Dort, wo der Schrecken herrschte

Die Medienwand, die künftig alle Orte mit Arbeitskommandos zeigt, ist im Foyer des neuen Dokumentationszentrums der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel installiert. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel / Blotevogel
Die Medienwand, die künftig alle Orte mit Arbeitskommandos zeigt, ist im Foyer des neuen Dokumentationszentrums der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel installiert. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel / Blotevogel

Das Projekt outSITE Wolfen­büttel macht Orte sichtbar, an denen Gefangene des Nazi-Straf­ge­fäng­nisses unter teilweise menschen­un­wür­digen Umständen leben und arbeiten mussten, litten und nicht selten auch starben.

Der Einfluss­be­reich des Straf­ge­fäng­nisses Wolfen­büttel reichte während der Nazi-Diktatur von Wesendorf im Norden bis Blanken­burg im Süden und von Waten­stedt im Westen bis nach Halber­stadt im Osten. Das Gefängnis war die zentrale Haft- und Hinrich­tungs­stätte auf dem Gebiet des früheren Landes Braun­schweig. Im Dokumen­ta­ti­ons­zen­trum der Gedenk­stätte in der heutigen Justiz­voll­zugs­an­stalt Wolfen­büttel zeigt eine Multi­me­dia­wand zukünftig jeden einzelnen der mehr als 70 Orte, an denen Gefangene teilweise unter menschen­un­wür­digen Umständen leben und arbeiten mussten, litten und nicht selten auch starben. An ausge­wählten Außen­stellen sollen jetzt im Rahmen des Projekts outSITE Wolfen­büttel Erinne­rungs­ta­feln aufge­stellt werden, die die Facetten des bis 1945 vom Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel ausge­henden Schre­ckens öffent­lich sichtbar machen sollen.

Zwölf Standorte auf der Liste

Gedenkzeremonie des belgischen Überlebendenverbandes am Gedenkort Braunschweig-Buchhorst zur Erinnerung an den belgischen Widerstandskämpfer Arnould van de Walle, der dort am 16. Juni 1944 aufgrund eines Urteils des Volksgerichtshofs erschossen wurde. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel / Dremel.
Gedenk­ze­re­monie des belgi­schen Überle­ben­denver­bandes am Gedenkort Braun­schweig-Buchhorst zur Erinne­rung an den belgi­schen Wider­stands­kämpfer Arnould van de Walle, der dort am 16. Juni 1944 aufgrund eines Urteils des Volks­ge­richts­hofs erschossen wurde. Foto: Gedenk­stätte in der JVA Wolfen­büttel / Dremel.

Geplante Standorte der Stelen sind die Gebrüder Welger Maschi­nen­fa­brik (Wolfen­büttel), der Bahnhof Wolfen­büttel als Arbeitsort der Firma Karl Schaare Straßen- und Tiefbau (Braun­schweig), das Kalkwerk Bahl & Co. (Wendessen), Büssing (Braun­schweig), Schieß­platz Buchhorst (Braun­schweig), Kreis- und Unter­su­chungs­ge­fängnis Braun­schweig, Katha­rinen-/Garni­sons­friedhof Braun­schweig, Anato­mi­sches Institut Göttingen, Oda-Werke (Blanken­burg), Kloster­werke (Blanken­burg), Reichs­werke Hermann Göring (Salzgitter-Heerte) und der Flieger­horst Wesendorf.

„Wir planen zurzeit noch mit zwölf Orten. Wie viele aber tatsäch­lich reali­siert werden können, steht noch nicht endgültig fest. Nach Möglich­keit sollen die Stelen noch in diesem Jahr aufge­stellt werden, sofern uns Corona keinen Strich durch die Rechnung macht“, sagt Martina Staats, die Leiterin der Gedenk­stätte in der JVA Wolfen­büttel. Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Braun­schwei­gi­schen Stiftung, der Stiftung nieder­säch­si­sche Gedenk­stätten und der Stiftung Zukunfts­fonds Asse. Die Standorte wurden von einer Jury ausge­wählt. Den Zuschlag für die Gestal­tung der Stelen erhielt das Gestal­tungs­büro Kocmoc aus Leipzig.

„Kriegs­wich­tige Arbeiten“

Nach der Macht­über­nahme der Natio­nal­so­zia­listen und dem Ende des Rechts­staats 1933 wies die Justiz zunehmend politisch Anders­den­kende, sozial und rassis­tisch Ausge­grenzte, Homose­xu­elle sowie Zeugen Jehovas in das Gefängnis ein. Mit der Kriegs­vor­be­rei­tung von 1938 an mussten nahezu alle Häftlinge Zwangs­ar­beit verrichten. Mit Fortschreiten des Krieges stieg vor allem die Zahl der auslän­di­schen Gefan­genen, die in erster Linie Wider­stands­kämpfer in ihren Heimat­län­dern waren, stark an. Zunehmend wurden die Gefäng­nis­in­sassen für „kriegs­wich­tige Arbeiten” einge­setzt. Mit der Zwangs­ar­beit der Gefan­genen sollte der Straf­vollzug seinen Beitrag zum Krieg leisten.

Die Arbeits­zeiten wurden länger und die Zahl der Außen­ar­beits­orte nahm zu. „Die Folge war der Anstieg der Kranken- und Todes­zahlen“, heißt es im Katalog „Recht. Verbre­chen. Folgen“ zur Ausstel­lung im Dokumen­ta­ti­ons­zen­trum. „Wir arbei­teten elf Stunden hinter­ein­ander weg. Und zu allem Überfluss gab es noch Extra­ar­beit: Gemüserei­nigen für eine Konser­ven­fa­brik“, wird der Norweger Wilfred Jensnius zitiert. Er saß in Wolfen­büttel ein, weil er im schwe­di­schen Exil politi­sche Karika­turen für eine Zeitung angefer­tigt hatte. Dafür verur­teilte ihn ein Sonder­ge­richt in Kiel 1942 zu sechs Jahren Haft! Er kehrte im Mai 1945 zu seiner Familie in Norwegen zurück.

Unmensch­liche Bedin­gungen

Eine Jury gab dem Gestaltungsbüro Kocmoc den Zuschlag für die Gestaltung der Stelen Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel / Lölke.
Eine Jury gab dem Gestal­tungs­büro Kocmoc den Zuschlag für die Gestal­tung der Stelen Foto: Gedenk­stätte in der JVA Wolfen­büttel / Lölke.

Im Gefängnis selbst ließ die optische Firma Voigt­länder & Sohn aus Braun­schweig von 1943 an Zielfern­rohre und Ferngläser für die Wehrmacht produ­zieren. Produ­ziert wurde unter anderem in der nicht mehr genutzten Anstalts­kirche. Die Bedin­gungen waren kaum besser als in anderen Arbeits­kom­mandos. „Die Kirche war ein kalter Arbeits­platz, und du musstest erst minus elf Grad erleben, ehe die Arbeit unter­bro­chen wurde. Nicht zur Schonung der Gefan­genen, sondern wegen der Fernrohre, die eine höhere Produk­ti­ons­tem­pe­ratur erfor­derten. Du warst gar nicht froh darüber, weil es in der Zelle noch kälter war. In der Kirche konntest du bisweilen heimlich die Hände um die Arbeits­lampe halten. Das half“, erinnerte sich Häftling Alf Pahlow Andresen.

Im Stollen schlafen

Bei weit entfernten Kommandos wurden die Gefan­genen, wenn sie Glück hatten, in Baracken vor Ort unter­ge­bracht. lm Sommer 1944 wurden 140 Gefangene für den Einsatz in der Rüstungs­pro­duk­tion nach Walbeck bei Helmstedt trans­por­tiert. lm Zuge der Unter­ta­ge­ver­la­ge­rung von Rüstungs­pro­duk­tion mussten sie in einem Stollen schlafen. Das Arbeits­kom­mando Walbeck zählte zum „verschärften Vollzug“, mit dem Arbeits­ver­wei­ge­rung und Faulheit bestraft werden sollten. Der polnische Gefangene Wladyslaw Toporek wurde wegen einer versuchten Flucht nach Walbeck gebracht. Dort starb er am 12. März 1945 an Tuber­ku­lose.

526 Todes­ur­teile vollstreckt

1937 wurde im Straf­ge­fängnis eine von 22 Hinrich­tungs­stätten im Nazi-Deutsch­land einge­richtet. Bis zur Befreiung durch US-Truppen wurden in Wolfen­büttel an 526 Männern und Frauen Todes­ur­teile mit der Guillo­tine vollstreckt. Soldaten der Wehrmacht erschossen weitere fünf Verur­teilte aus dem Straf­ge­fängnis auf dem Schieß­stand Braun­schweig-Buchhorst. Fast die Hälfte aller zum Tode Verur­teilten kam aus dem besetzten europäi­schen Ausland. Die meisten Hinge­rich­teten wurden auf lokalen Fried­höfen beerdigt. Mehr als 200 Leichen kamen jedoch zu Forschungs­zwe­cken an das Anato­mi­sche Institut der Univer­sität Göttingen. Aus diesem Grund steht es auch auf der Liste für die Erinne­rungs­stelen.

Hier geht es zum Video zur Dauer­aus­stel­lung.

Das könnte Sie auch interessieren