Der Mann fürs Faktische: Theater­ma­cher Gilbert Holzgang

Seine Wohnung hängt voller Bilder: Gilbert Holzgang vor einem Selbstporträt des Malers Gustav Lehmann, der ein Freund Galka Scheyers war. Foto: Andreas Berger

Gilbert Holzgang hat sich mit Dokumen­tar­theater in Braun­schweig einen Namen gemacht. Jetzt gab’s das Landes­ver­dienst­kreuz.

Seine Wohnung ist voller Bilder. Viel Im- und Expres­sio­nismus, auch ein paar Gemälde der aus Braun­schweig stammenden Malerin Galka Scheyer, der er zu neuer Popula­rität verhalf. Gilbert Holzgang hat ihr zwei Stücke gewidmet, die er mit dem von ihm gegrün­deten Theater Zeitraum aufge­führt hat. Gerade hat er den Text einer 350-seitigen Biografie abgeschlossen, die vor Weihnachten erscheinen soll. Das Landes­ver­dienst­kreuz, das er Ende April erhielt, war auch eine Würdigung seiner Forschungen rund um die 1889 in Braun­schweig geborene und 1945 in Hollywood gestor­bene Künst­lerin, die bis dahin vor allem als Impre­sario der „Blauen Vier“, des expres­sio­nis­ti­schen Maler-Quartetts Kandinsky, Feininger, Jawlensky, Klee, bekannt war.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Bezahl­ar­tikel ist zuerst erschienen am 3.5.2023

„Als ich den offizi­ellen Brief vom Land erhielt, dachte ich zunächst, da sei eine Mahnung drin, weil ich irgend­einen Fehler beim Verwen­dungs­nach­weis einer Publi­ka­tion aus dem Staats­ar­chiv gemacht habe“, sagt Holzgang bei unserem Gespräch. Zweite Reaktion: „Fühlt sich wie 19. Jahrhun­dert an, so alt bin ich doch gar nicht.“ Aber als er die Liste anderer Preis­träger las, fühlte er sich doch geehrt, es ginge immer um bürger­li­ches, soziales Engage­ment.

Recher­chen zur Nazi-Zeit: Täter, Mitläufer, Opfer

Da passt er als Theater­ma­cher durchaus rein. Zumal er, der gebürtige Schweizer, mit seinen akribi­schen Archiv­for­schungen den Menschen der Region immer auch etwas über ihre eigene Geschichte nahege­bracht hat. Denn seine erste eigene Insze­nie­rung in Braun­schweig war 1997 „Deutsche Karrieren“, eine erwei­terte Lesung aus Briefen des Braun­schweiger Bürger­tums mit erschre­ckenden Konti­nui­täten aus der Weimarer in die Nazi-Zeit. Oft spielte auch der Ort mit: Wenn man auf dem Dachboden der leeren Flughafen-Kaserne über die Verstri­ckungen der Wehrmacht in Nazi-Verbre­chen erfuhr.

„Ich war natürlich immer sehr politisch inter­es­siert. Das war genau die Zeit mit der umstrit­tenen Wehrmachts­aus­stel­lung. Der ganze Komplex von Tätern, Mitläu­fern und Opfern in der NS-Zeit zeigte ja auch, wie Gesell­schaft funktio­niert, das war schon sehr erhellend und oft auch erschre­ckend“, sagt Holzgang. Sein Marken­zei­chen: Alles beruhte auf Akten­basis. Gespro­chen und meist auch schlichtweg vorge­lesen wurde nur, was er in Dokumenten wie Briefen, Tagebü­chern, Akten gefunden hatte.

Oberbür­ger­meister Thorsten Kornblum zeichnete Gilbert Holzgang Ende April mit dem Verdienst­kreuz am Bande des Nieder­säch­si­schen Verdienst­or­dens aus. Foto: Darius Simka/regios24

Ausbil­dung in Japans Nô-Theater

Ein Rolf Hochhuth hätte Stücke mit erfun­denen Szenen und Charak­teren daraus gemacht. „Dazu fehlte mir die schrift­stel­le­ri­sche Ambition, vielleicht auch Fantasie. Ich fand immer, dass die wirkli­chen Dokumente selbst am deutlichsten sprechen.“

Und auch große Insze­nie­rungen mit Bewegung, Kulissen, Agieren hat er nicht angestrebt. Dabei kommt er aus genau der gegen­tei­ligen Tradition: Es war Studen­ten­theater und Ausdrucks­tanz, was den jungen Rechts- und Wirtschafts­stu­denten am Uni-Leben faszi­nierte. Als Schau­spieler lebte er 1978 drei Jahre mit einer freien Theater­gruppe in Rom, die vor allem auf Bewegung setzte und dabei indische, baline­si­sche und südame­ri­ka­ni­sche Tanzformen integrierte. In Japan eignete er sich auf einer Fortbil­dung etwa die Techniken des Nô-Theaters an.

Hospitanz an der Berliner Schau­bühne

Gerade dort sei ihm aber auch die Bedeutung des Textes wieder klar geworden, und so fühlte er sich als Hospitant und Statist an der Berliner Schau­bühne bei Peter Stein und Klaus Michael Grüber auch „im Olymp“, wie er sagt. „Aber da konnte man nichts werden, eine Hilfs­kraft wie ich wurde kaum beachtet, ich war sogar zu unbedeu­tend zum Angeschrien­werden, und das kam da sonst oft genug vor“, erinnert sich Holzgang.

Er fand einen Job als Lehrer für Körper­be­wusst­sein und Bewegung an einer Münchner Schau­spiel­schule, unter­rich­tete Taichi und Akrobatik und landete als Dramaturg am Theater­haus Stuttgart. „Hier lernte ich die kreativen Köpfe kennen, die kurz darauf in Braun­schweig das freie Theater ‚La Otra Orilla’ gründeten (heute LOT-Theater). Ich zog mit, half beim Einreißen der Wände in der ehema­ligen Autowerk­statt genauso wie bei der Öffent­lich­keits­ar­beit und machte die ersten Dokumen­tar­stücke“, erzählt Holzgang.

Mitbe­gründer des LOT-Theaters

Seit 2000 hat er dafür das Theater Zeitraum gegründet, das projekt­weise arbeitet. „Ich habe nie Anträge auf Konti­nui­täts­för­de­rung gestellt, weil ich nicht vorher wusste, welches Projekt mich in zwei Jahren inter­es­sieren würde“, sagt der Theater­ma­cher. Also lieber jedes Mal neue Förder­an­träge schreiben. „Ich bin froh, dass mich gerade das Kultur­in­stitut der Stadt und die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz immer wieder unter­stützt haben. So konnte ich eigent­lich immer mit dem, was ich gern machen wollte, mein Leben fristen.“

Froh ist er auch, dass er dann die Kurve zum Thema Kunst bekommen hat. „Ich habe im Biogra­fi­schen Lexikon der Stadt geblät­tert und blieb hängen an dem kurzen Eintrag zum Maler Götz von Secken­dorff, der 1914 in Frank­reich gefallen war. Der Brief­be­stand sei im Famili­en­be­sitz, hieß es, und so fing meine Recherche an“, erinnert sich Holzgang.

Gründer des Galka-Scheyer-Zentrums

Tatsäch­lich hätte er das Nazi-Thema ungern weiter­be­ar­beitet. „Das ist auf Dauer so depri­mie­rend. Diese schreck­li­chen Goebbels-Tagebü­cher durch­forsten, nur für ein kleines Zitat, das du brauchst. Oder in der Natio­nal­bi­blio­thek in Berlin bekam ich die Ereig­nis­pro­to­kolle der Einsatz­gruppen aus SS, Ordnungs­po­lizei und Wehrmacht gleich wasch­kör­be­weise hinge­stellt. Nach zwei Tagen hast du genug von diesem Nazi-Jargon, und es geht um die grausamsten Massaker!“

Mit dem Maler Secken­dorff ging die Kunstwelt für ihn auf. Und sein Ruf als akribi­scher Recher­cheur schuf Vertrauen, so dass etwa die Stadt ein Stück über das Braun­schweiger Sammler-Ehepaar Otto und Käthe Ralfs bei ihm anregte. Galka Scheyer kam da nur am Rande vor, trat ihm erst durch eine Buchre­zen­sion ins Bewusst­sein. Und nun ist er selbst ihr Biograf geworden. Ist Vorsit­zender des Galka-Scheyer-Zentrums. Ist Berater für die 2024 im Städti­schen Museum statt­fin­dende Ausstel­lung. Wird ein Solostück für Kathrin Reinhardt über sie schreiben. „Der Fokus liegt dann ganz auf ihr, nicht mehr so sehr auf den Malern der Blauen Vier. Ich habe neue Texte gefunden, Tagebü­cher aus den letzten Jahren ihrer Krebs­er­kran­kung, in die sie Ausschnitte aus ganz frühen Tagebü­chern einge­klebt hat, weil sie die anderen vernichten wollte. Das wird also nochmal neuer Stoff auch fürs Publikum.“

Täglich eine Stunde Bach am Klavier

Die regionale Spuren­suche habe er nie als Begren­zung empfunden, betont Holzgang. „Das hat sich immer schnell in die Reichs­po­litik, in die Weltpo­litik geweitet“, sagt der Theater­ma­cher. In der augen­blick­li­chen Weltlage wisse er aber noch gar nicht, mit welchem Text er weiter­ma­chen soll. „Eine griechi­sche Tragödie? Samuel Beckett? Dass sich das Furcht­bare immer wieder­holt, auch Aufklä­rung keine rechten Fortschritte bringt, ist frustrie­rend zu sehen“, sagt der 73-Jährige.

Aber arbeiten will er weiterhin. Mindes­tens sechs Stunden jeden Tag. Unter­bro­chen von Spazier­gängen und einer Stunde Klavier­spiel, Bach und Brahms. Reisen, anderes Theater – es fehle ihm zurzeit gar nicht. Aber begeis­tert erzählt er von der Oper „Dog Days“ im Staats­theater – „das Stück zur Zeit, die größte Entde­ckung der letzten Jahre!“

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