Braun­schweig-Gemälde unterm Hammer: 40.000 Euro für dieses Werk

Die Martinikirche vom Eiermarkt aus gesehen: Links so, wie sie wirklich aussieht, rechts so, wie sie der Maler Michael Neher 1862 auf Leinwand bannte. Foto: FMN Archiv/Kunsthaus Lempertz

Zwei Ansichten der Marti­ni­kirche standen zur Auktion. Wie die Verstei­ge­rung lief und warum Braun­schweig-Kenner irritiert sein dürften.

Taxiert wurde das Gemälde von Michael Neher auf 30.000 bis 40.000 Euro. Erbracht hat es 40.320 Euro: Das gab Jan Bykowski, Sprecher des Kölner Kunst­hauses Lemperz, am Montag auf Anfrage unserer Zeitung bekannt. Die Ansicht der Marti­ni­kirche vom Eiermarkt aus gesehen aus dem Jahr 1862 wurde gemeinsam mit etwa 100 weiteren Werken bei einer Auktion in Berlin verstei­gert. Zusammen bilden die Gemälde die Privat­samm­lung eines Kunst­freundes, deren Erben die Verstei­ge­rung veran­lassten.
Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.10.2024

Laut Bykowksi wurden mehrere Gebote auf das Gemälde abgegeben, bevor der Hammer fiel. Das Ergebnis lag dabei deutlich unter dem, was das Bild noch vor zehn Jahren erbrachte. Andreas Büttner vom Stadt­mu­seum Braun­schweig hatte im Vorfeld heraus­ge­funden, dass es im Jahr 2014 für 78.000 Euro verkauft wurde. Mit 50.000 bis 60.000 Euro wurde vorab das Gemälde von Cornelius Springer veran­schlagt, das ebenfalls zur Auktion stand – aber nicht verkauft wurde. Laut Kurator Büttner wurde es im Jahr 2004 für 140.000 Euro verkauft. „Die Romantik ist nicht der aktuelle Geschmack“, urteilte Büttner im Gespräch mit unserer Zeitung.

Trotzdem: Mehrere tausend Euro sind viel Holz für Normalos, zumal in Zeiten von Inflation und wirtschaft­li­cher Unsicher­heit; aber die Zielgruppe von Auktionen wie dieser dürfte eher aus Kunst­händ­lern und gut betuchten Liebha­be­rinnen und Liebha­bern bestehen. Einge­schweißten Braun­schweiger Lokal­pa­trioten fällt beim Blick auf die beiden Werke sowieso ziemlich schnell auf: Hier stimmt was nicht.

Stadt­an­sichten waren Status­sym­bole: Braun­schweig hing am Münchner Hof

Unter den Hammer kamen Michael Nehers Gemälde „Die St. Martins­kirche in Braun­schweig“ (in der Stadt selbst würde man sie wohl nie so nennen) aus dem Jahr 1862 und Cornelius Springers Werk „Markt­platz vor der Marti­ni­kirche in Braun­schweig“ von 1874. Beide sind Beispiele der sogenannten Veduten­ma­lerei, erklärt Jan Bykowski, Presse­spre­cher des Kunst­hauses, im Gespräch mit unserer Zeitung. Man könnte auch sagen: Stadt­an­sichten. „Der Sammler hat beispiel­hafte Werke aus den Hochzeiten der Archi­tek­tur­ma­lerei zusam­men­ge­stellt“, so Bykowski, „so eine kompakte Sammlung zu einer Kunst­gat­tung ist selten zu finden.“

Die Stadt­an­sichten seien von den auf sie spezia­li­sierten Malern mal als Auftrags­ar­beit, mal „auf Verdacht“ angefer­tigt worden. „Sie wurden häufig von gut betuchten Käufern erworben und als Status­symbol zum Beispiel in Amtsstuben gehängt“, sagt Bykowksi. So war der erste Käufer der Marti­ni­kirche von Michael Neher niemand anders als der bayeri­sche König Ludwig I. „Er war ein großer Freund von Stadt­an­sichten“, sagt Bykowksi.

Michael Neher malte Braun­schweiger Marti­ni­kirche mit Altstadt­brunnen vor der Tür

Was aber ist von diesen Ansichten zu halten? Auf den ersten Blick wirken die Gemälde harmo­nisch; die Marti­ni­kirche ist vor allem auf Nehers Gemälde eindeutig zu erkennen. Die charak­te­ris­ti­schen Türme, die Giebel, – aber Moment: da steht ja der Altstadt­brunnen vor den Kirch­türen, und der befindet sich bekann­ter­maßen auf dem Altstadt­markt. „Die Malerei bietet die Freiheit, die Kompo­si­tion anzupassen“, sagt Andreas Büttner, Kurator für Malerei am Städti­schen Museum, „und damals stand die Malerei schon in Konkur­renz zur Fotografie.“

Womöglich, um ein besonders majes­tä­ti­sches Bild der Stadt festzu­halten, versetzte der Maler den Marien­brunnen also dahin, wo der Eiermarkt liegt. Tatsäch­lich dürfte sich hier damals eine freie Fläche befunden haben, sagt Büttner, nachdem ein Friedhof samt Fried­hofs­ka­pelle abgetragen worden war. Der versetzte Brunnen ist aber nicht der einzige „Fehler“ im Gemälde. „Die Kirche ist zusam­men­ge­schoben“, sagt Büttner; der verzierte Abschnitt mit der Tür befindet sich eigent­lich weiter östlich. Außerdem sind die Türme in der Realität gerade, nicht nach oben zulaufend. Das Dach der Annen­ka­pelle hingegen sei damals tatsäch­lich kuppel­förmig gewesen, sagt Büttner. Auch Dachreiter und Glocken­turm gehörten damals zur Marti­ni­kirche, sie wurden später abgetragen.

Münchner Maler Michael Neher malte Handels­treiben vor Braun­schweigs Marti­ni­kirche

Der Münchner Maler Michael Neher (1798–1867) sei bekannt für seine Veduten­ma­lerei, sagt Andreas Büttner, habe sich aber auch in der Landschafts- und Genre­ma­lerei verdingt. „Seine Werke sind liebli­cher und schön­fär­be­ri­scher als die von Cornelius Springer“, sagt Büttner. Der hollän­di­sche Maler Springer (1817–1891) sei dagegen spezia­li­siert gewesen auf Stadt­an­sichten, vor allem solche aus Holland, aber auch aus Norddeutsch­land. Und so machte Springer aus der aus Natur­stein gebauten Marti­ni­kirche einen Backsteinbau – womöglich für den nordi­schen Flair.

Vor allem aber wird es Springer darum gegangen sein, Braun­schweig als Handels­stadt zu portrai­tieren. Das Markt­treiben steht klar im maleri­schen Fokus, während bei Neher die Kirche selbst im Zentrum steht. Springer lässt einen Abschnitt des Altstadt­rat­hauses vor die Kirche springen, alles wirkt gedrängter als in der Realität. Büttner sieht in dem Gemälde eine verklärte Darstel­lung von Tradition. Die bäuer­li­chen Menschen, die den Handel in die Stadt bringen, die alten Gebäude. „Das Alther­ge­brachte drohte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­derts zu verschwinden“, sagt er, „die Innen­stadt verän­derte sich zum Beispiel durch den Bahnhofsbau stark.“ Okerarme seien kanali­siert, Fachwerk­häuser in großer Zahl abgerissen worden. Das Gemälde hingegen verewigt Geschicht­li­ches und Ehrwür­diges.

Welches Bild sagt dem Braun­schweiger Kunst­his­to­riker mehr zu? „Ich würde eher das von Neher nehmen, aber das ist persön­liche Vorliebe“, sagt Büttner. Dem Stadt­mu­seum würde es wohl durchaus gefallen, beide Gemälde in die Sammlung aufzu­nehmen. Realis­tisch ist das angesichts der knappen Stadt­kasse aber nicht.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 28.10.2024 und erreichbar unter: www.braunschweiger-zeitung.de/niedersachsen/braunschweig/article407516969/teure-braunschweig-gemaelde-finden-sie-die-fehler.html

Das könnte Sie auch interessieren