Straße ohne Verkehr – die Herren­dorft­wete

Der Eingang zur Herrendorftwete. Foto: Thomas Ostwald
Der Eingang zur Herrendorftwete. Foto: Thomas Ostwald

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 22: Die große Stein­kugel soll noch von der „Faulen Mette“ stammen.

Im Magni­viertel gibt es zwischen den Grund­stü­cken Am Magnitor 1 und 2 eine schmale Gasse mit der Bezeich­nung „Herren­dorft­wete“. Die Twete ist ein gutes altes Stück Braun­schweig. Ursprüng­lich verstand man unter dem Begriff Twete oder Twiete eine schmale Gasse zwischen Häusern, die zu schmal war, um befahren werden zu können. Davon muss es in Braun­schweig sehr viele gegeben haben, denn noch heute erinnern fünfzehn Straßen­namen mit der Endung „Twete“ an diese mittel­al­ter­li­chen, engen Gassen, wie zum Beispiel die Bolchent­wete, Kaffee­t­wete, Kupfert­wete oder die Opfert­wete. Aber nur die Herren­dorft­wete scheint noch so erhalten zu sein, wie sie einst war, verschont von den Bomben des Zweiten Weltkrieges.

Betritt man diese Twete von der Ecke Ölschlägern/Ritterstraße, so hat man linker Hand das Fachwerk­ge­bäude des heutigen Stadt­ho­tels und kann sehr gut erkennen, was im sogenannten Magni­viertel einst tatsäch­lich gebaut wurde. Der lang gestreckte vordere Teil des Hauses mit den gotischen Treppen­friesen im Schwell­balken war einst ein präch­tiges Bauern­haus, das bereits vor 1490 entstand. Deutlich sind auch die Anker­balken zu erkennen, also die in Längs­rich­tung zu einer Mauer einge­mau­erten Holzbalken zur Stützung des Mauer­werks. Sie fanden überwie­gend im Hochmit­tel­alter Verwen­dung und wurden mit Zapfen­schloss und Keil oder mit einer Kammver­bin­dung verbunden. In der Gasse schließt sich dann ein kleineres Fachwerk­ge­bäude mit vorkra­gendem Oberge­schoss an, vermut­lich der Speicherbau, und älter als das Vorder­ge­bäude. 1992 gab es einen Brand in dem Gebäude, so dass man bei der Renovie­rung die Möglich­keiten nutzte, die alte Bausub­stanz gründlich zu unter­su­chen und dendro­chro­no­lo­gisch (durch Holzun­ter­su­chung) das Alter der Balken zu bestimmen. Der kleine Speicherbau musste aller­dings durch Fachwerk vollständig erneuert werden.

Dann schließen sich weitere Seiten­ge­bäude an, die während der Renais­sance entstanden und ein vorkra­gendes Oberge­schoss aufweisen. Man erkennt auch Speicher­luken und einen wieder herge­stellten Aufzugs­erker. Das Gebäude mit dem gemau­erten Bruch­stein­so­ckel enthält ein Keller­ge­wölbe, das ebenfalls rekon­stru­iert wurde.

Insgesamt ist das Gebäu­de­en­semble das Urbild der hiesigen Bebauung und war im Spätmit­tel­alter der Wohnsicht des Bürger­meis­ters des Altewiek. Damit kommen wir zum ersten Teil des seltsamen Straßen­na­mens.

Herren­dorf? Welche Herren wohnten denn hier im Weichbild Altewiek? Diese Straßen­be­zeich­nung wurde erst ab 1858 verwendet und erinnert an das alte Dorf der Hörigen, die zur Burg Dankwar­derode gehörte. Es befand sich nördlich von St. Magni, der Kirche, in deren Weihe­ur­kunde 1031 erstmals unser Stadtname als Brunswiek bzw. Brunes­guik erwähnt wurde. Hier siedelten sich die Bauern an, Hörige, die die Burg zu versorgen hatten. Schon im 15. Und 16. Jahrhun­dert gab es die Namens­än­de­rung in herndorpp oder herendorp. Damit wurde der Name immer mehr zum Herren­dorf geändert – also vom Dorf der Leibei­genen zum Dorf der Herren gemacht. 1406 wurde ein Haus bei der Magni­kirche wie folgt bezeichnet: alse me geyt ute dem heren­dorpe.- also wo man aus dem Herren­dorf geht.

Immer mehr Handwerker und Bürger zogen in dieses Dorf und verän­derten mit den neuen, oft kleineren Häusern, das Bebau­ungs­bild. Beispiele dafür finden sich noch in der Ritter­straße 23 oder auch Am Magnitor 10/11. Bei der Kirche befand sich auch eines der Beginen­häuser der Stadt, deren Bewohner sich um Arme und Kranke kümmerten. Das Haus ist jetzt ein Teil der Magni-Pfarre.

Noch etwas Kurioses gibt es zwischen Magni­kirche und Herren­dorft­wete zu entdecken. Die große Stein­kugel dort soll von der Faulen Mette stammen, einem Bronze-Großge­schütz, das 1411 durch Henning Bussen­schutte gegossen wurde. Sie befand sich überwie­gend auf dem Michae­lis­wall und hat insgesamt nur 12 Schüsse mit dem Kaliber­durch­messer von 76 cm abgeschossen, bei einem Kugel­ge­wicht von 550 kg. Man hat sie schließ­lich 1787 einge­schmolzen.

Quellen: Braun­schweiger Stadt­le­xikon, Fachwerk­ar­chi­tektur in Braun­schweig, E.F.Vogel, Altert­hümer der Stadt und des Landes Braun­schweig: Nach größten­teils noch unbenutzten Handschriften und mit Abbil­dungen

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