Der scharf­zün­gige Kritiker

Professor Dr. Hans-Ulrich Wehler (l.) mit Ehefrau Renate im Gespräch mit Cord-Friedrich Berghahn, Präsident der Lessing-Akademie. Foto: Peter Sierigk
Professor Dr. Hans-Ulrich Wehler (l.) mit Ehefrau Renate im Gespräch mit Cord-Friedrich Berghahn, Präsident der Lessing-Akademie. Foto: Peter Sierigk

STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE und Lessing-Akademie verliehen Histo­riker Hans-Ulrich Wehler den Lessing-Preis für Kritik 2014.

Der Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing legte den Finger vortreff­lich in die gesell­schaft­li­chen Wunden seiner Zeit. Der deutsche Histo­riker Professor Dr. Hans-Ulrich Wehler tut dies seit vielen Jahrzehnten ebenfalls, indem er sich vor allem zum Thema soziale Ungleich­heit in Deutsch­land zu Wort meldet. Und er findet viel Gehör. Nicht zuletzt deshalb wurde dem renom­mierten Wissen­schaftler am 11. Mai in der Augus­teer­halle der Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel der Lessing-Preis für Kritik 201 verliehen.

Der Förder­preis der bereits zum achten Mal als Koope­ra­ti­ons­pro­jekt von STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE und Lessing-Akademie Wolfen­büttel verge­benen Auszeich­nung ging an den Berliner Publi­zisten Albrecht von Lucke.

Die Laudatio auf Wehler hielt Dr. Volker Ullrich, Hamburger Histo­riker und Leiter des Ressorts „Politi­sches Buch“ der überre­gio­nalen deutschen Wochen­zei­tung DIE ZEIT. „Hans-Ulrich Wehler war immer mehr als nur ein einsamer Gelehrter, der im stillen Kämmer­lein ein Buch nach dem anderen verfasst hat – auch im Compu­ter­zeit­alter immer noch mit der Hand schrei­bend. Er war und ist ein public intellec­tual, ein Intel­lek­tu­eller, der öffent­lich wirken will und sich deshalb auch immer wieder vernehm­lich zu Wort gemeldet hat“, sagte Dr. Ullrich über den Preis­träger.

Der Laudator weiter: „Gewürdigt werden soll der wortmäch­tige Meister der Kontro­verse, der in allen histo­ri­schen Debatten der letzten Jahrzehnte unüber­hörbar präsent war, der scharf­zün­gige Kritiker, der mit seinen vielen Rezen­sionen auf unnach­ahm­liche Weise die Spreu vom Weizen getrennt hat, und der engagierte Bürger, der sich mit unver­min­derter Verve in tages­po­li­ti­sche Fragen einmischt und der Gesell­schaft einen Spiegel vorhält – das alles im Dienste des großen Projekts der Aufklä­rung, der Zielutopie einer wahrhaft ‚bürger­li­chen Gesell­schaft‘.“

Mit Wehler wurde nach Auffas­sung der Jury ein weit über die Fachgrenzen hinaus bekannter, seit vielen Jahren an allen wichtigen gesell­schafts­kri­ti­schen Debatten in der Bundes­re­pu­blik betei­ligter Histo­riker ausge­zeichnet. Wehler habe seine Stand­punkte immer dezidiert, leiden­schaft­lich und polemisch vorge­tragen.

Eine führende Rolle habe der Biele­felder Histo­riker bei Themen wie der Aufar­bei­tung des Natio­nal­so­zia­lismus, der Migra­ti­ons­pro­ble­matik oder der sozialen Ungleich­heit in Deutsch­land einge­nommen. Das Thema wachsender Ungleich­heit behandelt Wehlers 2013 erschie­nenes Buch „Die Neue Umver­tei­lung“, das bedeu­tende öffent­liche Resonanz hervor­ge­rufen habe und auf das sich Wehler in seiner Wolfen­büt­teler Rede vornehm­lich bezog: „Die Vertei­lungs­ge­rech­tig­keit wird bei der Distri­bu­tion des Sozial­pro­dukts krass missachtet.“

Tradi­tio­nell darf der Preis­träger den Förder­preis­träger benennen. Wehlers Wahl fiel auf den in Berlin lebenden freien Journa­listen und Publi­zisten Albrecht von Lucke. Der Polito­loge ist Redakteur der monatlich erschei­nenden „Blätter für deutsche und inter­na­tio­nale Politik“. Seine Forschungs­schwer­punkte liegen in der 68er-Bewegung und der politi­schen Entwick­lungen innerhalb der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, zuletzt vor allem die Auswir­kungen der Wirtschafts­krise und deren Folgen.

Von Lucke sorgte in seiner Dankes­rede für ein Raunen der Zuhörer in der altehr­wür­digen Augus­teer­halle der Herzog August Biblio­thek, als er berich­tete, dass sich einer seiner Ur-Ur-Ur-Großväter vor mehr als 200 Jahren persön­lich mit Lessing getroffen habe.

Fakten

Der Lessing-Preis für Kritik wird seit 2000 alle zwei Jahre gemeinsam von der Lessing-Akademie Wolfen­büttel und der Braun­schwei­gi­schen STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE vergeben und ist mit insgesamt 20.000 (15.000 und 5000) Euro dotiert.

Frühere Preis­träger: Heinz Bohrer und Michael Maar (2000), Alexander Kluge und das St. Peters­burger Cello-Duo (2002), Elfriede Jelinek und Antonio Fian (2004), Moshe Zimmer­mann und Sayed Kashua (2006), Peter Sloter­dijk und Dietmar Dath (2008), Kurt Flasch und Fiorella Retucci (2010) sowie Claus Peymann und Nele Winkler (2012).

Jury: die Publi­zistin Dr. Franziska Augstein, die Litera­tur­wis­sen­schaft­lerin Prof. Dr. Ulrike Sprenger, der Leiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt Braun­schweig Prof. Dr. Joachim Block, der Hallenser Germanist Prof. Dr. Daniel Fulda, der Göttinger Germanist Prof. Dr. Wilfried Barner, Prof. Dr. Erich Unglaub, Germanist und Vorstands­mit­glied der Lessing-Akademie Wolfen­büttel und der Direktor der Herzog August Biblio­thek, Prof. Dr. Helwig Schmidt-Glintzer.

Termin: Der Lessing-Preis für Kritik 2014-Preis­träger Professor Dr. Hans-Ulrich Wehler und der ebenso bekannte austra­li­sche Histo­ri­ker­kol­lege Chris­to­pher Clark („Die Schlaf­wandler“, 2013) disku­tieren am 12. Oktober 2014 um 16.30 Uhr im Braun­schweiger „Haus der Wissen­schaften“ zum Thema 1914 und die Ursachen des Ersten Weltkrieges.

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