Unermüd­li­cher Impuls­geber für die Gedenk­stätte Schill­straße

Frank Ehrhardt (links) im Gespräch mit Yehuda Blum, Holocaustüberlebender und früherer israelischer Botschafter bei der UN im Jahr 2013. Foto: Stefanie Waske
Frank Ehrhardt (links) im Gespräch mit Yehuda Blum, Holocaustüberlebender und früherer israelischer Botschafter bei der UN im Jahr 2013. Foto: Stefanie Waske

Mit Frank Ehrhardt verab­schiedet sich der langjäh­rige Geschäfts­führer des Arbeits­kreises Andere Geschichte Braun­schweig in den Ruhestand.

Mit dem alters­be­dingten Ausscheiden von Frank Ehrhardt endet beim Arbeits­kreis Andere Geschichte Braun­schweig und damit gleich­zeitig für die Gedenk­stätte KZ-Außen­lager Schill­straße eine Ära. Der bald 66-Jährige war in Perso­nal­union seit 1993 Geschäfts­führer des Vereins und seit 2000 Leiter der Gedenk­stätte. Jetzt geht er in den Ruhestand. In beiden Funktionen hat er richtungs­wei­send gewirkt. Seine Position wird in naher Zukunft neu besetzt. Ehrhardt wird dem Arbeits­kreis jedoch als Beisitzer des Vereins­vor­standes erhalten bleiben und sich unter anderem in die neue Projekt­werk­statt „Ein anderes Leben wagen. Braun­schweig 1966–1973“ einbringen.

„Frank Ehrhardts Engage­ment ermög­licht es nachfol­genden Genera­tionen, sich mit der Geschichte des Natio­nal­so­zia­lismus in Braun­schweig zu beschäf­tigten. Dies ist Frank Ehrhardts großes Verdienst“, sagt Gabriele Heinen-Kljajic, seit Januar neue Vorsit­zende des Arbeits­kreises, über den schei­denden Geschäfts­führer. Unter seiner Ägide entwi­ckelte sich die Gedenk­stätte KZ-Außen­lager Braun­schweig Schill­straße zu einem beson­deren Lern- und Erinne­rungsort und der Arbeits­kreis Andere Geschichte zu einem Netzwerk zur Erfor­schung der Regio­nal­ge­schichte.

Suche nach Überle­benden

„Die Zukunft hat eine lange Vergan­gen­heit“ steht an der Gedenk­stätte und markiert Frank Ehrhardts wichtigsten Ort seines Berufs­le­bens. Er setzte sich maßgeb­lich dafür ein, dass die Gedenk­stätte zu einem „sozialen Kunstwerk“ und die Idee eines „Offenen Archivs“ Realität wurde. Er legte von 1997, als der Rat der Stadt die Anlage der Gedenk­stätte beschloss, bis zur Eröffnung im Jahr 2000 das Fundament dafür. Er beschäf­tigte sich intensiv mit der Geschichte der Zwangs­ar­beit. Im Zentrum standen die Suche nach Überle­benden und die Gespräche mit Zeitzeugen.

„Ich hatte das große Glück, meine Leiden­schaft und mein Interesse für Geschichte zum Beruf machen zu können. Wer kann schon von sich behaupten, dass er sein ganzes Berufs­leben mit spannenden Themen und mit sehr viel inhalt­li­chem Freiraum verbringen konnte“, blickt Frank Ehrhardt dankbar zurück und spricht im selben Atemzug von neuen Projekten wie der geplanten Ausstel­lung „Die Landes­heil- und Pflege­an­stalt Königs­lutter und der natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Kranken­mord“, die er gemeinsam mit Susanne Weihmann vorbe­reitet.

Geschichts­werk­stätten im Trend

Am 8. Mai 1985 wurde der Arbeits­kreis Andere Geschichte Braun­schweig als Geschichts­werk­statt gegründet. Frank Ehrhardt kam 1987 hinzu. Es war damals vieler­orts der Trend, Geschichte insbe­son­dere der Nazizeit, aber auch der Indus­tria­li­sie­rung und dem damit verbun­denen sozialen Wandel kritisch aufzu­greifen. Fast alle von einst mehreren hundert Geschichts­werk­stätten sind derweil Vergan­gen­heit, die Geschichts­werk­statt Braun­schweig ist jedoch noch immer sehr aktiv und längst eine Insti­tu­tion in der Stadt. In dieser Ausprä­gung gibt es das kaum woanders, außer in Metro­polen wie Hamburg oder Berlin. „Ohne einen Geschäfts­führer mit großen organi­sa­to­ri­schen Fähig­keiten und Identi­fi­ka­tion mit der Aufgabe wäre dies nicht möglich gewesen”, so die Vorsit­zende des Arbeits­kreises, Gabriele Heinen-Kljajic.

Förderung entschei­dend

Entschei­dend dafür ist aus Sicht Frank Ehrhardts die Tatsache, dass die Stadt Braun­schweig seit Anfang der 1990er Jahre kleinere kultu­relle Einrich­tungen insti­tu­tio­nell fördert und so eine Profes­sio­na­li­sie­rung ermög­lichte. Neben dem Arbeits­kreis gilt das auch für das Kultur- und Kommu­ni­ka­ti­ons­zen­trum Brunsviga, das LOT-Theater oder das Theater Faden­schein. Viele Projekte im Arbeits­kreis Andere Geschichte und den anderen Kultur­ein­rich­tungen konnten zudem durch die Unter­stüt­zung von Stiftungen reali­siert werden.

Wer sich in Braun­schweig für den Natio­nal­so­zia­lismus und das Arbei­ter­mi­lieu inter­es­siert, wird unwei­ger­lich auf Frank Ehrhardts Aufsätze und Bücher stoßen. Zu seinen heraus­ra­genden Arbeiten gehören:

  • Aufbau­zeit, Perlon­kleid & Tanzver­gnügen. Alltag in Braun­schweig in den 50er Jahren. Heraus­geber. Darin enthalten: Wohnen und Wohnungsbau im Braun­schweig der 50er Jahre (1998).
  • Topogra­phie der Erinne­rung. Gedenk­stätten für die Opfer des Natio­nal­so­zia­lismus im Gebiet der Braun­schwei­gi­schen Landschaft. Heraus­geber (2004).
  • Der Kampf der Bilder. Ausstel­lung Braun­schweig 1930–1933 im Spiegel der Fotografie. Der Kampf der Bilder (Ausstel­lung). Im Internet:  www.kampf-der-bilder.de (2008).
  • Der jüdische Indus­tri­elle Max Jüdel als Stifter und Mäzen in Braun­schweig. In: Werner Meiners, Herbert Obenaus (Hrsg.) Juden in Nieder­sachsen auf dem Weg in die bürger­liche Gesell­schaft (2014).
  • Täter – Opfer – Nutznießer. Beiträge zur Geschichte Braun­schweigs im Natio­nal­so­zia­lismus. Heraus­geber. Darin: Jüdische Migranten aus Osteuropa in Braun­schweig 1918 – 1945 und mit Hans-Ulrich Ludewig und Michael Wetter: Die Enteig­nung jüdischer Kaufleute in Braun­schweig 1933 – 1939 (2016).
  • Minna Faßhauer. Von der Dienst­magd zur Volks­kom­mis­sarin. In: Henning Stein­führer, Gerd Biegel (Hrsg.): Die Zeit der Novem­ber­re­vo­lu­tion in Braun­schweig und ihre Protago­nisten (2020).

Fakten:

Das KZ- Außen­lager an der Schill­straße

Das KZ-Außen­lager an der Schill­straße war ein Außen­lager des Hamburger Konzen­tra­ti­ons­lager Neuen­gamme. Im August 1944 begann die SS mit der Errich­tung des Lagers in Braun­schweig. Der größte Teil der Häftlinge war in Auschwitz für den Arbeits­ein­satz ausge­mus­tert worden. Unter­brin­gung, Verpfle­gung und gesund­heit­liche Versor­gung waren bei einer Arbeit in Zwölf-Stunden-Schichten so unzurei­chend, dass mehrere hundert Häftlinge an den Folgen der Entkräf­tung starben. Ende März 1945 wurde das Außen­lager aufgelöst.

Das Schill-Denkmal

Das Schill-Denkmal erinnert an die „Befrei­ungs­kriege“ gegen die Napoleo­ni­sche Herrschaft und den im Kampf gefal­lenen preußi­schen Major Ferdinand von Schill sowie vierzehn Soldaten seines Freikorps, die in Braun­schweig hinge­richtet worden waren. Das 1840 hinzu­ge­fügte Invali­den­haus enthielt eine kleine Gedenk­ka­pelle mit Erinne­rungs­stü­cken.

Öffnungs­zeiten der Gedenk­stätte KZ-Außen­lager Braun­schweig Schill­straße

  • Dienstag und Mittwoch: 14 – 17 Uhr
  • Donnerstag: 16 – 19 Uhr
  • jeden ersten Samstag im Monat: 14 – 17 Uhr

Weitere Nutzungs­mög­lich­keiten nach telefo­ni­scher Absprache: Tel. 05 31/2 70 25 65

Kontakt:

Arbeits­kreis Andere Geschichte e.V.
Schloss­straße 8
38100 Braun­schweig

Telefon: 0531–18957
E‑Mail: andere_geschichte_braunschweig@t‑online.de
Internet: www.andere-geschichte.de

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