Startseite Gesellschaft & Lebensstil „Menschen wird zunehmend fremd...

„Menschen wird zunehmend fremd, wofür Glaube und Kirche stehen“

Landesbischof Christoph Meyns verabschiedet sich in den Ruhestand. Foto: Schulze / epd
von

Christoph Meyns tritt nach elf Jahren als Landesbischof der Landeskirche Braunschweig dankbar in den Ruhestand.

Mit einem Gottesdienst im Braunschweiger Dom verabschiedet sich Landesbischof Dr. Christoph Meyns am Sonnabend, 5. Juli (11 Uhr) in den Ruhestand. Meyns war im November 2013 von der Landessynode als Nachfolger von Prof. Dr. Friedrich Weber gewählt worden. Er hat sich als Experte für Reformprozesse in der Nordkirche hervorgetan.

In der Landeskirche Braunschweig hat er unter anderem einen „Zukunftsprozess“ angestoßen, der sich zum Ziel gesetzt hat, die evangelische Kirche im Braunschweiger Land neu aufzustellen. Um seine Nachfolge bewerben sich die Berlinerin Dr. Christina-Maria Bammel (52) und der Münchner Dr. Norbert Roth (51).

Die Wahl findet im Rahmen der Landessynode am 22. November statt. Im Oktober stellen sich beide im Braunschweiger Dom vor. Mit dem ausscheidenden Landesbischof führte Der Löwe – das Portal für das Braunschweigische ein ausführliches Interview:

Herr Meyns, mit welchen persönlichen Gefühlen gehen Sie nach einem erfüllten Arbeitsleben im Dienst der Kirche und nach elf Jahren an der Spitze der Landeskirche Braunschweig in den Ruhestand?

Ich verlasse die Landeskirche mit großer Dankbarkeit für die vergangenen elf Jahre und die vielen Begegnungen mit tollen Menschen. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits bin ich froh, die Verantwortung abgeben zu können. Andererseits war ich sehr gerne im Braunschweiger Land. Der Ruhestand ist jetzt noch einmal ein Aufbruch in eine neue Lebensphase, den ich ganz bewusst gehe und darin den Abstand zu der Rolle als Landesbischof suche.

„Wir müssen uns auch inhaltlich neu aufstellen“

Wie hinterlassen Sie die Landeskirche Braunschweig?

Seit 2010 befindet sich unsere Landeskirche in einem Prozess der andauernden Veränderung. Die große Themen lauten Rückbau, Umbau und inhaltliche Neuorientierung. Wir müssen die Strukturen ändern, aber das allein wird nicht reichen. Wir müssen uns auch inhaltlich neu aufstellen, noch einmal neu überlegen, was ist unser Auftrag als Kirche in dieser Zeit? Das Evangelium ist kein Produkt, das fertig wäre, sondern es ist die Stimme Jesu Christi, wie sie in der Bibel überliefert ist. Welche Wirkung sie bei wem entfaltet, wo das befreiende Potenzial liegt, ist ja je nach Ort und Zeit immer sehr unterschiedlich, und unsere Kultur hat sich stark verändert. Deshalb müssen wir die Kraft des Evangeliums in einer veränderten Gesellschaft neu entdecken. Diesen Prozess der Transformation in Gang zu setzen, war der Schwerpunkt meiner Tätigkeit nach innen. Er wird Jahre dauern.

Wir sprechen von einem geplanten Wandel des kirchlichen Lebens. Der hat einerseits mit sinkenden Finanzen und Personalstellen zu tun, aber noch viel mehr damit, wie wir die Personalstellen einsetzen. Denn wir erleben gleichzeitig einen Fachkräftemangel. Die Landeskirche Braunschweig ist dabei grundsätzlich gut aufgestellt. Aber natürlich muss sie weiter dranbleiben an ihren Veränderungsprozessen. Wir entwickeln uns behutsam weiter. Unser Tempo ist nicht das Allerschnellste. Aber es geht voran. Dazu habe ich elf Jahre lang gerne beigetragen.

Worin sehen Sie die Kernaufgaben in dem „Zukunftsprozess“ der Landeskirche Braunschweig?

Einerseits sagen wir, die Arbeit wird künftig multiprofessionell sein müssen, weil wir die Pfarrstellen nicht alle besetzen können. Auch ist das Leben so bunt geworden, dass es keinen Sinn macht, von einer rein pastoralen Kirche auszugehen. Die Menschen sind an sehr unterschiedlichen Orten für die Kirche erreichbar. Die Schule ist ein Ort religiöser Bildung, genauso die Kindertagesstätten. Auch die Arbeitswelt im Krankenhaus, in der Psychiatrie, im Pflegeheim, in der Justizvollzugsanstalt, bei der Polizei, dem Zoll, der Feuerwehr gehört dazu. Kirche wird pluraler werden müssen. Da habe ich mit anderen versucht, neue Ideen einzubringen und strategische Papiere beizusteuern. Das letzte Papier stammt aus dem November 2024. Es ist der strategische Rahmen für den „Zukunftsprozess“. Einiges ist schon erprobt und umgesetzt, zum Beispiel die Idee der multiprofessionellen Teams.

„Wir müssen sehen, wie wir neu in Kontakt mit Menschen kommen“

Machen Ihnen die zunehmenden Kirchenaustritte Sorgen?

Wenn man sich die Kirchenaustritte von katholischer und evangelischer Kirche seit 1953 ansieht, stellt man fest, dass die beiden Kurven parallel zueinander verlaufen. Es gibt Phasen, in denen sie hoch gehen, und es gibt Phasen, wo sie sinken. Das hängt immer mit Steuererhöhungen und Steuersenkungen der Bundesregierung zusammen. Das sind Faktoren, die wir nicht unter Kontrolle haben. Aber dahinter steckt natürlich auch eine allgemeine Entfremdung vom kirchlichen Leben. Das hat mit Traditionsabbrüchen zu tun, die bereits Ende des 18. Jahrhunderts begonnen haben. Seitdem wächst jede Generation ein bisschen weniger religiös auf als die vorherige.

Mitgliederverlust ist dazu auch ein allgemeines Phänomen. Es trifft auf Vereine Parteien und Gewerkschaften ebenso zu, und das in allen modernen Industriegesellschaften. Wir haben es mit einer veränderten Grundstruktur des Zusammenlebens zu tun. Menschen wird zunehmend fremd, wofür Glaube und Kirche stehen. Wir müssen sehen, wie wir neu in Kontakt mit Menschen kommen, vor allem mit jungen Menschen.

„Wir nehmen als Kirche auch Stellung zu gesellschaftlichen Debatten“

Hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mit ihrer Kritik recht, dass sich Kirche weniger um tagespolitische Themen kümmern sollte?

Wenn ich predige, habe ich immer einen Teil darin, der auf das alltägliche Leben Bezug nimmt. Das ist die Ebene des Existenziellen und des Persönlichen. Aber wir nehmen als Kirche auch Stellung zu gesellschaftlichen Debatten wie zum Beispiel dem assistierten Suizid. Wie stehen wir zu Sterbewünschen? Da gibt es eine seelsorgliche, aber auch eine ethische Dimension. Wie wollen wir diese Menschen begleiten? Aber auch: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Das heißt, jedes Thema hat eine individuelle und eine soziale Ebene. Wir sind nicht nur für den Einzelnen da, wir sind auch dazu da, eine evangelische Perspektive auf das Zusammenleben der Menschen einzutragen. Dabei sind Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung die drei großen Themen. Aber wir nehmen natürlich nicht zu jedem Thema Stellung. Wir äußern uns meistens auch nicht parteipolitisch.

Vor dem Hintergrund der Asyldebatte steht auch das Kirchenasyl in der Kritik.

Wir geben uns nicht damit zufrieden, dass in Folge der Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU am Ende Menschen zu Tausenden ums Leben kommen. Da stehe ich für das Kirchenasyl ein. Aber man muss es von Seiten der Kirche auch verantwortungsvoll gestalten. Viele Fälle landen in Niedersachsen am Ende bei der Härtefallkommission. Aber mir ist auch klar, dass wir uns damit in einem rechtlichen Randbereich bewegen. Ich will deswegen auch kritisch sagen: Kirchenasyl eignet sich nicht als politisches Symbol gegen die Migrationspolitik.

„Da erröte ich vor Scham“

Sie waren Sprecher im Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wie ist Stand der Aufarbeitung und wie bei der Prävention?

Das Thema beschäftigt die evangelische Kirche bereits seit 2010, als die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg, in Ahrensburg und an der Odenwaldschule bekannt wurden. Es gab in der Folge von der Bundesregierung initiierte Runde Tische zu den Themen „Heimkinder“ und „Sexueller Missbrauch von Kindern“. Daran haben sich die beiden großen Kirchen samt Diakonie und Caritas beteiligt und sind den dort entwickelten Handlungsempfehlungen gefolgt. Unter anderem haben sie Anerkennungskommissionen eingesetzt. Gleichzeitig haben wir in unserer Landeskirche mit der Präventionsarbeit angefangen. Es wurde festgestellt, dass es vor allen Dingen die Kinder- und Jugendfreizeiten sind, bei denen ein Risiko für Übergriffe besteht und haben schon damals entsprechende Präventionsmaßnahmen ergriffen.

Dann gab es 2018 ein Hearing der Bundesregierung von Betroffenen, bei dem klar wurde, dass das bis dato Geleistete nicht ausreichend war. Zu diesem Zeitpunkt bin ich in den Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland berufen worden. Seitdem sind wir weitergekommen. Wir sind nicht mehr die Gleichen, die wir 2010 waren. Wir haben jetzt 2.000 Mitarbeiter allein in der Braunschweiger Landeskirche geschult. Es werden in den nächsten zwei Jahren flächendeckend Schutzkonzepte erarbeitet und implementiert. Es wird noch in diesem Jahr eine unabhängige Aufarbeitungskommission ihre Arbeit aufnehmen. Die Anerkennungsrichtlinie wurde reformiert. Aber ich behaupte nicht, dass jetzt alles perfekt ist. Es ist kein Projekt, sondern eine Daueraufgabe. Der Umgang mit durch sexuellen Missbrauch traumatisierten Menschen bleibt herzzerreißend. Da erröte ich vor Scham, dass so etwas im kirchlichen Kontext möglich war, dass kirchliche Mitarbeiter zu Tätern wurden und damit unseren Auftrag mit Füßen getreten haben und dass früher auch die Aufsicht nicht immer gut funktioniert hat.

„Wir haben so viele Schätze“

Welche Pläne haben Sie für Ihren Ruhestand?

Wir werden in unsere alte Heimat nach Husum zurückkehren, wo wir 25 Jahre lang gelebt haben. Ich bin 1990 als Vikar nach Husum gekommen. Meine Frau war am Gymnasium in Husum tätig. Ich denke, dass ich mehr Zeit mit der Musik verbringen werde. Ich habe mir eine Tuba gekauft. Meine Frau und ich singen gern, waren Mitglieder des Kammerchors im Dom. Wir werden sicher die alten Kontakte wieder aufnehmen und uns einem Chor anschließen. Ich werde auch wieder mehr Klavier üben. Da bin ich gar nicht zu gekommen.

Was werden Sie an Braunschweig vermissen?

Ich werde die schönen Gottesdienste im Braunschweiger Dom mit der wundervollen Kirchenmusik vermissen, die großartigen Kirchen im Braunschweiger Land, vor allem aber die vielen tollen haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden, denen ich im Laufe meiner Zeit begegnet bin. Wir haben so viele Schätze. Ich werde auch den Harz, den Elm und die Asse vermissen, dort sind wir gerne und viel gewandert. Ich bin in den elf Jahren hier ein echter Fan des Braunschweiger Landes geworden. Ich weiß gar nicht, ob den Braunschweigern immer bewusst ist, wie gesegnet sie eigentlich sind und wie dankbar sie sein dürfen, in dieser Region zu leben.

Bilboard 2 (994x118 px)