter Unsicher­heit, ob es sich bei dem Skelett um Überreste von Heinrich oder Mathilde handelte.

Neben dem Sarkophag, in dem die Überreste des „kleinen“ Heinrichs vermutet wurden, befand sich der Rest eines Holzsarges und ein weiteres Skelett in einem Ledersack. Schon der Sarg wies eine ungewöhn­liche Größe auf. „Die Länge des Ausdeh­nungs­be­rei­ches der Knochen­masse wurde mit 210 cm gemessen“, so der Bericht.  Selbst wenn davon auszu­gehen ist, dass sich der Körper durch die Pressung der Leiche zwischen den Stein­särgen (der dritte Sarkophag enthielt die Überreste eines Kindes) vergrö­ßert haben könnte, erwiesen die identi­fi­zierten Überreste eine für das 12. Jahrhun­dert ungewöhn­liche Körper­größe von wohl mindes­tens 1.90 m zu Lebzeiten.

Daraus folgerten die Experten 1935 schließ­lich, dass der mächtige Herzog von kleiner Gestalt war und eine junge Frau gehei­ratet hatte, die erheblich größer war als er selbst. Die Arbeiten in den Gräbern wurden am 6. Juli 1935 beendet, am 17. Juli besuchte Hitler den Dom. Danach wurde es merklich stiller um die „Nationale Weihe­stätte“, wohl auch angesichts der Resultate der Graböff­nung.

In den Nachkriegs­jahren wurden die Ergeb­nisse wissen­schaft­lich disku­tiert und unter­sucht. Dabei kamen verschie­dene Ausle­gungen zustande. Nach Abhand­lung von Dr. Tilmann Schmidt aus dem Jahr 1974 soll es sich bei den drei vorge­fun­denen Leichen­resten im Gegensatz den Erkennt­nissen aus dem Jahr 1935 um Mathilde im steinernen Sarkophag, um Heinrich im Leder­be­hältnis und um ein gemein­sames Kind im Kinder­stein­sar­ko­phag gehandelt haben. Danach wäre Heinrich also ungewöhn­lich groß statt ungewöhn­lich klein gewesen.

Also doch ein „germa­ni­scher Recke“? Nachweis­lich waren Menschen von höherem Stand auch im Mittel­alter oft höher gewachsen. Anderer­seits gibt es eine Darstel­lung im Evange­liar von Heinrich und Mathilde, bei der Heinrich zweifels­frei kniet und trotzdem mindes­tens gleich­groß mit Mathilde ist. Auch die Stein­fi­guren zeigen eine kleinere Mathilde. Was nun, wenn sie klein und seit Geburt verkrüp­pelt gewesen wäre? Einer Tochter aus so hohem Hause hätte das keines­wegs bei ihrer Verhei­ra­tung geschadet! Für Heinrich dürften politisch-dynas­ti­sche Gründe eine große Rolle für die Heirat mit der engli­schen Königs­tochter gespielt haben.

Die These, dass es sich bei den Überresten unter der Statue von Mathilde auch um ihre handelt, stützen die Steder­burger Annalen. Es wurde dort Ende des 12. Jahrhun­derts festge­halten, dass Heinrich der Löwe „in dextero latere uxoris suae („zur Rechten seiner Gemahlin“) begraben sei  – mit anderen Worten: Mathilde ruhte zur Linken Heinrichs in einem Stein­sar­ko­phag. Einen weiteren Beleg dafür liefert das das berühmte Evange­liar. Es finden sich neben einer Abbildung der ‚Krönung‘ von Mathilde und Heinrich noch weitere Bilder des herzog­li­chen Paares – und immer befindet sich Mathilde links von Heinrich. Endgül­tige Sicher­heit gibt es dennoch nicht. Es bleibt unklar, wie groß Heinrich der Löwe tatsäch­lich war.

Fotos

Verwen­dete Quellen:

Frank Neidhart Steiger­wald: Das Grabmal Heinrichs des Löwen und Mathildes im Dom zu Braun­schweig. Eine Studie zur figür­li­chen Kunst des frühen 13. Jahrhun­derts, insbe­son­dere der bildhaue­ri­schen. (Braun­schweiger Werkstücke 47), Braun­schweig 1972.

Mechthild Wiswe: In der Gruft des Braun­schweiger Domes. Die letzte Ruhestätte der Welfen­fürsten. Hrsg. Evange­li­sches Dompfarr

Frank Neidhart Steiger­wald: Das Grabmal Heinrichs des Löwen und Mathildes im Dom zu Braun­schweig. Eine Studie zur figür­li­chen Kunst des frühen 13. Jahrhun­derts, insbe­son­dere der bildhaue­ri­schen. (Braun­schweiger Werkstücke 47), Braun­schweig 1990.

Bericht über die Aufde­ckung der Gruft Heinrich des Löwen im Dom zu Braun­schweig im Sommer 1935. Von Hermann Hofmeister (1878 – 1936), Landes­ar­chäo­loge von 1932 bis 1936. In gekürzter Fassung heraus­ge­geben in Zusam­men­ar­beit mit dem Archiv-Verlag und dem Ev. Dompfarramt Braun­schweig, mit einem Nachwort von Paul Barz. 1. Auflage 1978, Ev. Dompfarramt, Braun­schweig

Der Sankt-Blasius-Dom zu Braun­schweig. Seine Geschichte und seine Kunst­werke. Dr. A. Quast, 1975. Domstif­tung St. Blasii zu Braun­schweig

Dr. Tilmann Schmidt, Die Grablege Heinrichs des Löwen im Dom zu Braun­schweig. Braun­schwei­gi­sches Jahrbuch. Im Auftrage des Braun­schweiger Geschichts­ver­eins heraus­ge­geben von J. König. Der ganzen Reihe Band 55, Braun­schweig, 1974.

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