Das ist ja un-er-hört!

Wo kommen nur diese Töne her? Baumbeschau in der Klosterstraße im Vorfeld. Foto: Allgemeiner Konsumverein
Wo kommen nur diese Töne her? Baumbeschau in der Klosterstraße im Vorfeld. Foto: Allgemeiner Konsumverein

Zum dritten Mal bringt der Allge­meine Konsum­verein die Stadt mit dem Festival klangstaetten|stadtklaenge zum Klingen.

Komisch, werden Sie vielleicht denken und für einen Moment irritiert inne halten. Und lauschen. Oder sich am Ohr jucken, auf dass sich der akusti­sche Fremd­kitzel, dieses an dieser Stelle der Broit­zemer Straße  noch nie vernom­mene Geräusch schnell wieder schlei­chen möge. Wenn Sie dann weiter­gehen und sich dem Brüdern-Friedhof nähern, dann werden die Klänge lauter werden. Klackern da nicht Hasel­nüsse, rascheln nicht auch Blätter, fegt der Wind nicht einen eigenen Rhythmus mitten­mang? Und woher tönt es eigent­lich so ganz anders als sonst, so ungewohnt? Das passt doch alles nicht zusammen, verdammt! Und dann werden Sie auch sehen, was Ihnen den Gehörgang neckt! Nämlich in dem Moment, da sie unter der Klang­du­sche stehen und sich vielleicht verzückt im Kreis drehen als seien sie einge­taucht in ein Märchen, als seien sie Alice im Wunder­land, als enthebe Sie mitten im schmal­spu­rigen Alltag ein poeti­scher Klang­tep­pich aus den Niede­rungen des Klein­kleins und beschere Ihnen eine kurze Auszeit der Außer­ge­wöhn­lich­keit. Die Melange aus Natur­ge­räu­schen kommt aus Indus­trie­lampen, die in Bäumen baumeln. Stefan Roigk heißt der Künstler, der diese poetische Arbeit ersonnen hat. Es ist eine von sieben Klang­in­stal­la­tionen, die der Allge­meine Konsum­verein während des Festival „klangstaetten|stadtklaenge“ in Braun­schweig zeigt.

Nach 2009 und 2012 rückt der Konsum­verein nun zum dritten Mal die Klang­kunst in den Mittel­punkt der Wahrneh­mung, die Arbeiten der Künstler rücken zuvör­derst die Grünflä­chen ehema­liger Friedhöfe ins Zentrum der Aufmerk­sam­keit. Wobei: Der Ort wird nicht bespielt, der ist unbedingt Akteur, Teil der Klang­kunst. So hat Stefan Roigk als Kind viele Sommer auf Fried­höfen verspielt. Sein Großvater war Küster, der Friedhof war für den Jungen kein toter Ort. Sondern belebt mit Geräu­schen, ein verwun­schenes Kleinod aus Licht und Schatten, laut und leise. Mannig­faltig. Wie das Leben. Und gar nicht tot.

Dieser Wechsel­klang des Lebens, der so einen Friedhof umtönt und manchmal, je nach Lage, auch umtost, hat auch Kuratorin Anne Mueller von der Haegen begeis­tert. „Auf Fried­höfen wollte ich unbedingt mal etwas machen, das war meine Herzens­an­ge­le­gen­heit!“ Die Topografie Braun­schweigs sei so einzig­artig, die vielen mittel­al­ter­li­chen Kirchen, die ringsum die Stadt verteilten Friedhöfe – und dennoch spielten sie im öffent­li­chen Bewusst­sein keine Rolle. „Das ist doch doof!“ sagt von der Haegen, und strahlt, dass diesen Orten nun die Beachtung zu Teil wird, die ihnen gebührt.

Der öffent­liche Raum wird durch diese Klang­kunst zu einem neuen, vormals un-er-hörten Ort für Altein­ge­ses­sene und selbst für solche, die dort Tag für Tag lang gehen. Es ist gewis­ser­maßen eine Bewusst­seins-Schule: Was umgibt mich da eigent­lich im öffent­li­chen Raum? Welche Rolle spiele ich hier? Was Anne Mueller von der Haegen ganz wichtig ist: „Man muss nicht studiert haben, keine Angst haben, dass man etwas nicht versteht!“ Die Klang­kunst vermit­tele sich ganz unmit­telbar. Ein emotio­nales, poeti­sches Erlebnis. Und ein höchst indivi­du­elles noch dazu. Denn jeder wird die Klänge ganz unter­schied­lich aufnehmen, gewichten, ausblenden, mit ihnen spielen. Sich vielleicht auch ärgern! Alles okay! Die Atmosphäre des Ortes wird sich in jedem Fall verändern, wird in jedem einzelnen anders nachklingen, etwas zum Schwingen bringen. Wer aber doch mehr erfahren will, der kann auf kleinen Tafeln nachlesen, was er eben gehört hat.

Koope­riert hat der Konsum­verein mit Professor Ulrich Eller von der Hochschule für Bildende Künste (HBK). Die Klang­klasse der Hochschule setzt mit Klang­in­ter­ven­tionen akusti­sche Zwischen­punkte. Da gibt es auch stumme Arbeiten wie die von Ingo Schulz. Man wird auf der Celler-Straßen-Brücke am Georg-Eckert-Institut stehen und auf dem Wasser nur das Blubbern sehen. Als Sinnbild für Schall­wellen, die sich wellen­förmig ausbreiten. Hören wird man nichts. Vielleicht eine Anregung, mal über laut und leise und den täglichen Geräusch­terror nachzu­sinnen.

Gewinn heißt die Arbeit, die Roswita v. d. Driesch und Jens-Uwe Dyffort auf dem Martini-Friedhof zu Gehör bringen werden. Als sie den Ort erkun­deten, schellte die Schul­klingel, Kinder bolzten auf dem Fußball­feld um Sieg und Nieder­lage, in der Kita lernten die Kleinen erste Schritte ohne die Eltern, in der Spiel­halle rasselten die Cents, bei der Braun­schweiger Tafel standen Frauen und Männer Schlange, die vermeint­lich nicht zu den gesell­schaft­li­chen Gewinnern zählen. Geht es nicht immer um gewinnen und verlieren, befragten sich die beiden Künstler. Ist dies das allge­gen­wär­tige Hamsterrad unseres Lebens?  Gewinn­op­ti­mie­rung die Zeittak­tung des modernen Menschen? Sie haben versucht einen anderen Takt zu finden. Klickk­lack klickk­lack … hören Sie mal hin.  Und schauen Sie, ob es noch ein Plätzchen auf dem Sieger­trepp­chen für Sie gibt.… Oder ob die Zeit nicht eh über Sieg und Nieder­lage hinweg geht. Ob Wider­stand gegen dieses  Ratten­rennen vielleicht mal angezeigt wäre? Wer gewinnt denn eigent­lich? Und was überhaupt?

Neben den Klang­pro­jekten und Zwischen­tönen hat der Konsum­verein auch ein ordent­li­ches Beipro­gramm geschnürt mit Projekten/Kooperationen in Schulen (Der Schulweg entpuppt sich da vielleicht als akusti­sche Wunder­tüte!), Führungen, Workshops. Ein Highlight ist zudem die Wege-Arbeit der Künst­lerin katrinem … doch zu viel sei nicht verraten, lieber selbst auf den Weg machen!

Gefördert wird klangstaetten|stadtklaenge vom Nieder­säch­si­schen Minis­te­rium für Wissen­schaft und Kultur, der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Erich Mundstock Stiftung sowie der Braun­schwei­gi­schen Stiftung und der Stiftung Kunst­fonds, „ein überre­gio­naler Ritter­schlag“, wie Mueller von der Haegen stolz sagt. Stolz kann sie auch sein. Wenngleich: „Wir sind eben eher so ein Graswur­zel­pro­jekt“, lacht sie. Erwähnung in der Tages­schau – damit rechnet sie nicht, wenn es auch eine schöne Bauch­pin­selei wäre, „aber den Glamour brauch ich nicht“. Was sie vielmehr glücklich macht: „Die tollen Menschen, die das gestemmt haben. Vom Amt für Stadtgrün und Friedhof – oder wie auch immer das so genau heißt – hat ein Steiger ganz oben in den Bäumen für uns gehangen. Hoch/Tief und Bauamt, die haben das zu ihrer Sache gemacht. Die werden das weiter­tragen. So stelle ich mir Kunst im öffent­li­chen Raum vor, dass die Leute das selbst weiter­tragen. Mit ihrer Begeis­te­rung.“

Die ortsbe­zo­genen Klang­in­stal­la­tionen sind vom 9. September bis 8. Oktober täglich von 10 bis 21 Uhr erlebbar. Der Allge­meine Konsum­verein als Veran­stal­tungs­zen­trum ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Hier beginnen die Führungen, finden Workshops statt, hier gibt es alle Infor­ma­tionen zum Festival ebenso wie unter www.klangstaetten.de.

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