„Das Haus Braun­schweig hat aufgehört zu regieren“

Tod des Schwarzen Herzogs, Friedrich Matthäi, um 1835. Foto: Braunschweigisches Landesmuseum

Vom letztlich doch erfolg­rei­chen Kampf der Braun­schwei­gi­schen Herzöge Carl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm gegen Napoleon.

Es waren stürmi­sche Zeiten, ausgelöst von den Unruhen in Frank­reich, die sich 1789 in der Franzö­si­schen Revolu­tion entladen hatten, bald den gesamten Kontinent erfassten und im Kampf um die Vorherr­schaft zwischen Frank­reich und Großbri­tan­nien globale Auswir­kungen gewannen. Die hohen Wogen der revolu­tio­nären Verän­de­rungen, die das franzö­si­sche Staats­system radikal verän­derten, sollten „in der Geschichte der Mensch­heit eine neue Epoche machen“, wie der Braun­schweiger Philan­throp und Aufklärer Joachim Heinrich Campe (1746–1818) bereits am 9. Juli 1789 in einem seiner berühmten Briefe aus Paris schrieb.  Campe erkannte bereits zu einem frühen Zeitpunkt die trans­na­tio­nale, ja sogar globale Bedeutung des revolu­tio­nären Gesche­hens, die auch am Braun­schwei­gi­schen nicht vorbei­gehen sollte.

Rücksichts­lose Expan­si­ons­po­litik

Napoleon zu Pferde, S. Meister, 1832. Foto: Städti­sches Museum Trier

In Preußen, ebenso wie in Braun­schweig, verfolgte man die Ereig­nisse in Paris mit einer gewissen Sympathie, sah man die Forde­rungen der Reformer doch im Einklang mit der Aufklä­rung. Zur despo­ti­schen und unfähigen Herrschaft der Bourbonen in Frank­reich wahrte eine eher kritische Distanz. Außen­po­li­tisch bedeutete diese Entwick­lung den Beginn einer zwei Jahrzehnte umfas­senden Phase kriege­ri­scher Ereig­nisse, die zunächst den Aufstieg des Generals Napoleon (1765–1821), dann eine weitge­hende Vormacht­stel­lung über Europa und am Ende die totale Nieder­lage Frank­reichs mit sich brachte. Aus der Revolu­tion von 1789 im Inneren war eine Sendungs­idee der Franzosen erwachsen, auch den Nachbarn auf dem Kontinent die Ideale von Freiheit, Gleich­heit und Brüder­lich­keit zu erschließen. Spätes­tens unter Napoleon war das einstige Sendungs­be­wusst­sein jedoch nur noch ein klägli­cher Verhül­lungs­ver­such für eine rücksichts­lose Expan­si­ons­po­litik.

Am Beginn des 19. Jahrhun­derts standen sich Frank­reich und Preußen als Großmächte gegenüber. Preußen wahrte auch da noch Neutra­lität, als Frank­reich 1805 Hannover besetzte. Die versuchte Neutra­li­täts­po­litik isolierte Preußen inter­na­tional zunehmend. An der Frage Hannover, das Preußen annek­tierte, entzün­dete sich der endgül­tige Konflikt. Preußen machte mobil, stellte Napoleon ein Ultimatum und forderte den Abzug aller franzö­si­schen Truppen aus Süddeutsch­land. Angesichts der tatsäch­li­chen politi­schen und militä­ri­schen Situation musste das geradezu lächer­lich wirken musste.

Herzog Carl Wilhelm Ferdinand fiel

Napoleon bequemte sich nicht einmal zu einer Antwort. Daraufhin erklärte Preußen den Franzosen am 9. Oktober 1806 den Krieg, und es kam zu dem denkwür­digen Geschehen vom 14. Oktober 1806, bei dem der Braun­schwei­gi­sche Herzog Carl Wilhelm Ferdinand (1735–1806), der als General­feld­mar­schall des preußi­schen Heeres die Truppen bei Jena und Auerstedt/Hassenhausen gegen Napoleon führte, gleich zu Beginn der Schlacht lebens­be­droh­lich verwundet wurde. Am 10. November 1806 verstarb er im dänischen Ottensen an den Folgen dieser Verlet­zung. Die Nieder­lage Preußens war vernich­tend, und bereits am 27. Oktober 1806 besetzte Napoleon Berlin.

Nun besaß Napoleon auf dem europäi­schen Kontinent eine so einzig­ar­tige Macht­fülle, dass sich kein Land mehr der Vorherr­schaft Frank­reichs entziehen konnte. Lediglich Großbri­tan­nien blieb eine dauer­hafte Gefahr. Napoleons Hegemo­ni­al­streben über die europäi­schen Staaten schien endgültig gesiegt zu haben und Preußen reihte sich letzt­end­lich in die Reihe der Satel­li­ten­staaten Frank­reichs ein.

Teil des König­reichs Westphalen

Ein Waffen­still­stand mit Russland wurde am 25. Juni 1807 auf einem Floß mitten auf der Memel bei Tilsit zwischen Napoleon und Zar Alexander I. (1777–1825) verhan­delt. Für Napoleon stellte sich die Frage, ob und in welcher Weise sein Herrschafts­system konso­li­diert und die neuge­won­nenen preußi­schen Gebiets­teile zwischen Ems und Elbe so integriert werden konnten, dass damit ein funkti­ons­fä­higer Puffer gegenüber Restpreußen und Russland geschaffen wurde. Aus diesen Überle­gungen entstand zum Beispiel der franzö­si­sche Modell­staat „König­reich Westphalen“. Diese terri­to­riale Neuord­nung setzte sich zusammen aus dem Fürstentum Braun­schweig-Wolfen­büttel, dem Kurfürs­tentum Hessen-Kassel, den südlichen Teilen Hannovers, den Fürst­bis­tü­mern Hildes­heim, Paderborn und Osnabrück, einigen kleineren Herrschafts­ge­bieten und den ehemals preußi­schen Gebieten westlich der Elbe. Haupt­stadt wurde Kassel. Die Menschen hofften anfangs auf innere Reformen und erkannten nicht die macht­po­li­ti­sche Fundie­rung, die Napoleon damit geschickt verbunden hatte.

Sein Verdikt „Das Haus Braun­schweig hat aufgehört zu regieren“ konnte im Falle Braun­schweigs keines­wegs dazu beitragen, die Fremd­herr­schaft zu legiti­mieren, weder politisch noch moralisch, zumal die Bevöl­ke­rung dem im Kampf gegen Napoleon ums Leben gekom­menen Herzog Carl Wilhelm Ferdinand nachtrau­erte und dem Welfen­haus gegenüber starke Loyali­täts­ge­fühle besaß. Dies sollte sich besonders 1809 beim „Zug der Schwarzen Schar“ unter dem Nachfolger Herzog Friedrich Wilhelm (1771–1815), dem „Schwarzen Herzog“ von Sachsen zur Nordsee und weiter nach Großbri­tan­nien quer durch das von den Franzosen besetzte Land erweisen. Der „Herzog ohne Land“ initi­ierte mit diesem legen­dären Vorgehen einen probraun­schwei­gi­schen Patrio­tismus, wie er das gesamte 19. Jahrhun­dert die braun­schwei­gi­sche Geschichte beherr­schen und das Verhältnis zum braun­schwei­gi­schen Welfen­haus prägen sollte. Braun­schweig hatte nach der Schlacht von Jena und Auerstedt/Hassenhausen als Teil des König­reichs Westphalen seine Eigen­staat­lich­keit verloren.

Reiter­stand­bild Friedrich Wilhelm vor dem Schloss. Foto: Der Löwe
Reiter­stand­bild Carl Wilhelm Ferdinand vor dem Schloss. Foto: Der Löwe

Herzogtum Braun­schweig resti­tu­iert

1811 erreichte das Kaiser­reich Napoleons seinen Zenit. Der größte Teil des europäi­schen Konti­nents stand unter franzö­si­schem Einfluss, das europäi­sche Gleich­ge­wicht war zerstört. Die Wende der Übermacht begann mit dem Feldzug nach Russland und dessen Scheitern. Die Völker­schlacht bei Leipzig markierte einen entschei­denden Höhe- und Wende­punkt der europäi­schen Geschichte. Vor allem die franzö­si­schen Satel­li­ten­staaten wurden aufgelöst. So war auch das Fürstentum Braun­schweig-Wolfen­büttel als neues Herzogtum Braun­schweig resti­tu­iert worden. Der „Herzog ohne Land“, Friedrich Wilhelm, konnte am 6. November 1813 die Wieder­in­be­sitz­nahme seines Landes prokla­mieren lassen. Noch während der europäi­schen Mächte in Wien die zukunfts­träch­tige Neuord­nung Europas und Deutsch­land verhan­delten, wurde Europa durch die Nachricht erschüt­tert, dass Napoleon aus der Verban­nung nach Elba zurück­ge­kehrt war. Das letzte Inter­mezzo der „Hundert Tage“ hatte begonnen.

Erneut gelang es Napoleon, eine allge­meine Begeis­te­rung bei der Bevöl­ke­rung zu wecken, getragen von der Erinne­rung an die verlo­ren­ge­gan­gene Hegemonie auf dem Höhepunkt der napoleo­ni­schen Macht über Konti­nen­tal­eu­ropa. So erfolg­reich Napoleons erste Unter­neh­mungen waren, am 18. Juni 1815 wurde er bei Waterloo endgültig von einem alliierten Heer, das überwie­gend aus Deutschen bestand, besiegt. Der „Schwarze Herzog“ war zwei Tage zuvor am 16. Juni in der Schlacht bei Quatre-Bras gefallen. Napoleon wurde erneut verbannt und zwar auf die Insel St. Helena. Es wurde seine letzte Lebens­sta­tion.

Der Obelisk am Löwenwall erinnert an die beiden im Kampf gegen Napoleon gefal­lenen Herzöge. Foto: Der Löwe
An den Schwarzen Herzog erinnert ein Denkmal im belgi­schen Quatre-Bras. Foto: privat

Erneute Blütezeit folgte

Das Haus Braun­schweig aber sollte als Herzogtum Braun­schweig aus dem Wiener Kongress hervor­gehen, als Reichs­fürs­tentum Teil des Deutschen Kaiser­reichs nach 1870/71 bestehen und von den Welfen letztlich bis 1918 wieder regiert werden. Napoleons Verdikt „Das Haus Braun­schweig hat aufgehört zu regieren“ war letztlich nur von kurzer Dauer. Das kleine Herzogtum hatte im 19. Jahrhun­dert eine zweite Blütezeit in politi­scher, indus­tri­eller und wissen­schaft­li­cher Entwick­lung erlebt, wofür zum Beispiel die Erste Deutsche Staats­ei­sen­bahn (1838) als Beitrag zur Neuen Mobilität ebenso stehen, wie die Spargel- und Rüben­pro­duk­tion für die landwirt­schaft­liche Innova­tion oder der Maschi­nenbau mit der Entwick­lung der techni­schen Forschungen und Techni­schen Hochschule für die Trans­for­ma­tion von Landwirt­schaft und Industrie (Brunsviga, Büssing, Jüdel).

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig. Der obige Beitrag ist der redigierte Vortrag zur Eröffnung des Napoleon-Museums in Bad Harzburg.

Fakten

Napoleon-Museum

Rund 1000 histo­ri­sche Exponate der Weltge­schichte von 1700 bis 1900 mit Schwer­punkt „Napoleo­ni­sche Ära“ werden im Napoleon-Museum in Bad Harzburg präsen­tiert. Das Museum befindet sich im 1888 gebauten Drei-Kaiser-Haus. Zusätz­lich zum Napoleon Museum gibt es in zwei weiteren Räumen Origi­nal­ex­po­nate der „Ersten Ameri­kaner“ im Zeitfenster 1700 bis 1900. Das private Museum von Sammler Thomas Merbt wurde am 5. Oktober 2022 eröffnet. Zusätz­lich zu den Öffnungs­zeiten mittwochs und sonntags von 14 bis 17 werden Führungen nach Termin­ab­stim­mung für Gruppen von fünf Personen an angeboten. Eintritt: bis 14 Jahre 5 Euro, Erwach­sene 8 Euro.

Kontakt

Napoleon-Museum im Drei-Kaiser-Haus
Rudolf-Huch-Str. 1
38667 Bad Harzburg

Mobil: 0176 39858638
E‑Mail: thomasmerbt@hotmail.com
Inter­net­seite: www.napoleon-museum.de

 

Mehr unter:

Video zum Schwarzen Herzog: https://www.der-loewe.info/braunschweigische-spaziergaenge‑3

Video zur Sanierung des Sargs des Schwarzen Herzogs: https://www.der-loewe.info/mit-chirurgie-nadeln-gegen-den-verfall

Porträt des Schwarzen Herzogs: https://www.der-loewe.info/ein-braunschweiger-nationalheld/

Über Carl Wilhelm Ferdinand: https://www.der-loewe.info/preussens-koenig-stuerzte-carl-wilhelm-ferdinand-ins-verderben

Waterloo-Denkmal zu Ehren des Schwarzen Herzogs: www.der-loewe.info/braunschweiger-loewe-in-neuem-glanz

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