Inklusion ist Arbeit, die sich lohnt

Wolfgang Kraus, Konrektor Peter-Räuber-Schule, mit der inklusiven Theatergruppe. Foto: Susanne Jasper
Wolfgang Kraus, Konrektor Peter-Räuber-Schule, mit der inklusiven Theatergruppe. Foto: Susanne Jasper

Theater­päd­ago­gi­sche Zentrum erarbeitet mit Schüle­rinnen und Schülern der Henriette-Breymann-Gesamt­schule und der Peter-Räuber-Schule in Wolfen­büttel ein Bühnen­stück.

Nach der Mittags­pause, wenn der Magen voll und der Kopf ein bisschen leer gedacht ist von den Anstren­gungen des Vormit­tags, hängt man meistens ein wenig durch. Ganz anders die Mädchen und Jungen, die sich zum theater­päd­ago­gi­schen Spiel in der Henriette-Breymann-Gesamt­schule in Wolfen­büttel einge­funden haben. Alle sind konzen­triert und wach dabei und wenn zwei einmal ins Quasseln geraten, sind sie nach freund­li­cher Ermahnung rasch wieder zurück in der diszi­pli­nierten Gruppen­ar­beit.

Vielleicht liegt es auch an dem spannenden Spiel, dass alle aufmerksam sind: „Fokus klauen.“ Theater­päd­agogin Anna Fagan erklärt die Regel für die Vierer­gruppe: „Wer schafft es ohne Worte die meiste Aufmerk­sam­keit auf sich zu ziehen? Alles ist erlaubt, außer Sprache!“ Ein Mädchen wirbelt durch den Raum, schlägt Rad und gleitet geschmeidig in den Spagat. Eine andere Schülerin kugelt wie ein Brumm­kreisel durch den Raum, ein Junge bleibt anfangs still stehen, hat sein Publikum aber genau im Fokus. Hernach werden die zuschau­enden Schüler befragt, wer sie am meisten in den Bann gezogen hat. Die Dehnungs­künst­lerin fanden natürlich viele toll, aber der Junge, der starr verharrte, zog die Aufmerk­sam­keit auch auf sich, gerade weil er wie ein Fels in der Unruhe verweilte und das Gewusel um sich herum ignorierte.

Das besondere an diesem Theater­pro­jekt ist sein inklu­siver Charakter: Elf Schüler der Gesamt­schule zwischen 10 und 12 Jahren und sieben Mädchen und Jungen (bis 16 Jahre) mit Beein­träch­ti­gungen der Peter-Räuber-Schule versuchen Woche für Woche eine gemein­same Theater­sprache zu finden. Bereits 2015 koope­rierten das Theater­päd­ago­gi­sche Zentrum für Braun­schweig und die Region (TPZ) und die Peter-Räuber-Schule im Rahmen des dreijäh­rigen Landes­pro­jekts Schule:Kultur mitein­ander, sagt Martin von Hoyningen Huene, Leiter des TPZ.

In diesem Jahr firmiert das Großpro­jekt, für das das Schule:Kultur-Programm des Landes Nieder­sachsen die Basis legt, so von Hoyningen Huene, unter dem Arbeits­titel „Mein Ausdruck“. Die inklusive Theater-AG in Wolfen­büttel ist ein Teil dieses Großpro­jekts. Es ist wiederum einge­bettet in das Jubiläum der Peter-Räuber-Schule, die in diesem Jahr mit reichlich Theater, Musik und Musical ihr 40jähriges Bestehen feiert.

„Mitein­ander – Gemein­schaft“ ist der Arbeits­titel dieses Theater­pro­jekts. Die Kinder bereiten für ein Mehrfa­mi­lien-Haus, in dem viele verschie­dene Menschen leben, einzelne Szenen vor. Sehr witzig anzusehen war bereits jetzt, immerhin noch etliche Wochen vor der Premiere, die panto­mi­mi­sche Szene mit den drei Schwes­tern. Die wettstreiten in einem morgend­li­chen Anzieh­ma­ra­thon um die beste Klamotte, schminken sich aufwendig für den großen Auftritt im Klassen­zimmer, denn ohne perfekten Style geht ja heute keine Zehnjäh­rige mehr zum Unter­richt. Und finden sich schließ­lich zu einer lustigen Zopfflecht­gir­lande zusammen.

Von dem inklu­siven Projekt profi­tieren beide Seiten, sind sich alle Betei­ligten einig. „Die Kinder haben sich bewusst für dieses Projekt entschieden“, erklärt Katrin Unger, Leiterin der Gesamt­schule. Ihre Schule besuchen 600 Schüler, 23 davon sogenannte I‑Kinder. „Inklusion tut Schule und Schülern gut“, ist sie überzeugt. Das Interesse anein­ander sei groß. Die Aufmerk­sam­keit und die Rücksicht­nahme gegenüber den Kindern mit Handicap seien größer geworden. Mädchen und Jungen, die ihren Alltag ein stückweit mit Menschen mit Beein­träch­ti­gungen teilen, rutscht diese unter Jugend­li­chen grassie­rende, saublöde Belei­di­gung „Ey, du bist ja voll behindert“ bestimmt nicht mehr unreflek­tiert heraus.

Auch Theater­päd­agogin Anna Fagan hat festge­stellt, dass die Gruppe trotz hetero­gener Tempe­ra­mente kaum gefrem­delt hat, dass sie rasch zu einer Einheit zusam­men­ge­wachsen ist, die eine Arbeits­ebene und ‑sprache, nämlich die der theatralen Mittel, gefunden hat. Wolfgang Kraus, Konrektor an der Peter-Räuber-Schule, unter­streicht noch diesen Aspekt: „Ich finde es hervor­ra­gend, dass man heute in der Arbeit mit Menschen mit Beein­träch­ti­gungen nicht schon im Vorfeld Abstriche und somit ein defizi­täres Angebot macht, sondern genau das auspro­biert und erprobt was in jeder Theater-AG möglich ist.“ Gewiss, so Kraus, Inklusion ist Arbeit, die sehr fordert, aber „es lohnt sich!“

Gezeigt wird das Stück des von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz geför­derte Inklu­si­ons­pro­jekts am 13. Juni um 10 und 18 Uhr in der Landes­mu­sik­aka­demie Nieder­sachsen, Am Seeliger Park 1, in Wolfen­büttel.

Mehr über das Projekt Schule:Kultur und die Förderer unter
http://www.mwk.niedersachsen.de/startseite/schulekultur/schulekultur-127886.html
http://www.bundesakademie.de/projekte/schulekultur
https://kultur.nline.nibis.de/nibis.php

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