Käthe Buchler – eine märchen­hafte Braun­schwei­gerin

Franziska Habelt, Kunstvermittlerin im Museum für Photographie in Braunschweig, zeigt das Märchenbuch der Käthe Buchler. Foto: FMN | Ann Claire Richter

Das Museum für Photo­gra­phie in Braun­schweig zeigt ein außer­ge­wöhn­li­ches Fotoalbum. Wie es half, ein Kranken­haus zu unter­stützen.

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat … lebte in Braun­schweig eine Frau, die ihrer Zeit ein bisschen voraus war. Käthe Buchler, geboren 1876, war eine talen­tierte, ambitio­nierte und experi­men­tier­freu­dige Amateur­fo­to­grafin, die der Stadt Bilder hinter­ließ, die zu wertvollen Zeitzeug­nissen wurden: Ihre Bilder aus den Jahren des Ersten Weltkrieges führen eindring­lich vor Augen, wie es im Alltag an der „Heimat­front“ zuging. Sie fotogra­fierte verwun­dete Soldaten im Lazarett, Frauen in Männer­be­rufen und Kinder im Braun­schweiger Rettungs­haus, einer Erzie­hungs­an­stalt für sozial benach­tei­ligte Jungen und Mädchen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 27.11.2024

Das Museum für Photo­gra­phie in Braun­schweig präsen­tiert in seiner aktuellen Jubilä­ums­aus­stel­lung zum 40-jährigen Bestehen aber auch die verspielte, roman­ti­sche Seite der gebil­deten, wohlha­benden Bürgers­frau: Käthe Buchlers Märchen­album. Die Sammlung poeti­scher Insze­nie­rungen vor allem von Märchen der Brüder Grimm entstand noch vor dem Ersten Weltkrieg. Das Fotoalbum ist datiert auf den 19. November 1909 und in der Ausstel­lung sorgsam hinter Glas geschützt. Familie, Freunde, Bekannte der Fotografin standen damals Pate für das Märchen­per­sonal der hessi­schen Brüder.

Käthe Buchler: Selbst­por­trät um 1905. Foto: Stadt­ar­chiv | Käthe Buchler

So sehen wir ein traurig drein­schau­endes, blumen­be­kränztes Schnee­witt­chen mit wallendem Haar im weißen Kleid, umgeben von einem Zwergen-Trio – aller­liebst darge­stellt von drei Kindern mit angeklebten Rausche­bärten. Unter dem Foto ist vermerkt, wer Schnee­witt­chen darstellt: eine gewisse Elisabeth Hartwig. Für die lächelnde Gänse­liesel mit ihren dicken Zöpfen hat Käthe Buchler ihre Tochter Ellen gewinnen können, die die fette Gans unter den Arm geklemmt hat. Wir sehen auch die Mutter der sieben Geißlein, die mit dem Finger droht vor dem bösen Wolf, der sich schon heran­ge­pirscht hat und seine Pranke auf eines der kleinen Geißen­kinder legt. Alle Darsteller tragen Tiermasken; die Ziegen­schar hat auch noch üppige weiße Kragen um die Hälse gelegt bekommen. Ob „Aschen­brödel“ im geschnürten Mieder, „Die sieben Raben“ (junge Frauen mit feder­be­setzten Häubchen) oder „Rotkäpp­chen“ mit Wein und Kuchen im Körbchen: Die Fotos sind sorgsam arran­giert und die Modelle liebe­vollst kostü­miert und ausge­stattet mit allerlei Requi­siten.

Die Bilder sollten körper­lich benach­tei­ligten Kindern in Braun­schweig zugute­kommen

„Die Bilder dieses einma­ligen Märchen­buchs dienten dazu, Geld zu sammeln für wohltä­tige Zwecke“, berichtet Museums­lei­terin Barbara Hofmann-Johnson. Die Fotografin hatte auf der ersten Buchseite vermerkt: „Aufge­nommen für den Bazar zum besten eines Krüppelheim‘s in Braun­schweig“. Das Museum vermutet, dass die Spende dem Herzogin Elisabeth Hospital galt, das im Juni 1909 auf Betreiben der namens­ge­benden Herzogin und des damaligen Stadt­rates Max Jüdel als Herzogin-Elisabeth-Heim (Landeskrüppel‑, Heil- und Pflege­an­stalt) gegründet worden war. Fortschritte in der chirur­gi­schen Ortho­pädie sollten hier für die Behand­lung körper­lich benach­tei­ligter Kinder genutzt werden.

In Käthe Buchlers Märchen­album sind 35 Aufnahmen enthalten, die die Fotografin mit 23 Bildern des profes­sio­nellen Braun­schweiger Fotografen Adolph Sternitzky erwei­terte. Er besaß ein eigenes Studio; die Märchen­bilder von Käthe Buchler waren im Atelier ihres befreun­deten Kollegen Wilhelm Müller entstanden. Das Origi­nal­buch war der Museums­samm­lung 2019 überlassen worden. Bilder des Albums waren dort 2021 zum ersten Mal zu sehen gewesen: als Abzüge von Vintage-Fotogra­fien aus dem Album sowie Neuabzüge (sogenannten Modern Prints) von digita­li­sierten Glasplat­ten­ne­ga­tiven. Das Märchen­buch war für die Ausstel­lung „Double Dialoges“ erstmals digita­li­siert und 2024 im Braun­schweiger Stadt­ar­chiv restau­riert worden.

Nachfahren Käthe Buchlers hatten dem Museum im Jahr 2003 rund 1000 beschich­tete Glasplatten, Kontakt­ab­züge und Abzüge überlassen. Noch in diesem Jahr sollen die letzten 300 Platten digita­li­siert werden, um ihre Motive für die Nachwelt zu erhalten.

Käthe Buchler entdeckte ihre Leiden­schaft für die Fotografie 1901, nachdem sie von ihrem Mann eine in Braun­schweig gefer­tigte doppel­äu­gige Voigt­länder-Kamera geschenkt bekommen hatte. Sie versuchte es erst autodi­dak­tisch, nahm ab 1906 jedoch an Fotogra­fie­kursen an der Lette-Schule in Berlin teil. „Dort waren Frauen zugelassen, was sonst zu jener Zeit nicht selbst­ver­ständ­lich war“, betont Museums­lei­terin Hofmann-Johnson. Später habe Käthe Buchler ihre Bilder unter anderem in Licht­bil­der­vor­trägen gezeigt, die häufig aufklä­re­ri­sche und karita­tive Ziele verfolgt hätten.

 

 

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