Das Glück der Bildung

Anna Amalia, gemalt von Johann Georg Ziesenis, zu sehen im Schlossmuseum Braunschweig. Foto: Schlossmuseum Braunschweig
Anna Amalia, gemalt von Johann Georg Ziesenis, zu sehen im Schlossmuseum Braunschweig. Foto: Schlossmuseum Braunschweig

Folge 3 der Reihe „Schick­sale am einstigen Braun­schweiger Hof“: Anna Amalia prägte Weimar und vergaß Braun­schweig nie.

Im Oktober 1739 wurde Anna Amalia als Prinzessin von Braun­schweig-Wolfen­büttel geboren. Ihr Lebens­ziel war eine Verhei­ra­tung, die ihrer Familie nutzte – eine Wahl hatte sie nicht. Es war eine Zeit, in der Ehen „per procu­ra­tionem“ geschlossen werden konnten und die Anwesen­heit der Braut damit ebenso überflüssig war wie ihre Zustim­mung. Nicht selten blieben Frauen ihr gesamtes Leben ohne Mitsprache und Einfluss. Dennoch gelang es einzelnen Persön­lich­keiten, aus dieser Rolle auszu­bre­chen. Im Geburts­jahr Anna Amalias traf beispiels­weise ein zehnjäh­riges Mädchen, das später als Katharina die Große Geschichte schreiben sollte, erstmals ihren späteren Ehemann. Die russische Zarin stammte wie Anna Amalia aus einem deutschen Fürsten­haus und wurde jung verhei­ratet. Einige Jahre später machte ein Staats­streich gegen den eigenen Mann sie zur mächtigsten Frau ihrer Zeit.
In welche dieser beiden entge­gen­ge­setzten Richtungen sich das Leben einer Frau im 18. Jahrhun­dert entwi­ckelte war nicht zuletzt vom Zufall beein­flusst. Die entspre­chende Situation bestmög­lich zu nutzen, war jedoch darüber hinaus eine Frage des Charak­ters. Anna Amalia gelang es, die Möglich­keiten ihres Lebens zu ergreifen. Eine Macht­po­li­ti­kerin wie Katharina die Große wurde sie zwar nicht, noch weniger aber eine einfluss­lose Ehefrau.

Anna Amalia wuchs gemeinsam mit zahlrei­chen Geschwis­tern und ihren Eltern, Carl I. Herzog von Braun­schweig-Wolfen­büttel und Philip­pine Charlotte (eine geborene Prinzessin von Preußen), im Schloss Wolfen­büttel auf. Auch im Schloss Salzdahlum hielt sich die Familie regel­mäßig auf und 1753 zog sie schließ­lich nach Braun­schweig um. In Fürsten­fa­mi­lien waren enge Bindungen der Eltern zu ihren Kindern selten und die große Anzahl von 13 Kindern, die aus der Ehe Carls I. und Philip­pine Charlottes hervor­ging, machte es für jedes einzelne von ihnen nicht leichter, die Aufmerk­sam­keit von Mutter und Vater auf sich zu ziehen. Daher erscheint es aus heutiger Sicht nicht verwun­der­lich, dass Anna Amalia rückbli­ckend in ihren Erinne­rungen zum Ausdruck brachte, sie habe sich in ihrer Kindheit zurück­ge­setzt und einsam gefühlt.

Für eine Frau ihrer Zeit ist eine solche Feststel­lung aller­dings ungewöhn­lich, insbe­son­dere durch das Glück eine Bildung zu erhalten, die für Mädchen noch nicht selbst­ver­ständ­lich war. Anna Amalia erhielt umfas­senden Unter­richt in Natur­wis­sen­schaften, Mathe­matik und Geschichte ebenso wie im Lesen und Schreiben (deutsch, englisch, franzö­sisch), in Musik und deutscher Literatur. Auch das Verhalten am Hof, mitsamt der dort herrschenden strengen Hierar­chie und dem Umgang mit den zahlrei­chen Besuchern sowie Zerstreu­ungen durch Konzert- und Opern­ver­an­stal­tungen, war Teil ihrer Erziehung. Einblicke in den Regie­rungs­alltag ihres Vaters waren dagegen nicht nötig, denn als Mädchen sollten diese Tätig­keiten nicht zu ihren Aufgaben gehören.

Wie es üblich war, verzich­tete sie daher zugunsten aller männli­chen Verwandten auf sämtliche Erban­sprüche bezüglich ihres Eltern­hauses als sie im Alter von 16 Jahren Ernst August II. Constantin Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach heiratete. Gut ein Jahr später brachte sie einen Sohn zur Welt und hatte damit sämtliche Erwar­tungen, die man an sie stellte, bereits kurz bevor sie 18 Jahre alt wurde, erfüllt.

Kein weiteres Jahr darauf sollte sich ihr Leben jedoch grund­le­gend ändern und nahm eine Wendung, die vom vorge­se­henen Weg einer jungen Prinzessin abwich. Wiederum muss unter­schieden werden zwischen unserer Sicht heute und den Umständen des 18. Jahrhun­derts: Während heute der Tod des jungen, aber gesund­heit­lich belas­teten Ehemanns, der die Geburt des zweiten Sohnes nicht mehr erlebte, als schwerer Schick­sals­schlag begriffen werden muss, war ebendieses Ereignis Anna Amalias Möglich­keit, nicht nur ihr eigenes Leben selbst­be­stimmt führen zu können, sondern auch auf das Leben zahlrei­cher weiterer Menschen einwirken zu können.

Auch auf die Beziehung zu ihren Eltern hatte diese Wendung Auswir­kungen. Da Anna Amalia von ihrem Mann zur Regentin für ihren minder­jäh­rigen Sohn ausge­wählt worden war, jedoch selbst noch nicht die Volljäh­rig­keit erreicht hatte, übernahm ihr Vater die Vormund­schaft. Obwohl er in Weimar durch seinen Vizekanzler vertreten wurde, entwi­ckelte sich ein enger Austausch zwischen Carl I. und seiner Tochter. Noch in der Zeit als sie schließ­lich die Regie­rungs­ge­schäfte selbst übernommen hatte, befragte Anna Amalia regel­mäßig ihren Vater. Nicht immer nahm sie seinen Rat aller­dings an!

Auch in Hinblick auf die Erziehung ihrer Söhne wandte sich Anna Amalia mehrfach an den Braun­schweiger Hof und stellte Erzieher aus ihrer Heimat ein. Bis sie Braun­schweig selbst wiedersah, vergingen aller­dings viele Jahre. Bei ihrem ersten Besuch war ihr Sohn war bereits 14 Jahre alt und weitere 12 Jahre vergingen bis zum nächsten Aufent­halt.

Mittler­weile war eine weitere Lebens­phase für Anna Amalia angebro­chen. Im Alter von 36 Jahren hatte sie 1775 die Regie­rungs­ge­schäfte an ihren Sohn abgegeben. Sie hatte versucht, das von den Folgen des Sieben­jäh­rigen Krieges gezeich­nete Herzogtum durch soziale und finan­zi­elle Reformen zu verändern und das noch ländliche Weimar städti­scher zu machen. In vielen Punkten war sie damit erfolg­reich gewesen. Nun widmete sie sich der Kultur: sie lud Dichter, Künstler und Gelehrte zu regel­mä­ßigen „Tafel­runden“, förderte das Theater, reiste nach Italien, kaufte Kunst und ermög­lichte, dass sich der so genannte „Weimarer Musenhof“, dem auch Goethe und Herder angehörten, entwi­ckelte.

Ihre Heimat vergaß die außer­ge­wöhn­liche Prinzessin aus Braun­schweig-Wolfen­büttel nie: Im Wittums­pa­lais, in dem sie lebte, hingen an promi­nenter Stelle die Porträts ihrer Eltern. Auch eine Flucht nach Braun­schweig vor franzö­si­schen Truppen im Oktober 1806 zog sie in Betracht, konnte sie jedoch nicht durch­führen. Im April 1807 starb Anna Amalia nach kurzer Krankheit in Weimar.

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