Die Bücher der Lehrmeister

Der Lesesaal der Bibliothek der alten Universität Helmstedt steht bald wieder für Forschungsarbeiten zur Verfügung. Foto: Andreas Greiner-Napp
Der Lesesaal der Bibliothek der alten Universität Helmstedt steht bald wieder für Forschungsarbeiten zur Verfügung. Foto: Andreas Greiner-Napp

Die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz hilft bei der Katalo­gi­sie­rung der rund 35.000 Werke der früheren Univer­si­täts­bi­blio­thek Juleum in Helmstedt.

Die Univer­sität Helmstedt zählt zweifels­frei zu den Leucht­türmen Braun­schwei­gi­scher Landes­ge­schichte. Die 1567 eröffnete Bildungs­ein­rich­tung war eine der ersten protes­tan­ti­schen Univer­si­täten in Norddeutsch­land. In den darauf­fol­genden 50 Jahren stieg die „Academia Julia“ sogar zur dritt­größten Univer­sität im deutsch­spra­chigen Raum auf. Man muss kein Biblio­philer sein, um mehr über die in der Helmstedter Univer­si­täts­bi­blio­thek Juleum aufbe­wahrten rund 35.000 Werke erfahren zu wollen. Dank eines imposanten Koope­ra­ti­ons­pro­jektes der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel und dem Landkreis Helmstedt werden bis Dezember 2016 alle Titel digital katalo­gi­siert und weltweit einsehbar sein.

Die Univer­sität Helmstedt, die alleine 13.000 Werke aus dem 16. bis 19. Jahrhun­dert vorrätig hielt, verfügte über eine der größten und wertvollsten Biblio­theken des Reiches. Forschungs­schwer­punkte lagen auf den Gebieten der Theologie, Geschichte und Juris­pru­denz. „Anders als heute hatte die damalige Univer­sität keinen großen Erwer­bungs­etat. Sie speiste sich aus den verwen­deten Büchern der dort tätigen Profes­soren, aus Nachlässen und Bücher­spenden zum Beispiel von Landes­fürsten“, sagt Dr. Petra Feuer­stein-Herz, Leiterin der Abteilung alte Drucke an der Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel.

Ein HAB-Team erfasst seit 2010 die von Lehrenden und Studenten verwen­deten Helmstedter Werke, die nach der Schlie­ßung durch Napoleon Bonapartes Bruder Jerome von Westphalen 1810 zu einem Drittel in Helmstedt verblieben und Zweidrittel über den Umweg Göttingen in die nahege­le­gene Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel trans­por­tiert wurden. So beher­bergt die „Biblio­theca Academia Julia“ eine ganze Reihe von Fürsten­bi­blio­theken und die Bestände der Helmstedter Akade­mi­schen Lesege­sell­schaft (1789 bis 1810), der Helmstedter Deutschen Gesell­schaft und wertvolle, seltene Stücke beispiels­weise der säkula­ri­sierten Klöster Wöltin­ge­rode, Steter­burg, Dorstadt und Heiningen. Ende dieses Jahres soll die Katalo­gi­sie­rung der Helmstedter Biblio­theks-Werke abgeschlossen sein.

„Die Helmstedter Profes­soren und ihre Arbeit spiegeln sich in dem Bücher­be­stand wider“, so Dr. Feuer­stein-Herz. Deutlich wird dies beispiels­weise durch handschrift­liche Einträge. Nicht selten kann man die Bände unmit­telbar einem Gelehrten zuordnen, der so als Leser- und Forscher­per­sön­lich­keit sichtbar wird. „Bei der Katalo­gi­sie­rung werden auch die Namen von Vorbe­sit­zern und Prove­ni­enz­merk­male, wie handschrift­liche Anmer­kungen im Text, alte Signa­turen und Nummern, Preise und Daten, verzeichnet“, erzählt die Expertin für alte Drucke. „So gelang es, Bände aus dem Besitz von Matthias Flacius und Nicolaus Andreae Granius ausschließ­lich anhand von Notizen, Margi­na­lien und Initialen zu identi­fi­zieren. In diesem Zusam­men­hang konnten etliche Bände der Biblio­thek der Markgräfin Sophie zu Branden­burg-Ansbach-Bayreuth zugeordnet werden. Sie gebrauchte ein auffäl­liges Monogramm unter Verwen­dung der Initialen ihres verstor­benen Mannes Georg Friedrich.“

Bei der Erfassung entdeckte man einige Bücher­schätze: Zum Beispiel ein Ketten­buch aus der Franzis­ka­ner­bi­blio­thek Ganders­heim mit erhal­tener Kette und ein Exemplar von Johann Keplers berühmten „Tabulae Rudol­phinae“ (Ulm 1627) mit dem handschrift­li­chen Schen­kungs­ver­merk von Herzog Friedrich Ulrich von Braun­schweig-Wolfen­büttel. Die Sensation: Viele Werke tauchten bisher in keinem deutschen natio­nal­bio­gra­fi­schen Verzeichnis auf, sind also Einzel­stücke oder nur noch einmal in Deutsch­land erhalten.

In den Händen hielten die Schriften berühmte Dozenten wie Giordano Bruno, Domini­ka­ner­priester, Philosoph und Astronom. Aber auch Hermann Conring, der Begründer des deutschen Rechts, Lorenz Heister, der fortschritt­lichste Chirurg seiner Zeit, und der Mathe­ma­tiker Johann Friedrich Pfaff verhalfen der im Osten des Landes Braun­schweig gelegenen Insti­tu­tion zu univer­si­tären Weltruhm. Bei Letzterem promo­vierte eines der größten Mathe­ge­nies der Geschichte, Karl Friedrich Gauß.

„Erstmalig werden die Werke aus dem Juleum und der Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel virtuell als Biblio­thek zusam­men­ge­führt und sind maschi­nen­lesbar“, so Dr. Feuer­stein-Herz. Über den Gemein­samen Verbund­ka­talog (GBV) haben Internet-User zukünftig von überall auf der Welt Zugriff auf die alten Helmstedter Titel. Nach profes­sio­neller Verzeich­nung kehren die Helmstedter Exemplare ins dortige Juleum zurück. Dort kamen – ebenfalls mit Unter­stüt­zung der SBK – die dringend notwen­digen Sanie­rungs­ar­beiten an Decken und Wänden im Biblio­thek­saal 2016 zum Abschluss und geben der Biblio­thek ein neues Gesicht.

Parallel zur Katalo­gi­sie­rung der Werke existiert durch Dr. Britta-Juliane Kruse ein weiteres vertie­fendes Forschungs­pro­jekt an der Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel. Die im Januar 2016 gestar­tete Unter­su­chung konzen­triert sich auf ausge­wählte Aspekte der Helmstedter Biblio­theks­ge­schichte, die für die Funktion von Bücher­samm­lungen an frühneu­zeit­li­chen Univer­si­täten signi­fi­kant sind.

Infor­ma­tionen zum HAB-Projekt „Wissens­pro­duk­tion der Univer­sität Helmstedt“ unter:

http://uni-helmstedt.hab.de/

www.GBV.de

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