Willi Luther prägte das frühe Bild von Wolfsburg und Volks­wagen

Das Foto „Blick vom Klievers-Berg auf Wolfsburg“ aus dem Jahr 1956 war Ausgangspunkt des Buchprojekts. Foto: IZS, F-LUT-0140a

Kristin Torka beschreibt in ihrem Buch „Mensch im Eisen“ das Leben und Wirken des ersten Leiters der VW-Fotoab­tei­lung in Zeiten des Wirtschafts­wun­ders.

Seine Fotos kennt jeder, den Menschen jedoch nur sehr wenige. Willi Luther (1909–1996) prägte als Gründer und erster Leiter der Fotoab­tei­lung von Volks­wagen in Wolfsburg entschei­dend die öffent­liche Wahrneh­mung einer im Werden befind­li­chen Stadt und dokumen­tierte die rasante Entwick­lung des VW-Werks in den Zeiten des bundes­deut­schen Wirtschafts­wun­ders. Auf seine Fährte hat sich die Kunst­wis­sen­schaft­lerin Kristin Torka begeben und nach mehrjäh­riger Recherche das Buch „‚Mensch im Eisen‘ – Leben und Werk des Dokumen­tar­fo­to­grafen Willi Luther“ verfasst. Ihre Disser­ta­tion ist im Leipziger Univer­si­täts­verlag erschienen und im Buchhandel erhält­lich. Torka studierte Kunst- und Medien­wis­sen­schaften an der Hochschule für Bildende Künste in Braun­schweig (HBK) und an der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand.

Willi Luther, 1995. Foto: Junge-Gent

Stell­ver­tre­tend für die Nachkriegs­ge­sell­schaft

„Aufgrund der zeitty­pi­schen Einflüsse und Heraus­for­de­rungen kann Willi Luthers Lebens­ge­schichte stell­ver­tre­tend für die deutsche Gesell­schaft sowie ihre Sozial- und Wirtschafts­ge­schichte der 1950er und 1960er Jahre betrachtet werden“, erläutert die Autorin, die bei der Richard Borek Stiftung als Stiftungs­ma­na­gerin arbeitet und von der Stiftung bei der Heraus­gabe des Buches maßgeb­lich unter­stützt wurde. Ausgangs­punkt der Arbeit war das HBK-Symposium „Nachkriegs­mo­derne. Zur Kultur des Wieder­auf­baus nach 1945“. Das Veran­stal­tungs­plakat zeigte ein Foto von Willi Luther, mit dem sie Professor Michael Mönninger im Jahr 2013 konfron­tierte.

Im Nachlass Willi Luthers existieren tausende Fotogra­fien im Institut für Zeitge­schichte und Stadt­prä­sen­ta­tion (IZS) in Wolfsburg, im Staats­ar­chiv der Freien und Hanse­stadt Hamburg sowie im Unter­neh­mens­ar­chiv Volks­wagen, aber auch in Museen wie dem Deutschen Histo­ri­schen Museum in Berlin sowie in der Sammlung seines Sohnes Wilfried mit Dokumenten, Briefen, Urkunden, Medaillen und Zeitungs­aus­schnitten. „Schwer­punkt meiner Arbeit war die Rekon­struk­tion sämtli­cher Lebens­ab­schnitte und Werkphasen von Willi Luther“, erläutert Kristin Torka.

Schicht­wechsel durch den Tunnel, 1968. Foto: IZS, F‑LUT-0317 (Abb. 52)

Gelernter Stell­ma­cher und Schweißer

Der gelernte Stell­ma­cher und Schweißer, gebürtig aus Magdeburg, hatte jedoch bis zu seiner Berufung bei VW mit vielen Heraus­for­de­rungen und Schwie­rig­keiten zu kämpfen. Die Monografie erforscht die Lebens­ge­schichte des bis heute nur Fachleuten geläu­figen Fotografen und präsen­tiert die erste biogra­fisch fundierte Gesamt­über­sicht seines Werks. Von 1953 bis 1974 war Luther als Werks­fo­to­graf tätig. Der 115 Fotoar­beiten umfas­sende Bildteil des Buchs verdeut­licht die fotogra­fi­sche Spann­breite Luthers. Die wissen­schaft­liche Arbeit legt gleich­wohl den Schwer­punkt auf die Wolfs­burger Zeit und stellt sie in Zusam­men­hang mit den vorhe­rigen Lebens­sta­tionen Luthers.

Dessen fotogra­fi­sches Spektrum reicht von der Werft­in­dus­trie, Seefahrt und Fischerei in Hamburg über norddeut­sche Landschaften bis hin zur Produk­ti­ons­stätte des Epochen­sym­bols VW-Käfer und zum Leben im neu aufge­bauten Wolfsburg. Neben Luthers Dokumen­tar­fo­to­grafie zeigt das Buch auch viele eindring­liche Sehnsuchts­mo­tive, welche die Zukunfts­hoff­nungen der entwur­zelten Nachkriegs­deut­schen verkör­pern. Für seine Serie vom Thunfisch­fang der Finken­werder Hochsee­fi­scherei in der Nordsee, die heute umwelt­his­to­ri­schen Stellen­wert besitzt, erhielt Luther im Jahr 1953 eine Ehren­ur­kunde mit Senats­preis der Freien und Hanse­stadt Hamburg.

Stadt­auf­nahme vom VW-Verwal­tungs­ge­bäude, 1960. Foto: IZS, F‑LUT-0144 (Abb. 43)

Ästhe­ti­sches Verhältnis zum Material Eisen

„Die Entwick­lung eines ästhe­ti­schen Verhält­nisses zum Material Eisen ergab sich von selbst. Denn ich war jahrelang in den Bunkern der Schiffe am Schweißen. Ich betrachte mich durchaus als ‚Mensch im Eisen’. Und diesen Gedanken versuche ich in meinen Bildern immer wieder zu verwirk­li­chen. Auch im VW-Werk fand ich diesen Zustand wieder“, sagte Willi Luther in einem Interview im Jahr 1995. Diese Aussage war Grundlage für den Titel des Buchs.

VW bestimmte als einer der Schlüs­sel­be­triebe des deutschen „Wirtschafts­wun­ders“ nicht nur die Wirtschafts- und Sozial­po­litik der deutschen Großin­dus­trie, sondern auch das Ansehen Deutsch­lands in der Welt. Dazu kam der starke Einfluss von VW auf die Entwick­lung der jungen Indus­trie­stadt Wolfsburg, die wie das Werk selbst ebenfalls aus einer NS-Gründung hervor­ge­gangen war und nach 1949 mit städte­bau­li­chem Funktio­na­lismus, techni­schem Fortschritts­glauben, Wachs­tums­be­geis­te­rung und Konsum­ori­en­tie­rung ein Modell für die deutsche Stadt­ent­wick­lung der Nachkriegs­zeit wurde. Willi Luther prägte während dieser Blütezeit die inner­be­trieb­liche ebenso wie öffent­liche Darstel­lung Volks­wa­gens und der Stadt Wolfsburg.

Deutsche Werft – „Vision – der Mensch im Eisen“, 1951. Fototech­ni­sches Inein­an­der­führen eines Schwei­ßers bei der Arbeit und eines stählernen Schiffs­rumpfes. Foto: Staats­ar­chiv Hamburg, F 539

Fakten:

„Mensch im Eisen“
Leben und Werk des Dokumen­tar­fo­to­grafen Willi Luther (1909–1996) im Kontext der westdeut­schen Sozial- und Wirtschafts­ge­schichte
von Kristin Torka

Erschienen 2023 im Leipziger Univer­si­täts­verlag
Hardcover; 334 Seiten; 115 Fotos
ISBN 978–3‑96023–489‑0
29 Euro

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