Neuer Gedenkort für NS-Erschie­ßungs­opfer

In den Schießständen in der Buchhorst wurden im Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten, Kriegsgefangene und Zivilisten von Erschießungskommandos hingerichtet. Foto: Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz
In den Schießständen in der Buchhorst wurden im Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten, Kriegsgefangene und Zivilisten von Erschießungskommandos hingerichtet. Foto: Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz

Initia­tiv­kreis plant Neuge­stal­tung des in die Jahre gekom­menen Gedenk­ortes Buchhorst. In den früheren Schieß­ständen wurden im Zweiten Weltkrieg deutsche und auslän­di­sche NS-Verfolgte hinge­richtet.

Die Buchhorst zählt zu den belieb­testen Naherho­lungs­ge­bieten Braun­schweigs. Kaum einem Spazier­gänger ist jedoch bekannt, dass sich dort einige der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte abgespielt haben. Schät­zungs­weise 28 Deser­teure, auslän­di­sche Wider­stands­kämpfer und Kriegs­ge­fan­gene wurden während des Zweiten Weltkrieges in einem der heute noch vorhan­denen Kugel­fänge des einstigen Schieß­übungs­platzes durch Erschie­ßungs­kom­mandos hinge­richtet. Die Anlage stammt teilweise noch aus der Wilhel­mi­ni­schen Kaiser­zeit. Ein Initia­tiv­kreis bestehend aus der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Stiftung nieder­säch­si­sche Gedenk­stätten, des Friedens­zen­trums Braun­schweig e.V., aus Histo­ri­kern, Denkmal­pfle­gern und lokalen Künstlern sowie der Stadt Braun­schweig arbeitet gemeinsam an der Neuge­stal­tung des Gedenk­ortes Buchhorst.

Arnould van de Walles Sterbe­datum ist der 16. Juni 1944. Um 16.57 Uhr trafen den Belgier aller Wahrschein­lich­keit nach mehrere Kugeln. Überlie­fert ist dies, weil der Oberstaats­an­walt beim Landge­richt Braun­schweig Dr. Hirte dies dem Reichs­mi­nister der Justiz in Berlin berich­tete. Van de Walles gehörte in Belgien einer Wider­stands­gruppe namens „Lichter­velde“ an. Ziel der Gruppe war es, in den benach­barten belgi­schen Orten Lichter­velde und Rosse­laere (in der Nähe der Klein­stadt Torhout) zahlreiche Vorbe­rei­tungen der erwar­teten Landung alliierter Truppen zu treffen. Sie vermutete sie fälsch­li­cher­weise an der belgi­schen Küste. Unter anderem ging es um das Beschaffen von Waffen und das Zusam­men­spiel mit anderen Wider­stands­gruppen. Van de Walles war nach der Befreiung als neuer Ortsbür­ger­meister vorge­sehen.

Doch bereits beim zweiten Geheim­treffen im Hause van de Walles flog die Gruppe auf. Ein belgi­scher Gestapo-Spitzel hatte sie verraten. Nach Folter im Wehrmachts­ge­fängnis Gent kamen die 17 Wider­stands­kämpfer als „Nacht-und-Nebel“-Gefangene heimlich nach Deutsch­land. Nicht einmal die Famili­en­an­ge­hö­rigen wurden über ihren Verbleib infor­miert. Das Amtsge­richt Leer verur­teilte die Belgier wegen Feind­be­güns­ti­gung zum Tode. Als Offizier der belgi­schen Armee wurde van de Walles im Schieß­stand Buchhorst erschossen, die 16 anderen Wider­ständler wurden mit dem Fallbeil im Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel hinge­richtet.

Außer van de Walles wurden auch viele deutsche Wehrmachts­an­ge­hö­rige, die deser­tiert waren oder sich durch Selbst­ver­stüm­me­lung dem Kriegs­dienst entziehen wollten, auf dem Schieß­stand hinge­richtet. Dazu wurden sie an Holzpfähle gebunden. Nur 20 Opfer sind nament­lich bekannt. Bestia­lisch: Schät­zungs­weise über 20.000 Todes­ur­teile wurden nach Urteilen deutscher Militär­ge­richte im In- und Ausland vollstreckt. „Wir wollen einen würdigen Gedenkort schaffen. Und wir werden versuchen, möglichst viele persön­liche Dinge über die Opfer heraus­zu­finden, sofern die Angehö­rigen dem zustimmen. Denn das könnte ein Betrof­fen­heits­ge­fühl erzeugen, das hoffent­lich zu einem stärkeren Verant­wor­tungs­be­wusst­sein für unsere Zukunft führt“, sagt Ute Sandvoß, Projekt­lei­terin bei der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz. Die Initia­tiv­gruppe entwi­ckelt derzeit ein Gesamt­kon­zept unter Berück­sich­ti­gung sowohl didak­ti­scher als auch künst­le­ri­scher Gesichts­punkte.

Ein Gedenkort für die Erschie­ßungs­opfer in der Buchhorst existiert bereits seit 2003. Der Friedens­zen­trum Braun­schweig e.V. war Initiator der ersten Gedenk­stätte. Die Hochschule für Bildende Künste in Braun­schweig (HBK) hatte in einem Projekt vor mehr als zehn Jahren visua­li­sierte Schuss­li­nien, Namen und Todes­daten der Opfer auf Plexiglas und Ziegel­stein­mo­nu­mente errichtet. Doch die aufwen­dige Instal­la­tion wurde durch Witte­rungs­ein­flüsse und Vanda­lismus immer stärker beschä­digt. Das Areal ist bis auf weiteres mit einem Zaun abgesperrt. Ein Schild soll – auf Deutsch, Englisch und Franzö­sisch – über die Neuge­stal­tung infor­mieren.

Eine Hinrich­tungs­stätte, die wie vermut­lich keine Zweite in Deutsch­land das Unrecht „Erschie­ßung“ dokumen­tiert. Noch bis 1962 wurde die Anlage von der Polizei, Bundes­wehr und Bundes­grenz­schutz für Schieß­übungen genutzt. In dieser Woche besucht eine Gruppe aus Belgien den Gedenkort Buchhorst. „Für die Angehö­rigen der NS-Opfer wird dieser Ort sicher­lich von beson­derer Bedeutung sein“, so Ute Sandvoß.

Zuvor hatten 31 Belgier die von der Stiftung nieder­säch­si­scher Gedenk­stätten geführte Gedenk­stätte in der JVA Wolfen­büttel besucht. Im Straf­ge­fängnis Wolfen­büttel waren insgesamt 54 Belgier während der Nazizeit hinge­richtet worden. Zur Opfer­gruppe zählen bekannt­lich auch die Gefährten Arnould van de Walles.

Die Initia­tiv­gruppe

Ute Sandvoß, Burkhardt Röker, Direktor Tobias Henkel (alle Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz), Martina Staats (Stiftung nieder­säch­si­scher Gedenk­stätten), Lars Skowronski (Histo­riker, Experte für NS-Militär­justiz), Peter Wentzler (Grafik­de­si­gner, Ausstel­lungs­experte für Gedenk­stätten), Petra Förster (ehemalige HBK-Profes­sorin), Gudula Wegmann (Friedens­zen­trum Braun­schweig e.V.) und die Stadt Braun­schweig.

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