Hier werden die Städte erhört

Nachtraum in der Ausstellung. Foto: Allgemeiner Konsumverein Braunschweig
Nachtraum in der Ausstellung. Foto: Allgemeiner Konsumverein Braunschweig

Klang­kunst im Allge­meinen Konsum­verein Braun­schweig: Der Klang der Städte.

Es ist ein durch­glühter Hochsommer-Nachmittag. Schräg fallen sonnen­gelbe Streifen durch die Fenster des alten Lager­hauses. Auf diese Wand, die für sich schon so etwas wie ein Kunstwerk ist. Weil sie aus einem unregel­mä­ßigen Mauerwerk besteht, in dem einzelne Steine heraus­ragen, die im Streif­licht schmale Schatten werfen. Teils verputzt, an manchen Stellen rissig. Also eine Fläche, die zugleich Körper ist.

Zunächst ist nichts zu erkennen in dem Raum des Konsum­ver­eins außer acht Lautspre­chern.
Man setzt sich nieder auf einen der Hocker, die im Raum verteilt sind. Entschleu­nigt. Starrt auf die Wand. Auf Steine, Schatten, Putz, Risse. Dann, sehr langsam, schälen sich Konturen aus dem Weißgrau der Wand. Schwarz­weiß. Bilder werden erkennbar. Regen­feuchte Pflas­ter­steine bei Nacht, schim­mernd im Later­nen­licht. dazu kommen aus den Lautspre­chern Stadt­ge­räu­sche. Autos, Hupen, Schritte, Lachen, Rufen, Gläser­klirren, Straßen­bahn­grum­meln. Die Stand­bilder bleiben lange auf der Wand. Dann erlöschen sie allmäh­lich, die Struktur der Mauer taucht wieder empor.

Ein neues Bild dämmert auf. Eine Straßen­szene mit Läden bei Nacht. Dann eine dritte. Burgplatz. Ein Fenster wird in Zeitlupe heran­ge­zoomt, bis es nur noch ein abstraktes Flirren ist. Dazu wieder Großstadt-Geräusche, zum Teil verfremdet. Bilder wie Stills aus einem Krimi der schwarzen Serie, vertraut und doch auch irgendwie unheim­lich.

Dazu Klänge, die uns ebenfalls vertraut erscheinen und doch auch nicht so recht passen wollen zu den Szenerien der Bilder. Als bekäme man Ton und Bilder nicht überein­ander, als seien sie verrutscht. Es ist ein Gleiten, ein Hinein­gleiten von der Realität in eine schat­ten­hafte, irritie­rend hellhö­rige Nachtwelt und wieder zurück.
„Klang der Städte“ heißt die Ausstel­lung im Allge­meinen Konsum­verein.

„Der Ausstel­lungs­raum wird ein magischer Raum von außen und innen“ verspricht der Prospekt. Das Innere tönt, das Äußere schweigt. Die Idee dahinter: Anknüpfen an die publi­kums­wirk­samen Projekte dieses kleinen, ideen­rei­chen Vereins: In den Jahren 2009 und 2011 waren Künstler ausge­zogen, um den urbanen Umraum mit akusti­schen Instal­la­tionen zu bestücken: Von der Aegidi­en­kirche bis zur Puffmeile in der Bruch­straße.

Was nun passiert, ist eine Umkehr frei nach dem berühmten Satz des roman­ti­schen Dichters Novalis: „Nach innen geht der geheim­nis­volle Weg.“ Statt also die Klang­kunst in die Stadt zu bringen, wird der Klang der Städte in den Ausstel­lungs­raum gebracht. Aber im Sinne Novalis‘ eben noch tiefer: Ins Innere des Betrach­ters bzw. Belau­schers. Dieser wird zum Resonanz­raum der Städte. Die Stadt gleitet in die Innenwelt.

Und es sind nicht nur die Klänge Braun­schweigs. Die Zeichen an der schrun­digen Wand des Konsum­ver­eins sind global. Neben dem medita­tiven Nachtraum von Clemens von Reusner gibt es Klang-Kompo­si­tionen der Gruppe tamtam (Sam Auinger/Hannes Strobl) mit geheim­nis­vollen akusti­schen Signalen aus der Mega-City Shanghai, eine Farb-Klang-Sinfonie aus elektro­ni­schen Verdich­tungen von optischen und akusti­schen Eindrü­cken mit dem Titel „Mumbai – …. only Sounds?“ von Hans Wesker.

Marc Behrens hat sich auf ein ganz bestimmtes Geräusch der Stadt Taipei konzen­triert. Und wie er jene Töne, mit denen am Eingang einer U‑Bahnstation den Fahrgästen mit gültiger Karte Einlass gewährt wird, zum Pulsschlag einer hekti­schen Metropole rhyth­mi­siert, das ist schon stark.
Johannes S. Sister­manns schickt uns auf Taxifahrt in unter­schied­li­chen Städten. Gespräche über das Fremdsein, Geräusche der Stadt vermengen sich. Und wir sind scheinbar dabei. Im Taxi durch die Stadt.

Jeder Stadt­be­wohner hat seine Stadt ja ständig im Ohr. Aber das ist so selbst­ver­ständ­lich und allge­gen­wärtig, dass wir es als den Klang der Städte kaum mehr wahrnehmen. Hier wird er uns bewusst, als Sound unserer Existenz. Städte werden erhört.

Fakten

Auusstel­lung im Allge­meinen Konsum­verein, Hinter Liebfrauen 2:

Nachtraum von Clemens von Reusner am 9. Juli, 18 und 19.45 Uhr, 15. und 17. Juli um 16 und 17.45 Uhr, 19. Juli um 14 Uhr, 12. Juli um 15.45 Uhr.

Taxi von Johannes S. Sister­manns am 9. Juli um 19 und 21 Uhr, 15. und 17. Juli um 17 und 19 Uhr, 19. Juli um 15 Uhr, 12. Juli um 17 Uhr.

Every­thing NO von Tamtam (Sam Auinger/Hannes Strobl) 16. Juli 18 und 19.30 Uhr, 18. Juli 14 und 15.30 Uhr, 10. Juli 16 und 17.30 Uhr,19. Juli um 15.45 Uhr, 12. Juli, 14 Uhr.

A Narrow Angle: Taipei Metro Easycard 500NT$ 16 von Marc Behrens: 16. Juli 18.45 und 20.15 Uhr, 18. Juli 14.45 und 16.15 Uhr, 10. Juli 16.45 und 18.15 Uhr, 19. Juli 16.30 Uhr, 12. Juli 14.45 Uhr.

Mumbai – „….only sounds?“ von Hans Wesker: 16. Juli 19.15 und 20.45 Uhr, 18. Juli 15.15 und 16.45 Uhr, 10. Juli 17.15 und 18.45 Uhr, 19. Juli 17 Uhr, 12. Juli 15.15 Uhr.

Künst­ler­ge­spräch und Workshop mit Hans Wesker und Kunst­ver­mitt­lerin Judith Dilchert am Sonntag, 19. Juli, 11 Uhr.

Klang der Städte wird gefördert durch die Nieder­säch­si­sche Sparkas­sen­stif­tung, die Braun­schwei­gi­sche Landes­spar­kasse, die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz und die Stadt Braun­schweig.

Beispiel

Mumbai „…only sounds?” von Hans Wesker: https://www.youtube.com/watch?v=XU9IYlMxpCc

Links

http://www.cvr-net.de/cms/cvr/index.php?id=100 – in die Website von Clemens von Reusner einge­bun­dener Sound zu dem Stück „Nachtraum”
http://www.h‑wesker.de/Aktuelles%20Wesker.htm in die Website von Hans Wesker einge­bun­denes Video zu MUMBAI – „only sounds?”
http://entracte.co.uk/project/marc-behrens-e71/ Ton zu Marc Behrens „A Narrow Angle: Taipei Metro Easycard 500 NT$“
http://www.netzradio.de/tamtam/page.php?ID=244 zu Tamtam/Sam Auinger und Hannes Strobl: „every­thing NO“
http://www.sistermanns.eu/#project/r15 zu Johannes s. Sister­manns „TAXI“

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