Ein Fanatiker der franzö­si­schen Revolu­tion

Joachim Heinrich Campe. Repro: IBR
Joachim Heinrich Campe. Repro: IBR

Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 32: Braun­schweiger Schrift­steller Joachim Heinrich Campe für „Gesinnung und Werk als Freund der Freiheit, Gleich­heit und Brüder­lich­keit“ ausge­zeichnet und angefeindet.

Am 26. August 1792 ernannte die franzö­si­sche Natio­nal­ver­samm­lung den Braun­schweiger Joachim Heinrich Campe (1746–1818) gemeinsam mit Friedrich Schiller, Johann Heinrich Pesta­lozzi, George Washington und vierzehn weiteren Auslän­dern zu Ehren­bür­gern Frank­reichs, weil sie sich durch „Gesinnung und Werke als Freund der Freiheit, Gleich­heit und Brüder­lich­keit“ erwiesen hatten. Heinrich Campe, Theologe, Pädagoge, Schrift­steller, Schul­po­li­tiker, Sprach­wis­sen­schaftler und Unter­nehmer, hatte von seiner Reise nach Paris 1789 und dem Verlauf der franzö­si­schen Revolu­tion in Briefen seiner Tochter Lotte und seinen Kollegen Ernst Christian Trapp sowie Johann Struve überschwäng­lich berichtet. Später veröf­fent­lichte er die Schreiben in dem von ihm heraus­ge­geben „Braun­schweiger Journal“.

„Wallfahrt“ nach Paris

Campe war in Beglei­tung seines Schülers Wilhelm von Humboldt und eines weiteren Reise­ge­fährten nach Paris aufge­bro­chen, um die Revolu­tion mitzu­er­leben. Bereits am ersten Tag schrieb er von einer „Wallfahrt (…) und zwar hoffent­lich zum Grabe des franzö­si­schen Despo­tismus“. Campe erhoffte sich eine Verfas­sung, wie es bisher noch keine gegeben hatte. Seine Vorstel­lung war geprägt vom Recht auf Eigentum, von der Unantast­bar­keit der Person, Gedanken‑, Religions- und Presse­frei­heit sowie der Gleich­heit aller Bürger vor dem Gesetz.

An seinem Vorhaben, die Geburts­stunde dieser Vision unmit­telbar in Paris zu erleben, konnten ihn auch die Schre­ckens­nach­richten nicht abhalten, die ihn und seine Mitrei­senden noch auf dem Weg erreichten. Campe war entschlossen, die Revolu­tion zu lieben, und so bestritt er jede unrecht­mä­ßige Ausschrei­tung des Volkes. Er nannte die Hinrich­tungen ein „Volks­ge­richt an des Vater­lands Feinden“ und „eine legale Art zu töten“.

Revolu­tio­näres Töten gebilligt

Für ihn waren das in jener Zeit zunächst reini­gende Momente im Prozess der „politi­schen und morali­schen Wieder­ge­burt“. Ohne diese revolu­tio­nären Aktionen des Volkes war, nach Campes Überzeu­gung, ein Ende des herrschenden Despo­tismus nicht denkbar. Als Joachim Heinrich Campe am 3. August 1789 in Paris eintraf, waren die großen Ereig­nisse und ersten Unruhen bereits vollzogen. Es folgte jedoch unmit­telbar darauf jene denkwür­dige Nacht vom 4. zum 5. August, in der mit der Abschaf­fung sämtli­cher Feudal­rechte ein völliger Wechsel aller Rechte und Privi­le­gien in Frank­reich erfolgte.

Seine scheinbar blinde Begeis­te­rung für die Revolu­tion wurde Campe später zum Vorwurf gemacht. Der große Aufklärer hatte nicht zuletzt auch vor dem Hinter­grund seines jahre­langen Kampfes für die Freiheit des Wortes geschrieben und gehandelt. Gerade dadurch beschwor er eine erwart­bare Reaktion hervor. Für die Fürsten und ihre Klein­staa­terei im Deutsch­land des 18. Jahrhun­derts musste dieser Jubel­schrei, in den auch viele andere einstimmten, wie ein Fanal gegen die überkom­menen Tradi­tionen und Werte wirken. Viele sahen durch Campes Briefe in Braun­schweig den Mittel­punkt einer revolu­tio­nären Bewegung für ganz Deutsch­land. Sie erlebten fassungslos, dass es Campe möglich war, diese Briefe im November 1789 zu veröf­fent­li­chen.

Nachdenk­lich­keit wird größer

Die Nachrichten und Empfin­dungen, die er in seinen Briefen nach Braun­schweig übermit­telte, waren getragen von Euphorie und dem ernsten Glauben an eine Glücks­stunde der ganzen Mensch­heit, und dennoch klingen später gelegent­lich auch Zweifel an. So, wenn er im Zusam­men­hang mit wirtschaft­li­chen Problemen, wie Brotmangel, an Anarchie denkt. Es kommt ihm eine Ahnung von dem Gefühl, dass die Revolu­tion eine Frühge­burt sei und dass den neuen Gesetz­ge­bern noch keine Zeit blieb, die notwen­digen Voraus­set­zungen zu schaffen, auf denen die Zukunft hätte aufgebaut werden können. In der Distanz zu seiner Reise, im heimi­schen Braun­schweig, wurde seine Nachdenk­lich­keit noch größer.

Die Reaktion aber ruhte nicht. Aus einer Gegner­schaft der Revolu­tion wurde eine Gegner­schaft allgemein gegen die Aufklä­rung und den Philan­thro­pismus: Die Schrift­steller waren gegen Campe, weil sie ihm den Erfolg neideten; die Kirche war gegen Campe, weil er sich ihr und ihrem Einfluss entge­gen­stellte; die Herrscher waren gegen Campe wegen seiner freimü­tigen Urteile. Und so hatte bereits 1790 der römisch-deutsche Kaiser Leopold II. (1747 – 1792) in einem Dekret Maßnahmen gegen die aufrüh­re­ri­schen Schriften in Braun­schweig gefordert. Campe konnte jedoch Carl Wilhelm Ferdinand von der Richtig­keit der Presse­frei­heit überzeugen, zumal der Herzog nicht gegen die Bestre­bungen der konsti­tu­tio­nellen Parteien Frank­reichs einge­stellt war. Er tadelte lediglich die einge­ris­sene Unordnung und hegte Bedenken gegen die Abschaf­fung des Adels.

Wie eine bittere Träne

In seiner späteren Vertei­di­gungs­schrift „An meine Mitbürger“ vom Dezember 1792 machte Campe deutlich, dass sich seine Haltung gegenüber der ursprüng­li­chen Einstel­lung zur franzö­si­schen Revolu­tion geändert habe, wobei er aller­dings immer noch die Revolu­tion als solche gutheißt. Er weist darauf hin, dass sein Enthu­si­asmus lediglich jener ersten Zeit der Bewegung gegolten habe. Die spätere Entwick­lung sei wie eine bittere Träne des Unmuts gewesen. Campe ging deutlich auf Distanz zu seiner ursprüng­li­chen Verherr­li­chung der Franzö­si­schen Revolu­tion. Noch schärfer fiel die Distan­zie­rung Campes auf einer Reise im Jahre 1802 aus, als erneut Frank­reich besuchte. Er schrieb, dass er sich glücklich schätze, Deutscher, vornehm­lich Braun­schweiger zu sein.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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