Braun­schweig: Wie die alte 102 große Geschichte schrieb

Die Straßenbahn 102, Baujahr 1929, auf ihrer Fahrt im Jahr 1963 über die Kastanienallee in Richtung Richmond. Foto: Stiftung Eisenbahnarchiv
Die Straßenbahn 102, Baujahr 1929, auf ihrer Fahrt im Jahr 1963 über die Kastanienallee in Richtung Richmond. Foto: Stiftung Eisenbahnarchiv

Wissen­schaftler der Techni­schen Hochschule nutzen die Straßen­bahn einst für bis heute bedeu­tende Grund­la­gen­for­schung.

123 Jahre Straßen­bahn-Geschichte in Braun­schweig sorgt für unzählige Facetten. Doch dass eine Braun­schweiger Straßen­bahn die moderne Eisenbahn-Technik maßgeb­lich beein­flusst hat – das ist neu. Es geht um die alte 102.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 13.11.2020 (Bezahl-Artikel)

Der Zufall sorgte dafür, dass auch dieses Kapitel der Verkehrs­ge­schichte erzählt werden kann. Denn reiner Zufall war es, dass ein Foto der alten 102 Aufnahme fand im Kalender „Unser Braun­schweig in den 50er und 60er Jahren“ . Das Foto zeigt den Trieb­wagen auf der Linie 8, wie es über die Kasta­ni­en­allee in Richtung Richmond ging. Die Linie 8 ist Geschichte, ebenso die Schienen auf der Kasta­ni­en­allee.

Die 102 war im Dienst der Wissen­schaft unterwegs

Und auch die 102, sie wurde im Jahr 1929 gebaut, ist natürlich längst nicht mehr. Doch anders als ihre Schwester-Fahrzeuge wurde sie Mitte der 60er Jahre nicht etwa verschrottet oder ging ins Museum, sondern war im Dienst der Wissen­schaft weiterhin im Stadt­ge­biet unterwegs. Daran erinnert sich Leser Fritz Frederich, der durch Zufall das Foto im Kalender entdeckte.

Denn Frederich war im Jahr 1966 als wissen­schaft­li­cher Assistent dabei, als am Institut für Fahrzeug­technik der Techni­schen Hochschule, so hieß die TU damals noch, die 102 mit Messtechnik ausge­stattet wurde. Eine zusätz­liche Achse wurde in der 102 zum Beispiel verbaut. Grund: „In Hunderten von Messfahrten wurden die Vorgänge zwischen Rad und Schiene unter­sucht. Die Physik des Rad/Fahr­bahn-Kontaktes spielt, wie alle Autofahrer wissen, für Anfahren, Bremsen und Sicher­heit eine entschei­dende Rolle. So auch bei der Eisenbahn.“

Grund­lagen-Forschung mitten in Braun­schweig. Es existiert zumindest ein Foto bei Braun­schweigs Straßen­bahn-Enthu­si­asten, das die umgerüs­tete Forschungs-Straßen­bahn zeigt. Es kann aber nicht veröf­fent­licht werden, weil unklar ist, wer die Rechte am Foto hält.

Name der Ur-Oma: Trieb­wagen 102 auf Linie 8

Die Erkennt­nisse, die während der Testfahrten mit der 102 im Stadt­ge­biet gewonnen wurden, kamen freilich erst Anfang der 80er Jahre zum Tragen. Die Rheinisch-Westfä­li­sche Techni­sche Hochschule Aachen erhielt den Auftrag, einer der fünf Vorserien-Lokomo­tiven der Deutschen Bundes­bahn das Ziehen schwerer Güterzüge und die Beför­de­rung schneller Reisezüge „beizu­bringen“, so Frederich, der damals Professor in Aachen war. Resultat: „Mit der Elektro-Lokomo­tive Baureihe 120 entstand die erste funktio­nie­rende thyris­tor­ge­re­gelte Allzweck-Hochleis­tungs-Lokomo­tive der Welt.“

Wie bahnbre­chend die Forschung im Stadt­ge­biet und zukunfts­wei­send die Entwick­lung damals waren, beweist der Umstand: Erst vor wenigen Monaten wurden die letzten Elektro-Lokomo­tiven der Baureihe 120 von der Deutschen Bahn ausge­mus­tert.

Frederich sagt: „Alle heutigen Elektro-Lokomo­tiven weltweit sind erfolg­reiche Weiter­ent­wick­lungen. Name der Ur-Oma: Trieb­wagen 102 auf Linie 8.“

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 13.11.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article230903726/Braunschweig-Wie-die-alte-102-grosse-Geschichte-schrieb.html (Bezahl-Artikel)

Das könnte Sie auch interessieren