„NS-Justiz­un­recht und Entschä­di­gung“ im Fokus

In den Schießständen in der Buchhorst wurden im Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten, Kriegsgefangene und Zivilisten von Erschießungskommandos hingerichtet. Foto: Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz

Koope­ra­tion der Gedenk­stätte in der Justiz­voll­zugs­an­stalt Wolfen­büttel mit dem TU-Institut für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte sowie der belgi­schen Hogeschool in Kortrijk.

Das Forschungs­pro­jekt „Ewige Zucht­häusler?!“ der Gedenk­stätte in der Justiz­voll­zugs­an­stalt Wolfen­büttel widmet sich am Beispiel des ehema­ligen Straf­ge­fäng­nisses Wolfen­büttel einer bislang kaum berück­sich­tigten Verfolg­ten­gruppe: den im Natio­nal­so­zia­lismus inhaf­tierten und hinge­rich­teten Justiz­ver­ur­teilten. Im Fokus des Projekts steht die Entschä­di­gung für Justiz­ver­ur­teilte und die indivi­du­ellen sowie gesell­schaft­li­chen Auswir­kungen.  Am Donnerstag, 1. Juni (15–16 Uhr), findet im Rahmen des Projekts eine Führung zum ehema­ligen Schieß­stand in der Buchhorst statt. Anlass ist der Besuch von belgi­schen und braun­schwei­gi­schen Studie­renden im Rahmen des Forschungs­pro­jektes.

„Die meisten der in ihre Heimat­länder zurück­ge­kehrten NS-Verfolgten hatten Haft- und Gesund­heits­schäden erlitten. Überle­ben­denver­bände kämpften für Entschä­di­gungs­leis­tungen und forderten in öffent­li­chen Veran­stal­tungen von ihren Regie­rungen die Durch­set­zung von Entschä­di­gungs­ab­kommen. Nach Kriegs­ende stellten Überle­bende indivi­du­elle Anträge auf Entschä­di­gung. Später wurden zwischen­staat­liche Verein­ba­rungen über Wieder­gut­ma­chungs­re­ge­lungen getroffen“, heißt es in dem Buch „Recht. Verbre­chen. Folgen“ über das Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel im Natio­nal­so­zia­lismus.

Während der Enthül­lung legten (von links) Oberbür­ger­meister Thorsten Kornblum, Nieder­sach­sens Kultus­mi­nister Grant Hendrik Tonne, die Geschäfts­füh­rerin der Stiftung nieder­säch­si­sche Gedenk­stätten Elke Gryglewski, Martina Staats, Leiterin der Gedenk­stätte in der JVA Wolfen­bütte, Gerhard Glogowski, Vorstands­vor­sit­zender der Braun­schwei­gi­schen Stiftung, Ulrich Markurth, Präsident der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, und Tobias Henkel, Direktor der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, weiße Rosen an der Erinne­rungs­stele ab. Foto: Archiv/Peter Sierigk

Forschungs­lücke schließen

Durch die wissen­schaft­liche Unter­su­chung der indivi­du­ellen Erfah­rungen bei der Durch­set­zung von Entschä­di­gungs­leis­tungen und dem Kampf um gesell­schaft­liche Anerken­nung der Justiz­ver­ur­teilten trägt das Projekt zur Schlie­ßung einer Forschungs­lücke bei. Das Thema soll in die Hochschul­lehre integriert und Angebote für juris­ti­sche Berufs­gruppen zur weiteren Vermitt­lung entwi­ckelt werden. Das Projekt läuft in Koope­ra­tion mit dem Institut für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung (IBRG) an der Techni­schen Univer­sität Braun­schweig sowie der belgi­schen Hogeschool VIVES in Kortrijk noch bis zum 30. September.

Im Zentrum steht darin die Zusam­men­ar­beit von Studie­renden aus Deutsch­land und Belgien: Über Archiv­re­cher­chen, lebens­ge­schicht­liche Inter­views mit Angehö­rigen und die Bearbei­tung von Nachlässen werden gemeinsam biogra­fi­sche Zugänge zur Thematik „NS-Justiz­un­recht und Entschä­di­gung“ erschlossen.

Belgische Wider­stands­kämpfer hinge­richtet

Im Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel saßen während der NS-Zeit mehr als 15.500 Menschen ein. 526 von ihnen wurden hinge­richtet. Mindes­tens 229 Belgier waren unter den Inhaf­tierten, 52 von ihnen fanden den gewalt­samen Tod. Bei ihnen handelte es sich um Wider­stands­kämpfer, die sich nach der Besetzung im Mai 1940 gegen das NS-Regime aufge­lehnt hatten und als sogenannte „Nacht- und Nebel“-Gefangene nach Wolfen­büttel kamen.

Am Schieß­stand in der Buchhorst wurde der belgi­schen Offiziers Arnould van de Walle erschossen. Sein Konterfei ziert die dort im Januar 2022 errich­tete Erinne­rungs­stele. Arnould van de Walles Sterbe­datum ist der 16. Juni 1944. Um 16.57 Uhr trafen den Belgier aller Wahrschein­lich­keit nach mehrere Kugeln. Überlie­fert ist dies, weil der Oberstaats­an­walt beim Landge­richt Braun­schweig, Dr. Hirte, dies dem Reichs­mi­nister der Justiz in Berlin berich­tete. Die 16 anderen mit van de Walle von der Gestapo verhaf­teten Wider­ständler der Gruppe namens „Lichter­velde“ wurden mit dem Fallbeil im Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel hinge­richtet.

Der Schieß­stand Buchhorst liegt heute im Stiftungs­wald der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz. Auf dem Schieß­stand wurden mehr als 25 Menschen während der NS-Zeit hinge­richtet. Vor der Erschie­ßung waren sie alle im Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel inhaf­tiert und von der NS-Militär­justiz bezie­hungs­weise dem Volks­ge­richtshof als Deser­teure oder Wider­stands­kämpfer zum Tode verur­teilt worden. Das Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel war die zentrale Haftan­stalt des ehema­ligen Freistaates Braun­schweig und seit 1937 eine von 22 Hinrich­tungs­stätten im NS-Deutsch­land.

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Kontakt:
Gedenk­stätte in der JVA Wolfen­büttel
Am Herzog­tore 13
38300 Wolfen­büttel

Telefon: 05331 9355010
E‑Mail: wolfenbuettel@stiftung-ng.de
Internet: wolfenbuettel.stiftung-ng.de

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