Braun­schweigs Kultur­be­triebe nach Corona

Diskussionsrunde über die Erholung der lokalen Kultur nach Corona. Von links: Anikó Glogowski-Merten (FDP), Jochen Leyhe (Naumann-Stiftung), Brunhilde Frye-Grunwald (SBK) und Thomas Hirche (KULT). Foto: Peter Sierigk/FMN

Die Angst vor Kürzung von Förder­gel­dern, verän­dertes Besucher­ver­halten und Kritik am neuen Kulturrat der Stadt: Kultur­schaf­fende disku­tieren.

Die Zeit der Corona-Maßnahmen mit Kontakt­verbot und Veran­stal­tungs­ver­boten, sie ist zum Glück längst vorbei. Doch die Auswir­kungen sind in der Kultur­wirt­schaft von Braun­schweig noch immer zu spüren. Zu einer Diskus­sions-Matinee im KULT-Theater haben sich deshalb einige Kultur­schaf­fende aus Braun­schweig auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung getroffen. Auf dem Podium: Verant­wort­liche und Betrof­fene.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Plus-Artikel ist zuerst erschienen am 29.10.2023

„Es ist nicht wieder alles normal“, sagte Anikó Glogowski-Merten, Bundes­tags­ab­ge­ord­nete und Ratsfrau der FDP. Die Kultur­wis­sen­schaft­lerin sitzt für die Freien Demokraten im Kultur­aus­schuss des Bundes­tages. „Kultur­ver­an­stalter berichten mir, dass sie auch nach der Pandemie nicht mehr langfristig planen können“, sagte sie. Noch immer sei die Angst vor leeren Sälen zu groß, weshalb viele das finan­zi­elle Risiko großer Veran­stal­tungen fürchten. „Es hat sich auch gezeigt, dass die Menschen noch immer lieber zu Open-Air-Veran­stal­tungen statt zu Indoor-Veran­stal­tungen gehen wollen“, sagte Glogowski-Merten. Das Publikum kaufe Tickets immer kurzfris­tiger.

Zudem sei bei den Jugend­li­chen, die während der Pandemie zwischen 14 und 16 Jahre alt waren, eine Genera­tion heran­ge­wachsen, die nicht mit Kultur­ver­an­stal­tungen aufge­wachsen sei. „Sie müssen erst an die Schönheit von Kultur heran­ge­führt werden.“ Die Bundes­re­gie­rung hat in diesem Jahr mit dem „Kultur­pass“ ein Förder­pro­gramm aufgelegt. Damit bekommen 18-Jährige einmalig einen Gutschein von 200 Euro für Konzert‑, Theater­ti­ckets und Co. Zudem gebe es nun einen bundes­weiten Amateur­mu­si­k­er­fonds, etwa für Chöre, die besonders unter der Pandemie gelitten haben, und einen Musik­fes­ti­val­fonds.

Förder­gelder für Braun­schweiger Kultur­wirt­schaft drohen einzu­bre­chen

Elke Flake, Kultur­be­ra­terin und Grünen-Ratsfrau, kriti­sierte, dass Bund und Land nach der geglückten Kultur­för­de­rung in der Pandemie, die viele Künstler und Veran­stalter gerettet habe, nun ihren Kultur­haus­halt kürzen wollen. Glogowski-Merten verwies auf laufende Haushalts­ver­hand­lungen im Bund. Es deute sich an, dass der Kultur­etat auf das Vor-Corona-Niveau zurück­gehen werde. Schwerer wiegt da, dass das Land Nieder­sachsen offenbar plant, 10 Prozent bei den Ausgaben für Kultur zu kürzen, denn Kultur­po­litik ist haupt­säch­lich Länder­sache.

Auch Brunhilde Frye-Grunwald, stell­ver­tre­tende Direk­torin der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz (SBK), räumte ein, dass die Sonder­pro­gramme der Stiftung eventuell auslaufen werden, der Förder­pott im regio­nalen Bereich des Landes Nieder­sachsen werde vermut­lich nicht ansteigen. Die Stiftung, die sich aus ihren Besitz­tü­mern, unter anderem mehreren tausend Hektar Wald und landwirt­schaft­li­cher Flächen, finan­ziert, treffen die Kosten­stei­ge­rungen, unter anderem bei Energie- und Perso­nal­kosten. „Die Förde­rungen können deshalb nicht auf Vor-Corona-Niveau zurück­kehren“, so Frye-Grunwald.

Miriam Paul, Inhaberin des Figuren­thea­ters Faden­schein, bemerkte, dass die Wertschät­zung von Kultur als Lebens­un­ter­halt in der Gesell­schaft oft nicht vorhanden sei: „Theater macht bestimmt Spaß, und was machen Sie beruflich?“, zitierte sie eine häufige Frage, die sich Kultur­schaf­fende anhören müssten. Auf der Bühne zu stehen, mache jedoch den kleinsten Teil der Arbeit von Kultur­schaf­fenden aus. „Die meiste Zeit geht für Organi­sa­tion und Vorbe­rei­tung drauf.“ Während der Pandemie habe eine „Recher­che­för­de­rung“ im Rahmen des Bundes­pro­gramms „Neustart Kultur“ gegeben. Diese beizu­be­halten, wäre sinnvoll gewesen, so Paul. „Die Zeit, die ich mit Recherche für neue Theater­stücke verbringe, kann ich nicht auf der Bühne stehen und Geld verdienen“, sagte Paul.

Kritik an neuem Kulturrat der Stadt Braun­schweig

Thomas Hirche, Inhaber des KULT-Theaters, verglich die Verhält­nisse mit dem Mittel­alter: „Wir sind die Narren, die durchs Land tingeln und für Brotkrumen singen. Wer nicht singen kann, der bekommt auch nichts zu essen“. Der Veran­stalter und Schau­spieler kriti­sierte, Anträge und die staat­li­chen Struk­turen zu kennen, an die man sich wenden muss, sei noch immer kompli­ziert und umständ­lich.

Kritik gab es auch an der Stadt Braun­schweig: Sie hat einen „Kulturrat“ gegründet, durch den die Kultur­schaf­fenden ihre gemein­samen Inter­essen gegenüber dem Rat der Stadt und der Stadt­ver­wal­tung deutlich machen können sollen. Jedoch sei vor der Konsti­tu­ie­rung des Kultur­rats am 12. Oktober lediglich ein kleiner Teil der Braun­schweiger Kultur­szene kontak­tiert worden. Dies habe die Stadt mit Daten­schutz gerecht­fer­tigt. Auch habe die Sitzung an einem Donners­tag­vor­mittag, während der Arbeits­zeit vieler Kultur­schaf­fender, statt­ge­funden. „Es wurde von vornherein bestimmt, wer Kultur ist und wer nicht, der Rat deckt nicht die Kultur­szene der Stadt ab“, kriti­siert deshalb Glogowski-Merten. Am 22. Januar findet die nächste Sitzung des Kultur­rates statt, bei dem ein Vorstand gewählt werden soll.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Bezahl­ar­tikel ist zuerst erschienen am 29.10.2023 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article239907359/Braunschweigs-Kulturbetriebe-nach-Corona-Alles-gut-Von-wegen.html

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