Despo­ti­sche Willkür­herr­schaft endete in Schloss­brand

Schlossbrand 1830. Foto: Archiv Biegel
Schlossbrand 1830. Foto: Archiv Biegel

Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 34: Herzog Karl II. legte sich mit Adel, Militär, Beamten­schaft und seinem Volk an.

Die Revolu­tion 1848 sorgte in vielen deutschen Fürsten­tü­mern für Aufstände und Ausein­an­der­set­zungen. Dass es in Braun­schweig verhält­nis­mäßig ruhig blieb, lag an den Ereig­nissen von 1830, die zum Sturz des unbeliebten Landes­herrn, Herzog Karl II., geführt hatten. Sein Bruder, Herzog Wilhelm, hatte die Erwar­tungen an einen zeitge­mäßen Libera­lismus – wie er durch die Unruhen und Kämpfe in Baden, Frankfurt, Berlin oder Wien einge­for­dert werden sollte – im Herzogtum Braun­schweig bereits reali­siert. Will man Braun­schweig während der unruhigen Zeiten von 1848/49 betrachten, darf man die Revolu­tion von 1830 und ihre Vorge­schichte nicht außer Acht lassen.

Frühe Zweifel

Nach dem Tod von Herzog Friedrich Wilhelm (1771 – 1815) in der Schlacht bei Quatrebras am 16. Juni 1815 übernahm der Prinz­re­gent und spätere König Georg IV. von England die Vormund­schaft über seine beiden noch unmün­digen Neffen Karl und Wilhelm, die Söhne des „Schwarzen Herzogs“. Gleich­zeitig führte er die Regent­schaft im Herzogtum Braun­schweig für den gerade elf Jahre alten Thron­folger. Herzog Karl II. war am Londoner Hof groß geworden, jedoch zeichnen bereits die wenigen Nachrichten aus Kindheit und Jugend ein eher negatives Charak­ter­bild des Erbprinzen. Ein unbän­diger Trotz und jeglicher Mangel an Selbst­be­herr­schung ließen neben fehlendem Verant­wor­tungs­ge­fühl erheb­liche Zweifel an der für die Übernahme der Regie­rungs­ver­ant­wor­tung erfor­der­li­chen Reife entstehen.

Aus diesem Grunde sollte die Volljäh­rig­keit durch den engli­schen Vormund hinaus­ge­zö­gert werden. Eine Kompro­miss­lö­sung hinsicht­lich Volljäh­rig­keit und Thron­frage kam schließ­lich von Clemens Wenzel Fürst von Metter­nich (1773 – 1859), der bereits die Verschie­bung der Volljäh­rig­keit als bedenk­liche Abwei­chung vom legitimen Recht bewertet hatte. So sollte Karl II. mit 19 Jahren für volljährig erklärt werden und formell die Regierung antreten, tatsäch­lich jedoch erst 1826. Die drei Jahre sollte er sich überwie­gend auf Reisen im Ausland aufhalten. Die Regie­rungs­ge­schäfte in Braun­schweig führte weiterhin in enger Abstim­mung mit Hannover das Geheim­rats­kol­le­gium, dem nun aber das schon zuvor einfluss­reichste Mitglied, Justus Schmidt-Phisel­deck (1769 – 1851), vorstand.

Unbere­chen­barer Herzog

Herzog Karl II. Foto: Archiv Biegel
Herzog Karl II. Foto: Archiv Biegel

Hatte der 30. Oktober 1823 (Geburtstag des Herzogs) also keinen wesent­li­chen Einschnitt in der Politik des Herzog­tums gebracht, so änderte sich diese Situation schlag­artig, als Karl II. im Frühjahr 1826 auch faktisch die Regierung in Braun­schweig übernahm. In jeder Hinsicht entwi­ckelten sich schnell politi­sche Konflikte, die einmal mehr die Unbere­chen­bar­keit des jungen Herzogs bestä­tigten. Er stellte die Gültig­keit der während der Vormund­schaft erlas­senen Gesetze und Verord­nungen in Frage. Damit war der Konflikt mit dem die Regie­rungs­ge­schäfte führenden Geheim­rats­kol­le­gium vorpro­gram­miert.

Karl II. erschüt­terte nicht zuletzt mit seiner Perso­nal­po­litik die Loyalität des grund­be­sit­zenden Adels, der reichen Bauern und der führenden bürger­li­chen Gesell­schafts­schicht massiv. Seine geradezu despo­ti­sche Willkür­herr­schaft, Eingriffe in das Finanz- und Justiz­wesen sowie die öffent­lich kriti­sierte Verschwen­dungs­sucht belas­teten zunehmend das ohnehin zwiespäl­tige Verhältnis des Herzogs zum Adel, Militär und der führenden Beamten­schaft. Damit war der Boden bereitet, der zur Eskala­tion der Ereig­nisse im September 1830 führen sollte.

Wirtschaft­liche Not

Aller­dings war dies nur eine Seite der Entwick­lung. Hinzu kam die wirtschaft­liche Notlage, die vor allen Dingen die unteren Schichten des Volkes besonders empfind­lich traf. Preis­stei­ge­rung, die schlechte Ernte im Jahr 1830, wachsende Arbeits­lo­sig­keit und Furcht vor einer drohenden Hungersnot im folgenden Winter schufen ein soziales Spannungs­po­ten­tial, das die Regierung norma­ler­weise zum Handeln hätte zwingen müssen. Bereits im Februar 1830 hatte der Braun­schweiger Magis­trats­di­rektor Wilhelm Bode vermerkt, dass vor allem die unteren Schichten der Bevöl­ke­rung unter Teuerung und zuneh­mender Arbeits­lo­sig­keit zu leiden hätten.

Proteste richteten sich gegen den Herzog. Als er am Abend des 6. September 1830 das Hoftheater verließ. Proteste beglei­teten ihn, und Steine flogen gegen den davon­ra­senden Wagen. Die Menge aber zog weiter zum Schloss­platz mit Forde­rungen nach „Brot und Arbeit“. Die Reaktion Karls II. auf diese Proteste bestand in einer deutli­chen Demons­tra­tion militä­ri­scher Macht, indem er die ganze Garnison vor dem Schloss aufmar­schieren und Kanonen vor der Aegidi­en­ka­serne auffahren ließ. Die Unruhe unter der Bevöl­ke­rung hielt unter solchen Vorzei­chen auch am nächsten Tag an, immer mehr Menschen versam­melten sich gegen Abend vor dem Schloss am Bohlweg.

Plünde­rungen im Schloss

Es kam zur Plünde­rung des Schlosses, aber das Militär unter dem Kommando des Generals August von Herzberg (1779 – 1838) hielt sich sichtbar zurück, und die Unruhen hielten die ganze Nacht über an. Im weiteren Verlauf reagierte nun die neu aufge­stellte Bürger­garde unter ihrem Komman­deur, dem Bankier Ludwig Löbbecke (1778 – 1852), und seinem Adjutanten, dem Verleger Eduard Vieweg (1796 – 1869), so dass am nächsten Tag innerhalb kurzer Zeit die Ordnung äußerlich weitge­hend wieder­her­ge­stellt werden konnte.

Ein zeitge­nös­si­scher Zeitungs­be­richt schil­derte die Situation am 7. September 1830 folgen­der­maßen: „Die Bürger traten mit Piken und Säbeln auf, jedoch in zu geringer Zahl, um die Schritte der Missver­gnügten zu hemmen. Es kam zu Tätlich­keiten, die Bürger­wacht wurde ausein­an­der­ge­worfen und löste sich demzu­folge für diesen Tag auf. Nach neun Uhr, als des Herzogs Flucht bekannt wurde, drangen mehrere hundert Menschen durch den Schloss­garten in das Innere des Schlosses, und während ein Haufen sich mit dem Militär schlug, welches einige Chargen auf diesen Haufen gab, zündete eine andere bedeu­tende Schar das Schloss an. Die Flammen wüteten gleich überall, und in wenigen Stunden hatten wir das fürch­ter­liche Schau­spiel eines Glutmeers vor uns“.

Keine Verschwö­rung

Herzog Karl II. war vertrieben und die Revolu­tion in Braun­schweig 1830 also zunächst erfolg­reich, zumindest aus der Sicht von Adel, Bürgertum und Beamten­schaft. Aller­dings wäre es falsch, vor diesem Hinter­grund die lange gültige These bestätigt zu sehen, dass der Braun­schweiger Aufstand das Ergebnis einer geschickt insze­nierten, planmäßig durch­ge­führten Verschwö­rung von Adel, Bürgertum und Militär gewesen sei. Vielmehr trieb die Enttäu­schung über die nicht erfüllten Erwar­tungen sozialer und wirtschaft­li­cher Hilfs­maß­nahmen die unteren Schichten in den Protest.

Das Bürgertum aber ließ am Abend des 7. September 1830 den Ereig­nissen „mit klamm­heim­li­cher Freude“ ihren revolu­tio­nären Lauf, eine Folge des vorhe­rigen Verhal­tens von Herzog Karl II. gegenüber der führenden Oberschicht. Das entstan­dene Macht­va­kuum in der Haupt­stadt nach der Flucht des Herzogs füllte der Magistrat aus, an eine Fortset­zung der revolu­tio­nären Unruhen oder gar einen Sturz der Monarchie war zu keiner Zeit gedacht.

Diplo­ma­ti­sches Geschick

Bereits am 10. September traf der Bruder von Karl II., Herzog Wilhelm, in Braun­schweig ein und wurde begeis­tert empfangen. Er billigte die bereits vom Magistrat getrof­fenen Entschei­dungen und legiti­mierte sie damit gleichsam. Maßgebend für den Fortgang der Ereig­nisse waren Magis­trats­di­rektor Wilhelm Bode, Wilhelm von Schle­i­nitz und Werner Graf von Veltheim, deren diplo­ma­ti­schem Geschick es auch zu verdanken war, dass kein militä­ri­sches Eingreifen durch Mitglieds­staaten des Deutschen Bundes – etwa Hannover oder Preußen – erfolgte. Diese Gefahr war keines­wegs gering, war doch die „Ungeheu­er­lich­keit“ in Braun­schweig geschehen, dass der legitime Herrscher vom Thron gejagt worden war.

Schließ­lich entschied der Deutsche Bund zugunsten von Herzog Wilhelm, der am 20. April 1831 offiziell die Regierung im Herzogtum Braun­schweig antreten konnte. Mit der 1832 geschaf­fenen „Landschafts­ord­nung“ besaß schließ­lich das Herzogtum eine liberale Verfas­sung, die es als Konsti­tu­tio­nelle Monarchie auswies und zugleich Elemente enthielt, die die Grundlage boten, die kritische Zeit 1848 weitge­hend problemlos zu überstehen.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Wider­stand gegen den Despoten

    Wider­stand gegen den Despoten

    Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 4: Braun­schweiger Bürger­brannten das Schloss nieder und vertrieben Karl II. Mit Karl II. ist das Bild des brennenden Residenz­schlosses 1830 in Braun­schweig und die Vertrei­bung eines Herzogs verbunden. Geradezu legen­den­haft hält sich die Überlie­fe­rung, die Braun­schweiger hätten sich in demokra­ti­schem Bewusst­sein ihrer Monarchie entledigt. Weiterlesen

  • Eine liberale Verfas­sung für das Herzogtum

    Eine liberale Verfas­sung für das Herzogtum

    Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 24: Herzog Wilhelm erließ 1832 die „Neue Landschafts­ord­nung“. Als in der Revolu­tion vom 7. September 1830, in der auch das Braun­schweiger Residenz­schloss, der Graue Hof, in Flammen aufging, der regie­rende Herzog Karl II. – ein Despot – gestürzt wurde, endete in Braun­schweig keines­wegs die Monarchie. Es war vielmehr der Wunsch… Weiterlesen

  • Immer wieder Streit um die Residenz am Bohlweg

    Immer wieder Streit um die Residenz am Bohlweg

    Elf Fachvorträge zu „Stadt und Schloss – eine (Braunschweiger) Beziehungsgeschichte“ am 7. und 8. November im Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte. Weiterlesen