Warum ein Braun­schweiger Japans größtes Zen-Kloster leitet

Der gebürtige Braunschweiger Olaf Muho leitet das größte Zen-Kloster in Japan. In der Braunschweiger Buchhandlung Graff erzählte er sehr unterhaltsam über seinen Lebensweg. Foto: Florian Arnold
Der gebürtige Braunschweiger Olaf Muho leitet das größte Zen-Kloster in Japan. In der Braunschweiger Buchhandlung Graff erzählte er sehr unterhaltsam über seinen Lebensweg. Foto: Florian Arnold

Abt Muho machte sein Abitur an der Chris­to­pho­rus­schule. Dann ging er nach Japan, um Zen-Mönch zu werden. Heute ist er Meister – und unter­haltsam.

Fernöst­liche Weisheit. Das klingt immer noch verhei­ßungs­voll. Während man die allzu­welt­li­chen Verir­rungen der christ­li­chen Kirchen sehr genau kennt und deshalb skeptisch geworden ist hinsicht­lich ihrer Heils­bot­schaften, genießen buddhis­ti­sche Meister noch einen Vertrau­ens­vor­schuss. Vielleicht hat dieses fremde Denken ja doch neue, ungeahnte Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Was man von Zen-Meistern weniger erwartet, sind Selbst­ironie, Sachlich­keit, kritische Selbst­re­fle­xion.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 01.09.2019 (Bezahl-Artikel)

Genau darum war der Auftritt des Abts des größten japani­schen Zen-Klosters Antaiji in der Braun­schweiger Buchhand­lung Graff so eine erfri­schende, Klischees durch­kreu­zende Angele­gen­heit. Angefangen von der Tatsache, dass Abt Muho nicht im fernen Osten, sondern in Braun­schweig und Tübingen aufwuchs. Wie er von einem eher schwie­rigen Schüler zum buddhis­ti­schen Weisheits­lehrer und Autor wurde, erzählte Muho, gebürtig Olaf Nölke, in seiner alten Heimat anschau­lich und mit trockenem Humor.

Seine Geschichte beginnt mit dem frühen Krebstod seiner Mutter 1974 im damaligen Gemein­de­haus von St. Magni, wo sein Großvater Johann Heinrich Wick als Pastor tätig war. Das habe dazu geführt, dass er schon als Kind viel über den Sinn des Daseins gebrütet habe, ohne zufrie­den­stel­lende Antworten zu bekommen, sagt Muho. Als Inter­nats­schüler am Braun­schweiger Chris­to­pho­rus­gym­na­sium habe ihn ein Pädagoge dann in seine Zen-Gruppe einge­laden, wo er nach anfäng­li­chem Wider­streben den Reiz des Meditie­rens entdeckt habe.

„15 Minuten mit gestrecktem Rücken schwei­gend dasitzen. Hinterher fühlte ich mich tatsäch­lich anders. Ich hatte zum ersten Mal wirklich meinen Atem gespürt, draußen den leisen Regen und den Wind wahrge­nommen.“ Blumen­wiesen oder goldene Pendel, die seine Mitschüler vor ihrem inneren Auge sahen, bemerkte er aller­dings nicht. „Da war nichts Beson­deres.“

Dennoch begann Muho, sich intensiv für Zen zu inter­es­sieren. Nach dem Abitur 1987 ging er für einige Wochen nach Japan. „Aller­dings gehörte meine Gastfa­milie zu dem einen Prozent japani­scher Christen und schwärmte vom Land Luthers. Und in den buddhis­ti­schen Klöstern von Kyoto erklärten mir die Mönche, dass sie vollauf damit beschäf­tigt seien, sich um die Anlage und die Touristen zu kümmern und keine Zeit zum Meditieren hätten.“

„Wir sind ein Kloster, keine Schule!“

Zurück in Deutsch­land studierte Muho Japano­logie und Philo­so­phie, um schließ­lich für einige Monate ins Kloster Antaiji in den Bergen westlich von Kyoto zu gehen, wo Zen noch wirklich prakti­ziert wurde, wie er gehört hatte. Trotz des harten Lebens – raue Witterung, frühmor­gens zwei Stunden meditieren, tagsüber in Garten, Wald oder Küche arbeiten, abends wieder Medita­tion – kehrte er nach dem Studium zurück und wurde als Mönch aufge­nommen. Auf die Frage, wie er Zen-Meister werden könne, habe der damalige Abt aller­dings geant­wortet: „Wir sind ein Kloster, keine Schule. Du musst Antaiji selbst erschaffen!“

Hm. Auch seinen Mönchs­namen durfte der Neue selbst wählen. Mitbrüder hätten sich für Namen wie „Die Wolke des Mitge­fühls“ oder „Tiefe Gelas­sen­heit“ entschieden. „Sie wurden dem offen­sicht­lich nicht immer gerecht und litten unter der Last des Namens“, erzählt Muho. Sein Name dagegen bedeute lediglich: „keine Richtung“.

„Mit dem Zölibat habe ich es nicht so genau genommen“

Nach acht Jahren wurde er zum Meister geweiht und zog weiter nach Osaka. Dort habe er mit Obdach­losen im Schloss­park gelebt und Medita­tion angeboten. „In Antaiji war ich von morgens bis abends von den Kloster­brü­dern herum­ge­scheucht worden. Hier fühlte ich mich so gut und frei wie noch nie.“ Mit der Zeit kamen Schüler – eine von ihnen wurde seine Ehefrau. „Wie viele Zen-Mönche habe ich es mit dem Zölibat nicht so streng genommen.“

Nach glück­li­chen andert­halb Jahren erreichte ihn die Nachricht, dass der Abt von Antaiji beim Schnee­räumen verun­glückt sei. Bei der Beerdi­gung besprach man, wer das Kloster nun führen könne. Von den anderen Meistern hatte einer ein Hüftleiden, ein anderer gerade gehei­ratet, der dritte einen anderen Tempel übernommen – „und der vierte war nicht gekommen“. Um es kurz zu machen: Muho wurde der neue Abt.

Warum Zen wie Gurken­pflanzen ist

Fast 18 Jahre leite er das Kloster nun. Rund 20 Schüler habe er derzeit, etwa die Hälfte Japaner, die andere Westler. Ein idealer Zen-Schüler, erklärte Muho, sei wie eine Gurke: Man lege ihr einen Faden ins Erdreich, an dem sie von selbst empor­wachse. Japani­sche Schüler aber seien eher wie Tomaten: „Sie brauchen viel Zuwendung und ein stabiles Gerüst.“ Westliche Schüler dagegen glichen Kürbissen: „Sie kommen allein zurecht, nehmen sich aber viel Raum.“ Fazit: „Man muss lange warten, bis endlich eine Gurke wächst.“

Nun aber meint Muho, eine Nachfol­gerin gefunden zu haben. Bald will er das Kloster gen Osaka verlassen, um weitere Bücher zu schreiben und Vorträge zu halten, auch seiner Frau und den drei Kindern zuliebe – die mit Zen nichts am Hut hätten.

Und der Sinn des Lebens? Hat er ihn gefunden? „Der Sinn des Lebens ist gar nicht versteckt, sondern offen­sicht­lich. Das Leben selbst ist der Sinn. Aller­dings habe ich das nicht erkannt, weil man dazu ganz auf den gegen­wär­tigen Moment konzen­triert sein muss. Und heute brauche ich eigent­lich keinen Sinn mehr.“

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