Die Jakobi­kirche in Braun­schweig: Ein bemer­kens­wertes Baudenkmal

Postkarte vom Chorraum der Jakobikirche nach der Fertigstellung. Foto: Sammlung Reinhard Bein
Postkarte vom Chorraum der Jakobikirche nach der Fertigstellung. Foto: Sammlung Reinhard Bein

Der Kirchbau an der Goslar­schen Straße sollte nach seiner Fertig­stel­lung die untere Mittel­schicht und die Arbei­ter­schaft reprä­sen­tieren.

Im Mittel­punkt des luthe­ri­schen Gottes­dienstes steht die Lehrpre­digt. Liturgie und Lied begleiten sie. Jeder Kirch­gänger sollte die litur­gi­schen Handlungen und die Worte des Pfarrers deutlich hören, um aktiv teilhaben zu können. Daher war, anders als in katho­li­schen Kirchen, die Nähe von Altar, Kanzel und Orgel zur versam­melten Gemeinde besonders wichtig. Die dichte räumliche Verknüp­fung war im Protes­tan­tismus deshalb das für Kirchen­neu­bauten bestim­mende Prinzip.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 21.12.2021 (Bezahl-Artikel)

Seit 1863 wich das Konsis­to­rium, die Aufsichts­be­hörde der Landes­kirche, durch Erlass von diesem Punkt ab. Neue Kirchen seien im Sinne des staats­tra­genden Histo­rismus im „germa­ni­schen Stil“, der Gotik, zu bauen. Das bedeutete eine Verbeu­gung vor dem natio­na­lis­ti­schen Zeitgeist und eine Abkehr vom Gestal­tungs­prinzip, der ja Glaubens­in­halten diente.

Die Pauli­kirche an der Jaspe­r­allee ist der bedeu­tendste Bau, der dieser Vorschrift gehorcht, 1901–1906 durch Baurat Ludwig Winter errichtet, bestimmt für ein Stadt­viertel, in dem bevorzugt Hofbeamte, Offiziere, Besitz- und Bildungs­bürger wohnten, die Stützen der „Einheit von Thron und Altar“.

St. Jakobi und der Histo­rismus

Der letzte Kirchen­neubau vor dem Ersten Weltkrieg 1914 war St. Jakobi an der Goslar­schen Straße – für das heran­wach­sende Westliche Ringge­biet. Die Einwei­hung würdigte die „Landes­zei­tung“ 1911: „Den alten und schönen Kirchen unserer Stadt gegenüber ist etwas geschaffen worden, das sich völlig als eine Schöpfung der neuen Zeit darstellt, etwas, das ganz auf sich selbst gestellt ist und das mit der viel bewun­derten Kunst unserer alten Kirchen­bau­meister getrost in Wettbe­werb treten kann.

Sie macht die neue Kirche zu einer Sehens­wür­dig­keit und gibt dem bei der Grund­stein­le­gung gefal­lenen Wort Berech­ti­gung: Ein Wende­punkt in der evange­li­schen Kirchen­bau­ge­schichte Norddeutsch­lands. Protes­tan­ti­sche Kirchen sind Predigt­kir­chen. Die aus der katho­li­schen Zeit überkom­menen Kirchen entspre­chen diesem Grundsatz in der Regel nicht. Die Anlehnung an die alten Stile passt schon aus diesem Grunde für Kirchen­neu­bauten nicht. Zum anderen soll sich gerade bei derar­tigen Monumen­tal­bauten – mehr als bei Profan­bauten unsere heutige Zeit – zeigen, dass sie ebenfalls etwas Eigenes zu leisten versteht, dass sie, wenn es Erhabenes zu bilden gilt, nicht immer auf das Überlie­ferte zurück­greifen muss.

Eine Kirche als Ohrfeige und Kritik

Postkarte von der Jakobikirche nach ihrer Fertigstellung. Foto: Sammlung Reinhard Bein.
Postkarte von der Jakobi­kirche nach ihrer Fertig­stel­lung. Foto: Sammlung Reinhard Bein.

Unter solchen Gesichts­punkten ist die neue Jakobi­kirche erbaut worden: „Ein wichtiges Blatt in der Kirchen­ge­schichte Braun­schweigs im 20. Jahrhun­dert stellt es dar, es zeigt wieder Stil, während viele Jahrzehnte hindurch nur Moden geherrscht hatten.“

Das war eine heftige Ohrfeige für die Pauli­kirche und eine saftige Kritik am Konsis­to­rium. Nicht voraus­zu­sehen war, dass die Jakobi­kirche keines­wegs stilis­tisch beispiel­ge­bend für kommende Jahrzehnte wirken konnte. Heutige Archi­tek­tur­his­to­riker nennen ihren Baustil „einen süddeutsch geprägten Neobarock mit Jugend­stilank­längen“. Sicher, der Architekt Kraatz war ein Kind seiner Zeit, benutzte Stilzi­tate der Vergan­gen­heit und verband sie mit Elementen des modischen Jugend­stils. Aber die Archi­tek­tur­his­to­riker konzen­trieren ihre Kritik zu sehr auf äußer­liche Merkmale.

Der Chorraum der Jakobi­kirche

Der Chorraum von St. Jakobi wies in die Zukunft: Denn mit ihm kehrte man tatsäch­lich zu den Grund­sätzen evange­li­scher Predigt­kir­chen zurück. Pfarrer Beck schrieb dazu: „Aus akusti­schen Gründen hat man die Orgel so tief wie möglich gestellt. Ihre Zusam­men­ord­nung mit der Kanzel und dem Altar erfolgte nach der Bedeutung, die diese drei Stätten nach ihrem Wesen und ihrem Verhältnis zuein­ander für den Gottes­dienst besitzen. Hinter der Orgel kann der Sänger­chor in einer Stärke von 110 Personen unter­ge­bracht werden. Der Taufstein hat Aufnahme in einer sich nach dem Altar­platz öffnenden Taufka­pelle gefunden. Wie die Taufka­pelle, so erscheint auch die an der Südwest­ecke des Altar­platzes verlegte Sakristei als ein natür­li­cher Bestand­teil des Grund­risses.“

Die Innen­wir­kung von St. Jakobi

Den Besucher empfängt ein relativ schlichter Innenraum, der aus akusti­schen Gründen viel Holz und verputzte Wände besitzt. Sogar die Zentral­kuppel in 17,50 Metern Höhe diente der Akustik: Der Mörtel wurde zur Vermei­dung von Hall mit Kork vermischt. Weder Gemälde noch Skulp­turen lenkten den Besucher ab. Nur ein paar Glasfenster als modische Reverenz gestat­tete sich der Architekt: einen Chris­tus­kopf im Zentrum der Chorni­sche, ihm gegenüber im Osten ein Rundfenster, das den barmher­zigen Samariter darstellt. So stehen sich sehr eindrucks­voll Glaube und Nächs­ten­liebe gegenüber. Andere Fenster zeigen brennende Fackeln und Lilien.

Das kirch­liche Zentrum St. Jakobi besteht aus vier Gebäu­de­teilen: Kirche, Turm, Gemein­de­haus und Pfarrei. An der Nordost­ecke über-ragt der 60 Meter hohe Turm den Gebäu­de­kom­plex und die umgebende Wohnbe­bauung, die sich heute eng anschließt. Nach Norden zu springt das Gemein­de­haus hervor, „während die Kirche auf der Südseite das im lauschigen Winkel zurück­lie­gende Pfarrhaus in ihren Schutz nimmt“, so Gemein­de­pfarrer Beck.

Kirche und Klasse

Das Preis­aus­schreiben für den Kirchenbau von St. Jakobi hatte 1907, kurz nach Fertig­stel­lung der Pauli­kirche, der Berliner Architekt Johannes Kraatz gewonnen. Vielleicht waren beide Kirchen bewusste Anleh­nungen an die politi­schen Bewegungen ihrer Zeit: Pauli für das staats­tra­gende Großbür­gertum, Jakobi für die untere Mittel­schicht und die rebel­li­sche Arbei­ter­schaft. Insgesamt erfüllte die Jakobi­kirche ihre vom Preis­aus­schreiben bestimmte Aufgabe: „Sie soll eine echt evange­li­sche Gemein­de­kirche sein, die hell und freund­lich, einfach und doch schön und festlich gestaltet ist und in einer geschlos­senen Anlage die Einheit der zu gemein­samer Feier des Gottes­dienstes versam­melten Gemeinde zum Ausdruck bringt.“

Die Revolu­tion von 1918 trennte die Kirche vom Staat. Die Landes­kirche verlor die Schul­auf­sicht, die Einheit von Thron und Altar zerbrach, das Konsis­to­rium wurde 1922 aufgelöst. Es bildete sich nun eine demokra­tisch legiti­mierte Landes­kir­chen­ver­wal­tung. Das erreichte viele Menschen aber nicht mehr. Tausende traten aus der Landes­kirche aus, weil die alten Eliten weiterhin die Evange­li­sche Landes­kirche beherrschten.

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