Spuren jüdischen Lebens in Bad Harzburg

Die Sonnenwiese im Kalten Tal hieß im Volksmund „Judenwiese“. Archiv: Markus Weber
Die Sonnenwiese im Kalten Tal hieß im Volksmund „Judenwiese“. Archiv: Markus Weber

Ein neues Buch des Braun­schwei­gi­schen Geschichts­ver­eins gemeinsam mit dem Verein Spuren­suche Harzre­gion unter­sucht die Verbin­dung zwischen dem Aufstieg Bad Harzburgs als Kurort und dem jüdischen Leben in der Stadt.

Eigent­lich begann alles schon 2006 mit den Vorbe­rei­tungen des Vereins Spuren­suche Harzre­gion zu einer Ausstel­lung über die Harzburger Front, einem Treffen von mehreren tausend Natio­nal­so­zia­listen 1931 in Bad Harzburg. „Jüdisches Leben in Harzburg war damals ein Thema am Rand und ich hatte das Gefühl, da müsse man mehr draus machen“, erzählt Markus Weber, der Autor des im November erschie­nenen Buches „Das ist Deutsch­land und es gehört uns allen“. Ein Treffen in Yad Vashem, der bedeu­tendsten Gedenk­stätte für die Verfol­gung und Vernich­tung der Juden durch die Natio­nal­so­zia­listen, bestärkte ihn darin, sich bei seinen Forschungen zeitlich nicht nur auf die Weimarer Republik und das Dritte Reich zu beschränken. „Es gab ein Davor und auch ein Danach. Juden werden dadurch nicht nur Opfer, sondern auch aktiv Handelnde in der Geschichte.“

Antise­mi­ti­sche Anfein­dungen und Diskri­mi­nie­rungen waren immer Bestand­teil jüdischen Lebens. Doch in Bad Harzburg waren jüdische Gäste auch ein wichtiger Wirtschafts­faktor. 1899 hatte der Harzburger Magistrat das Schächten, das rituelle Schlachten, ausdrück­lich erlaubt, das 1931 von der NSDAP initi­ierte Verbot wurde in der Stadt energisch bekämpft. Der Kurort hatte den Ruf eines „Juden­bades“, jüdische und christ­liche Hoteliers machten mit gemein­samen Anzeigen auf ihre Angebote aufmerksam. Verschie­dene Hotels stellten sich besonders auf die Gäste ein, boten koschere Speisen an, im Garten des Hotels Parkhaus befand sich eine Synagoge, in der regel­mäßig Gottes­dienste gefeiert wurden. „Die Touristen kamen vor allem aus deutschen Großstädten, besonders Berliner fuhren zur Sommer­fri­sche in den Harz. Aber auch inter­na­tio­nale Gäste schätzten die Stadt: Nieder­länder, Russen, Engländer, Ameri­kaner“, fand Weber heraus. Wie hoch der Anteil an jüdischen Besuchern war, lässt sich nur schwer sagen. 10 Prozent schätzte ein Polizist um 1900. Mit dem Slogan „Juden willkommen“ grenzte sich Harzburg bewusst von anderen Bädern, wie z. B. Borkum ab, die damit warben, „judenrein“ zu sein. „Je größer und inter­na­tio­naler das Bad, desto toleranter war man dort“, hat Weber beobachtet.

In der Harzburger Front sieht Weber nicht den großen Bruch im Umgang mit den Juden, wie andere Histo­riker. Aber das Klima verän­derte sich, der Ruf, den Bad Harzburg durch das Treffen bekommen hatte, schreckte viele Gäste ab. Das Einordnen der Quellen über antise­mi­ti­sche Vorfälle und Aktionen bereitete ihm aber auch Schwie­rig­keiten. „Akten, Berichte, Unter­su­chungen entstehen ja nur, wenn es Streit und Probleme gab. Was gut funktio­nierte, hat oft keine Spuren in den Quellen hinter­lassen.“

Der Verein Spuren­suche Harzburg e.V., in dem Weber sich engagiert, konnte die Veröf­fent­li­chung alleine nicht tragen. „Wir waren auf der Suche nach einem verläss­li­chen Partner.“ So war die Zusam­men­ar­beit mit dem Braun­schwei­gi­schen Geschichts­verein, der wiederum die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz als Förderer gewinnen konnte, für alle Seiten ein Glücks­fall. Die in der Reihe des Geschichts­ver­eins veröf­fent­lichten Publi­ka­tionen behandeln ganz unter­schied­liche Themen und Epochen der braun­schwei­gi­schen Geschichte. „Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Sie müssen unter wissen­schaft­li­chen Kriterien erarbeitet werden und neue Erkennt­nisse liefern. Zudem sollen sie gut lesbar sein“, erläutert der Vorsit­zende Dr. Brage Bei der Wieden das Konzept.

Besonders der letzte Punkt war für den Autor Weber wichtig. „Ich wollte ein Buch machen, das man gerne in die Hand nimmt und das auch geschicht­liche Laien anspricht.“ Dazu tragen vor allem die großfor­ma­tigen, farbigen Abbil­dungen im Buch bei. Doch sie sind nicht nur Illus­tra­tionen der Geschichte, sondern wichtige Quellen. „Viele waren tatsäch­lich Zufalls­funde bei ebay“, erzählt Weber, der nach Ansichten von Harzburger Gebäuden gesucht hatte. Neben Reise­füh­rern und ‑prospekten fand er vor allem Postkarten. Oft waren die Abbil­dungen das inter­es­sante daran, weniger die Texte. „Warum sollen Touristen jüdischen Glaubens andere Urlaubs­grüße versenden als andere? ‚Das Wetter ist schlecht, heute waren wir auf dem Brocken, das Essen ist gut’.“

Die Recherche in Archiven barg einige Überra­schungen für Weber. In Akten des Finanz­amtes, die im Landes­ar­chiv Wolfen­büttel aufbe­wahrt wurden, fand er die Unter­lagen über die Enteig­nung einer jüdischen Bürgerin. Die Nachbarin schrieb an die Beamten, dass sie gerne den Küchen­herd hätte, im Krieg würde man so etwas ja nicht bekommen. „Das geht einem dann schon nahe, besonders wenn man weiß dass die Jüdin schließ­lich ins Warschauer Ghetto depor­tiert wurde.“ Doch diese vielen kleinen Geschichten, die letzt­end­lich das große Ganze ergeben, machten für ihn auch den Reiz der Arbeit aus.

Für Bei der Wieden ist es gerade diese Mischung aus struk­tu­rellen Unter­su­chungen und persön­li­chen Geschichten, die das Buch so spannend macht. „In der Region gibt es zurzeit einige Aktionen zu jüdischem Leben in Verbin­dung mit dem in Koope­ra­tion mit dem Leo Baeck Institute in New York initi­ierten Israel Jacobson Netzwerk für jüdische Kultur und Geschichte. Da ist das Buch von Markus Weber ein wichtiger Baustein.“

Und jetzt, langweilt er sich nun? „Ganz und gar nicht“, lacht Weber. Sein Ziel ist es, dass der Aspekt der Harzburger Geschichte mehr wahrge­nommen, mehr im kultu­rellen Gedächtnis verankert wird. Und da gibt es noch viel zu tun: neben Vorträgen zu dem Thema hat der Verein Spuren­suche Harzre­gion begonnen, Geschichts­ta­feln an wichtigen Orten der in der Stadt aufzu­stellen. Weber, der an einem Harzburger Gymnasium Geschichte, Politik und Religion unter­richtet, versucht außerdem, Aspekte des Themas in den Unter­richt zu integrieren. „Beispiele vor Ort machen den Natio­nal­so­zia­lismus und die Juden­ver­fol­gung für die Schüler viel leichter greifbar als abstrakte Zahlen.“ Und dann warten ja noch viele inter­es­sante Themen auf die Erfor­schung…

Infor­ma­tionen:

Markus Weber: „Das ist Deutsch­land und es gehört uns allen“. Juden zwischen Akzeptanz und Verfol­gung im Kurort Bad Harzburg. Braun­schweig 2016 (= Quellen und Forschungen zur Braun­schwei­gi­schen Landes­ge­schichte, Band 51, heraus­ge­geben vom Braun­schwei­gi­schen Geschichts­verein und als Band 6 der Spuren Harzer Zeitge­schichte heraus­ge­geben von Spuren­suche Harzre­gion e.V.)

19,80 €

Im Buchhandel erhält­lich

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