„Geschichte wird nicht besser, indem man sie entsorgt“

Das Kolonialdenkmal an der Jasperallee. Tafeln informieren über die Hintergründe. Foto: Der Löwe
Das Kolonialdenkmal an der Jasperallee. Tafeln informieren über die Hintergründe. Foto: Der Löwe

Gespräch mit Prof. Gerd Biegel über Sinn und Zweck von Denkmä­lern in der heutigen Zeit unter dem Gesichts­punkt von „Black Lives Matter“.

Die Rassismus-Debatte hat Braun­schweig erreicht. Vorder­gründig geht es mal wieder um das Koloni­al­denkmal am Stadtpark. Soll es stehen bleiben? Muss es weg? Die Kritik passt in die weltweite Diskus­sion. Tatsäch­lich aber geht es um mehr als um den Stein mit dem Löwen, der seine Pranke fest auf die Erdkugel drückt. Es geht um die Erinne­rungs­kultur, um Geschichts­deu­tung und Geschichts­be­wusst­sein – auch in Braun­schweig. „Geschichte kann nicht rückwir­kend verbes­sert werden, indem man sie in der Öffent­lich­keit entsorgt“, sagt Prof. Gerd Biegel, Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte an der Techni­schen Univer­sität, im Interview mit „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“. Aufgabe von Histo­ri­kern sei es, zu konfron­tieren und kriti­schen Umgang mit der Geschichte zu erzeugen. Auch dafür stünden Denkmäler als Bedeu­tungs­ele­mente von Narra­tiven.

Muss das Koloni­al­denkmal verschwinden, muss es wegen seines rassis­ti­schen Hinter­grunds abgerissen werden?

Die aktuelle Diskus­sion um den Abbau von Denkmä­lern entspricht dem kindli­chen Glauben, wenn man die Augen verschließt, ist das drohende Ungeheuer nicht mehr vorhanden. Ein „Nie wieder!“ kann aber nicht erfolg­reich sein, wenn man die Geschichte „So war es!“ auslöscht. Mit einer derar­tigen Haltung öffnet man alle Wege zum Vergessen, zum „Doch wieder!“ und zur Manipu­la­tion der Geschichte sowie Geschichts­klit­te­rung im übelsten Sinne.

Was macht das Koloni­al­denkmal so umstritten?

Kolonia­lismus war ein Auswuchs des Imperia­lismus und eine menschen­ver­ach­tende Erschei­nung. Daran besteht keinerlei Zweifel. Deutsche Truppen ermor­deten zwischen 1904 und 1908 mehr als 85.000 Herero und Nama im heutigen Namibia. Eine politi­sche Aufar­bei­tung mit den deutschen Koloni­al­ver­bre­chen ist aber in dem sicher notwen­digen Umfang nach 1945 ausge­blieben. Bundes­tags­prä­si­dent Norbert Lammert hat die Verbre­chen erstmals 2015 als „Völker­mord“ bezeichnet. In Braun­schweig hat das Koloni­al­denkmal dazu geführt, dass sich auf vielen Ebenen intensiv mit der Thematik, insbe­son­dere auch im schuli­schen Bereich, ausein­an­der­ge­setzt wurde. Ohne das Denkmal wäre das wohl kaum passiert.

Angesichts des von US-ameri­ka­ni­schen Polizisten verur­sachten Todes von George Floyd gibt es im Zusam­men­hang mit „Black Lives Matter“ weltweit Bestre­bungen, Denkmäler nieder­zu­reißen. Teilweise ist das ja auch schon passiert. In England sind zum Beispiel Kolonia­listen-Statuen zerstört und in Hafen­be­cken geworfen worden. Zu Recht?

Denkmäler sind Träger von Erinne­rung. Sie erinnern an Personen, Gegen­stände oder Ereig­nisse. Denkmäler weisen aber nur scheinbar in die Vergan­gen­heit zurück. Ihr Zweck ist es vielmehr, die Vergan­gen­heit zu struk­tu­rieren und zu deuten, um sie für die Erinne­rung in der Gegenwart zu nutzen. Als Träger von Erinne­rung sind Denkmäler somit Teil der Erinne­rungs­kultur einer Gesell­schaft. Sie offen­baren, Wissen über die Vergan­gen­heit. Wie es aber inter­pre­tiert und vermit­telt wird, ist heute unsere Aufgabe. Kolumbus, Washington, Churchill und Bismarck, alles Leute die aus heutiger Sicht angreifbar wären, waren in ihrer Zeit sehr bedeu­tende Menschen. Wir müssen ihr Handeln im Kontext ihrer Zeit verstehen, deuten und Rückschlüsse daraus ziehen, um für heute und die Zukunft daraus zu lernen.

Kritiker meinen aber, dass zum Beispiel mit dem Koloni­al­denkmal hier bei uns, Rassismus verherr­licht würde. Sehen Sie diese Gefahr?

Das war zur Nazizeit ein verita­bler Faktor, aber heute weitge­hend nicht mehr. Die kritische Konfron­ta­tion und Vermitt­lung von Wissen um Geschichte als Verpflich­tung gegenüber der jungen Genera­tion stehen im Fokus. Das Denkmal ist ein Zeugnis der Überzeu­gungen und Empfin­dungen der Menschen um 1925. Um sich die Haltungen und Lebens­ein­stel­lungen der Menschen zwischen den Weltkriegen leichter verge­gen­wär­tigen zu können, ist das Denkmal auf jeden Fall wichtig. Geschichte wird nicht nachvoll­zieh­barer durch Entsor­gung ihrer Zeugnisse, sondern bedarf des „In-den-Weg-Stellens“, um im Bewusst­sein zu bleiben, quasi umgewan­delt in Mahnmale, die „den Finger in die Wunden der Vergan­gen­heit legen“.

Wie gelingt das Ihrer Meinung nach?

Der Rat der Stadt hat sich mehrfach damit beschäf­tigt, so wie jetzt auch wieder. Die Stadt hat schnell reagiert und zusätz­liche Infor­ma­tionen auf ihre Homepage gestellt. Das erste Mal disku­tierte die Stadt­po­litik bereits Anfang der 1960er Jahre über das Denkmal. Es hat immer wieder Proteste gegeben. Die Verhül­lungs­ak­tion von Schüle­rinnen und Schülern der IGS Franz­sches Feld halte ich zum Beispiel für ein legitimes Mittel, um auf Erinne­rungs­mo­mente aufmerksam zu machen. Geschichte muss den Menschen hindernd in den Weg gestellt werden. Man muss die Konfron­ta­tion mit der Geschichte aushalten. Arbeiten, Aktionen und Projekte rund um das Denkmal sind also grund­sätz­lich positiv zu bewerten. Ich selbst habe vielfach Erfah­rungen gesammelt, etwa bei der Reihe „Andachten vor Ort“, bei Exkur­sionen mit meinen Studie­renden, den Ferien­pro­grammen „KIWI“ des Hauses der Wissen­schaft und bei öffent­li­chen Führungen. Vanda­lismus oder Zerstö­rung aber können niemals Argumente sein, sinnvoll dagegen sind stets innovativ-parti­zi­pa­tive Methoden der Aufar­bei­tung von Geschichte. Ich befür­worte einen kriti­schen Umgang mit der Geschichte vor Ort. Aus meiner Sicht ist das gerade am Koloni­al­denkmal in Braun­schweig beispiel­haft gelungen. Die Erläu­te­rungs­tafel vor dem Denkmal halte ich für geboten, damit jeder das Denkmal einordnen kann. Hier ist das Notwen­dige also längst erfolgt.

Fakten

Das Koloni­al­denkmal

Der Gedenk­stein steht am Rand des Stadt­parks an der Jaspe­r­allee. Auf der Vorder­seite zeigt er die plasti­sche Darstel­lung eines Löwen, der mit einer Pranke die Weltkugel hält, auf der die Umrisse von Afrika und Indien zu erkennen sind. Darunter der Schriftzug „Gedenket unserer Kolonien und der dort gefal­lenen Kameraden“. An den seitli­chen Bildzonen sind die verlo­ren­ge­gan­genen Kolonien aufge­führt. Auf der rechten Seite steht: „Insel Yop, Palau-Inseln, Karolinen-Inseln, Insel Ponape, Insel Nauru, Marianen-Inseln, Marshall-Inseln“. Auf der linken Seite liest man: „Togo, Kamerun, Südwest­afrika, Ostafrika, Neuguinea, Samoa-Inseln, Kiaut­schau“.

In der rücksei­tigen Bildzone ist plastisch ein Sternen­bild darge­stellt, das Kreuz des Südens. Darunter steht der Schriftzug „per aspera ad astra“, was sich übersetzen lässt mit: „Durch die Nacht zum Licht“ oder „Über raue Wege zu den Sternen empor“ (Wahlspruch im herzog­li­chen Wappen Braun­schweigs).
Das Denkmal wurde von Prof. Flesche entworfen und von Prof. Hofmann ausge­führt. Es wurde am 13. Juni 1925 einge­weiht. Der Festabend stand unter dem Motto „Wir wollen, und wir müssen unsere Kolonien wieder­haben“.

Initiator war der Braun­schweiger Verein ehema­liger Ostasiaten und Afrikaner. Dem nur 75 Mitglieder starken Verein war es jedoch nicht möglich, das Denkmal aus eigenen Mitteln zu finan­zieren. Deswegen veröf­fent­lichte die Braun­schwei­gi­sche Landes­zei­tung am 1. April 1925 einen Spenden­aufruf, in dem deutlich gemacht wurde, dass Deutsch­land seine Kolonien wieder­be­nö­tige. Als Gründe wurden notwen­dige eigene koloniale Rohstoff­ge­biete und Siedlungs­raum angegeben.

Weitere Infor­ma­tionen:

https://www.braunschweig.de/kultur/erinnerungskultur/kolonialdenkmal.php
https://www.hbk-bs.de/imperia/md/content/hbk/hbk/forschung/forschungsprojekte/bergermann_medienglobal/kolonialdenkmal.pdf
https://kolonialdenkmal-braunschweig.de.tl/

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