Von Gewalt und wie man ihr begegnet

Szene aus „Is it a room“. Foto: Theaterformen/Gianmarco Bresadola

Das Festival Theater­formen zeigt vom 30. Juni bis 10. Juli 19 Stücke aus zwölf Ländern.

Nachdem das Festival Theater­formen 2020 in Braun­schweig mehr oder weniger nur digital statt­finden konnten, ist die Vorfreude auf die vom 30. Juni bis 10. Juli statt­fin­dende Neuauf­lage wieder mit Publikum bei allen Betei­ligten riesen­groß. 19 Produk­tionen aus zwölf Ländern werden im Großen Haus des Staats­thea­ters, dem Kleinen Haus und im LOT-Theater zu sehen sein. „Es sind Stücke zu spannenden politi­schen Themen“, sagte Dagmar Schling­mann anläss­lich der Programm­vor­stel­lung im Louis-Spohr-Saal des Staats­thea­ters. Der Karten­vor­ver­kauf hat begonnen.

Dagmar Schling­mann (links) und Anna Mülter. Foto: Theaterformen/Moritz Küstner

Die Stücke, so erklärte die Künst­le­ri­sche Leiterin des Festivals, Anna Mülter, „werden unsere Gegenwart schonungslos in den Blick nehmen“. Viele von ihnen setzten sich mit unter­schied­li­chen Formen von Gewalt gegen Frauen, mit Rassismus und Inklusion ausein­ander. Vertreten sind zeitge­nös­si­sche Produk­tionen, die vor allem Wider­stand postu­lieren, aber eben auch Hoffnung auf Verän­de­rung machen wollen. Im Rahmen des Festivals wird unter anderem eine Gesprächs­reihe mit dem Titel „Perspek­tiven und Diskurse zu diskri­mi­nie­rungs­kri­ti­schem Theater“ angeboten. Für Anna Mülter ist es das erste Festival in Braun­schweig. Sie löste 2021 Martine Dennewald ab, die seit 2014 die Theater­formen geleitet hatte, und feierte bereits eine gelungene Premiere im vergan­genen Jahr in Hannover.

Etat von 1,2 Millionen Euro

Die Theater­formen zählen zu den größten Festivals für inter­na­tio­nales Theater in Deutsch­land. Veran­staltet wird es von den Staats­thea­tern Braun­schweig und Hannover. Der Ursprung lag 1990 in der Löwen­stadt. Seit 2007 wird es im jährli­chen Wechsel in beiden Städten ausge­tragen. Es wird unter anderem durch die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz gefördert. Das Gesamt­budget beträgt für das anste­hende Festival rund 1,2 Millionen Euro. Das Land und die Stadt Braun­schweig tragen den Löwen­an­teil.

Proben zu SWATIK. Foto: Theaterformen/Andreas Greiner/Napp

Auf die ganz große Kontro­verse im Stadtraum verzichtet das Festival diesmal. Im vergan­genen Jahr war noch die Rasch­platz-Hochbrücke gesperrt und eine Bühne für das „Stadt­labor“ unter dem Motto Klima­ge­rech­tig­keit aufgebaut worden. Bezug­neh­mend auf den ehema­ligen Schloss­park wird das Festi­val­zen­trum auf dem Herzogin-Anna-Amalia-Platz zwischen Schloss-Arkaden und Kleinem Haus angesie­delt. Dort wird während des Festi­val­zeit­raums unter anderem das Projekt „I am a tree“ der indigenen Künst­lerin Naine Terena zu sehen sein. Jeweils nach Sonnen­un­ter­gang wird eine Projek­tion von Baniwa Botany, ebenfalls indigener Herkunft, zu sehen sein, die die ökolo­gi­schen Heraus­for­de­rungen unserer Zeit ins Bewusst­sein der Betrachter rücken soll.

Vom Broadway nach Braun­schweig

Eröffnet wird das Festival am 30. Juni im Großen Haus mit dem Theater­stück „Is this a room“ von Tina Satter und ihrem Theater­kol­lektiv Half Straddle aus New York. Die Insze­nie­rung, die ihre Urauf­füh­rung am Broadway feierte, zeigt den Fall der Whist­le­b­lo­werin Reality Winner. Sie wurde vom FBI beschul­digt, Beweise für eine russische Einfluss­nahme auf den US-ameri­ka­ni­schen Präsi­dent­schafts­wahl­kampf 2016 veröf­fent­licht zu haben. Das Stück insze­niert das offizi­elle FBI-Protokoll Wort für Wort als hochak­tu­ellen Polit-Thriller.

Im Rahmen des Festivals wird es zwei Urauf­füh­rungen geben. Eine davon ist die erste gemein­same Produk­tion zwischen dem Festival Theater­formen und dem JUNGEN! Staats­theater Braun­schweig. Dabei handelt es sich um ein Tanzstück des marok­ka­ni­schen Choreo­grafen Taoufiq lzeddiou mit dem Titel „SAWTIK. Deine Stimme – Your silence will not protect you“. lzeddiou verar­beitet darin die Erfah­rungen junger Menschen aus zwei Jahren Pandemie. Die zweite Urauf­füh­rung ist das Projekt „Radio Ghost“ des Theater- und Digital­kunst­kol­lek­tivs ZU-UK aus London. Darin werden Teilneh­me­rinnen und Teilnehmer mit Anwei­sungen durch die „Schloss-Arkaden“ geführt. Der Fokus liegt auf dem Aspekt des nachhal­tigen Konsums.

Projekt mit dem Goethe-Institut

Einen beson­deren Raum nimmt das Projekt „Gathering in a better world“ während der Theater­formen ein. Am zweiten Festi­val­wo­chen­ende vom 7.bis 10. Juli werden im Rahmen eines inter­na­tio­nalen Projektes des Goethe-Instituts drei behin­derte Künst­le­rinnen und Künstler ihre Perspek­tiven aufzeigen. Edu O. (Brasilien), Jess Thom vom Projekt Touret­tes­hero (Großbri­tan­nien) und Alexan­drina Hemsley aka Yewandel03 (Großbri­tan­nien) werden die Räume im Großen Haus des Staats­thea­ters besetzen und ein vielge­stal­tiges Workshop- und Perfor­mance-Programm anbieten, das sich an Erwach­sene, Familien und Kinder richtet. Der Eintritt zu dem viertä­tigen Programm ist frei. Das Programm wird in Johan­nes­burg, Monte­video, Shanghai und Kyoto fortge­setzt.

Szene aus Carte Noir Nommée Désir. Foto: Theaterformen/Vincent Zobler

Den Abschluss des Festivals gestaltet die in Frank­reich arbei­tende Regis­seurin und Autorin Rébecca Chaillon am 9. und 10. Juli im Großen Haus. Carte Noire nommée Désir ist ein bitter­süßer Kommentar auf die Vergleiche Schwarzer Körper mit süßen Lebens­mit­teln und heißen Getränken. Acht schwarze Perfor­me­rinnen hinter­fragen die Hyper­se­xua­li­sie­rung und Exoti­sie­rung Schwarzer Körper und die fortlau­fenden rassis­ti­schen Stereo­ty­pi­sie­rungen und Zuschrei­bungen in unserer Gesell­schaft.

Das Festival Theater­formen findet im nächsten Jahr vom 22. Juni bis zum 2. Juli turnus­gemäß wieder in Hannover statt.

Mehr zum Programm 2022 unter: www.theaterformen.de

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